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# taz.de -- Debatte über neue Gentechnik: Ein Schnitt in die grüne DNA
> Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank stößt Diskussion zu
> Crispr/Cas an: Wegen der Genschere sollten die Grünen ihr Nein
> überdenken.
Bild: Filigrane Arbeit: Genschere im Einsatz
Hamburg taz | Es gehört zum Markenkern der Grünen, an dem Katharina
Fegebank rührt: Die Hamburger Wissenschaftssenatorin hat vorgeschlagen, die
grundsätzliche Ablehnung ihrer Partei gegenüber der Gentechnik zu
überdenken. Im Gespräch mit der taz verwies sie auf die Chancen, die mit
den neuen Entwicklungen in der Gentechnik wie der „Genschere“ Crispr/Cas
verbunden seien. „Die neue Gentechnik nicht zu nutzen, hätte zur
Konsequenz, dass dieses hochinnovative Forschungsfeld abwandert in Länder,
die hier weiter sind“, sagte Fegebank.
Anlass ist [1][ein Vorschlag der EU-Kommission, die grüne Gentechnik, also
deren Einsatz in der Landwirtschaft, neu zu regeln]. Die Kommission zieht
damit die Konsequenz aus Neuen Gentechnischen Verfahren (NGT) wie
Crispr/Cas, mit denen sich das Genom präzise verändern lässt, also genau an
der Stelle, wo man es möchte. Dabei kann die DNA an einer bestimmten Stelle
aufgeschnitten und ein Gen eingefügt, verändert oder abgeschaltet werden.
Die durch NGT erzeugten Pflanzen sollen von den strengen Gentechnik-Regeln
der EU ausgenommen werden. Dabei unterscheidet die Kommission Pflanzen in
zwei Gruppen: Pflanzen, „die auch auf natürliche Weise oder durch
konventionelle Züchtung entstehen könnten“, sollen wie herkömmliche
Zuchtpflanzen behandelt werden. Dagegen müssen Pflanzen, die komplexere
Modifikationen aufweisen, weiter gesondert gekennzeichnet werden.
Anders als bei den klassischen gentechnischen Verfahren muss bei den neuen
Techniken keine genetische Information nicht verwandter oder nicht
kreuzbarer Arten eingeschleust werden. Sie sind also nicht transgen. Das
Ergebnis sei „in der Regel genetisch nicht von konventionell gezüchteten
Pflanzen unterscheidbar“, heißt es auf der [2][Internetseite der Nationalen
Akademie der Wissenschaften Leopoldina]. Mit dem neuen Verfahren werde das
gleiche getan wie bei einer herkömmlichen Züchtung, behauptet die
EU-Kommission, nur sei das neue Verfahren „schneller und präziser“.
## Crispr/Cas eröffne neue Möglichkeiten
Fegebank plädiert angesichts dessen für eine „wissenschaftsoffene“ Haltun…
„Die Coronapandemie hat uns die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse
einmal mehr klar vor Augen geführt“, sagt sie. Im Kampf gegen die großen
[3][Krisen unserer Zeit – etwa Klimawandel und Ernährung – sei ein breites
Methodenspektrum notwendig]. Crispr/Cas eröffne der Forschung neue
Möglichkeiten. „Es ist unsere Aufgabe, gentechnische Verfahren dabei immer
differenziert nach ihren Potenzialen, ihren Risiken und Folgen zu
bewerten“, sagt die Senatorin.
„Differenziert“ – das zur Erinnerung – heißt bei der EU-Kommission, da…
für mit den neuen Methoden veränderte Pflanzen nicht die strengen
Gentechnik-Regeln gelten.
Für einige in Fegebanks Partei dürfte das wie ein Paradigmenwechsel
klingen. Schließlich gilt das Agrarpolitische Konzept 2025, das die
Hamburger Grünen schon in der vergangenen Legislaturperiode 2019 mit ihrem
Koalitionspartner SPD vereinbart haben. Darin heißt es: „Hamburg wird die
[4][bundesweite Diskussion über die gesetzliche Bewertung neuer
Züchtungstechniken] verfolgen, spricht sich aber klar gegen eine
Aufweichung der Vorgaben des deutschen Gentechnikrechts aus.“
Der Bund solle bei der EU Ausnahmen erwirken, die es ermöglichen würden,
die Gentechnik in Deutschland stärker zu beschränken, als es die
europäischen Regeln vorsehen.
## Viel parteiinterne Überzeugungsarbeit nötig
Um hiervon abzurücken, wird Fegebank eine Menge Überzeugungsarbeit in ihrer
Bürgerschaftsfraktion leisten müssen. Die dort vorhandene Skepsis spiegelt
sich in einem bundesweiten Positionspapier grüner Agrar- und
Umweltpolitiker aus dem Jahr 2018, das sich insbesondere auf die neuen
Züchtungsmethoden bezieht. Mitunterzeichnet hat es damals die Sprecherin
für Umwelt und Energie der Bürgerschaftsfraktion, Ulrike Sparr.
In diesem Positionspapier für das neue Grundsatzprogramm heißt es: „Die
langfristigen Folgen von Agrogentechnik und der neuen Verfahren für
Menschen und Umwelt sind nicht absehbar und das geltende Vorsorgeprinzip
schützt uns vor unwiderruflichen Schäden.“ Es sei offensichtlich, dass zum
einen das Versprechen, durch Agrogentechnik den Hunger in der Welt zu
stillen, nicht eingehalten wurde und zum anderen Agrogentechnik vor allem
dazu diene, Abhängigkeiten und Machtkonzentrationen zu festigen. „Neue
Züchtungsmethoden (z. B. Crispr/Cas) lehnen wir ab“, heißt es kurz und
bündig.
Aktuell hat die Grünen-Bundestagsfraktion noch einmal bekräftigt, sie trete
für „eine strenge Regulierung alter und neuer gentechnischer Verfahren“
ein.
Das Positionspapier beruft sich auf Test Bio, ein [5][Institut zur
Technologiefolgenabschätzung des Ex-Greenpeace-Mannes Christoph Then]. In
einer Stellungnahme zum aktuellen EU-Vorschlag warnt Test Bio davor,
„bestimmte Gruppen von NGT-Pflanzen von der Risikoprüfung auszunehmen“.
## Risikobewertung ist notwendig
Die NGTs würden in der Regel dazu eingesetzt, um genetische Veränderungen
zu bewirken, die über das hinausgehen, was aus konventioneller Zucht
bekannt ist. „Deswegen sind in jedem Fall eine detaillierte Analyse und
Risikobewertung notwendig, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen
NGT-Pflanzen und konventioneller Züchtung zu identifizieren, bevor weitere
Schlüsse gezogen werden können“, findet das Institut.
In ihrem 2020 beschlossenen Grundsatzprogramm betonen die Grünen ebenfalls
das Vorsorgeprinzip: „Bei Eingriffen in die Natur müssen nicht
verantwortbare Risiken, wie die Ausrottung ganzer Populationen oder Arten
durch gentechnische Methoden ausgeschlossen werden.“ Die Landwirtschaft
solle sich am Leitbild der Gentechnikfreiheit orientieren.
Mit Blick auf die neue Gentechnik wäre das aus Sicht Fegebanks zu
modifizieren. „Ökologischer Landbau und die Anwendung neuer Gentechnik
widersprechen sich nicht“, findet sie. „Man kann das eine tun und muss das
andere nicht lassen.“ Natürlich müssten der ökologische Landbau und
Kleinbauern weiterhin unterstützt und Patentfragen so geregelt werden, dass
„nicht nur die Großen zum Zuge kommen“.
Die Hamburger Grünen wollen das Thema nach der Sommerpause diskutieren.
Fegebank zeigt sich optimistisch: „Mein bisheriger Eindruck ist, dass die
Debatte heute in der Gesellschaft unaufgeregter geführt wird als noch vor
ein paar Jahren.“
2 Aug 2023
## LINKS
[1] /Gentechnik-Entscheid-der-EU-Kommission/!5942022
[2] https://www.leopoldina.org/wissenschaft/gruene-gentechnik/gruene-gentechnik…
[3] /Neue-Gentechnik/!5938287
[4] /Debatte-ueber-Gentechnik-bei-Pflanzen/!5948828
[5] https://www.testbiotech.org/aktuelles/testbiotech-empfehlungen-vorschlag-eu…
## AUTOREN
Gernot Knödler
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