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# taz.de -- Vom Potenzial des Bahn-Güterverkehrs: Abstellgleise dringend gesuc…
> In Zeiten des Klimawandels ist klar, dass mehr auf Schienen transportiert
> werden sollte. Doch der Bahn fehlt es an der Infrastruktur dafür.
Bild: Weichen und Abstellgleisen gibt es hierzulande viel zu wenig, Rangierbahn…
Rendsburg taz | Vom Schreibtisch in der Fensternische ist der Blick auf die
Schienen perfekt. Thorsten Eichhorn sieht von hier die Züge, die in den
Rendsburger Bahnhof einfahren. Vor ihm steht ein steinernes Tintengefäß mit
Ablagefläche für eine Schreibfeder. Hinter ihm reihen sich meterlange
Schalthebel, mit denen die Weichen umgelegt wurden – damals, als das
Stellwerk noch in Betrieb war. Dass das schmale, weiße Gebäude heute
zumindest noch als Museum besteht, ist Eichhorn zu verdanken.
Der Zug-Fan hat sich schon als Kind für Gleise und Loks interessiert. Als
die Bahn 1983 das Stellwerk abreißen wollte, kaufte er das Haus für eine
Mark und schenkte es einem Verein. Inzwischen gehört es dem Sozialwerk der
Bahn, und Eichhorn sitzt als bürgerliches Mitglied im Umweltausschuss der
Stadt Rendsburg, wo er sich für den Ausbau des Schienennetzes einsetzt. Ein
sinnvolles Anliegen, denn gerade beim Transport von Waren und Gütern wäre
die Verlagerung von der Straße in die Bahn ein Hebel, um den CO2-Ausstoß zu
verringern und den Klimazielen näher zu kommen. Der Wille ist da, auch auf
Seiten vieler Unternehmen. Aber es fehlt etwas Entscheidendes: Weichen und
Abstellgleise.
Im [1][Rendsburger Stellwerkmuseum] hängt eine Skizze, die einen Überblick
über die früheren Gleise gibt: Zahlreiche Trassen liegen nebeneinander,
einige führen aus dem Bahnhof heraus, andere enden noch wenigen Metern –
Rangierplatz, auf dem Züge einander passieren oder pausieren können. Der
Blick aus dem Fenster zeigt ein anderes Bild: Dort, wo früher Gleise lagen,
ist ein Pendlerparkplatz, auf der anderen Seite des Bahnhofs steht ein
Fahrradparkhaus. Beides hilft, um mehr Menschen den Umstieg in die Bahn zu
erleichtern. „Aber für Güter braucht es Abstellgleise, damit Waren auf- und
abgeladen werden“, sagt Eichhorn.
Das ist eigentlich eine Banalität – aber eine, die im Lauf der Jahre aus
dem Blick geraten ist. Denn der Zeitgeist fuhr Auto und Lkw und so wurden
in den vergangenen Jahrzehnten Gleise ab- statt neugebaut, vor allem in den
1990er Jahren, als die Bahn fit werden sollte für den Börsengang: „Das
Schienennetz der Eisenbahnen in Deutschland hat derzeit eine Streckenlänge
von rund 38.400 Kilometer – im Bahnreform-Jahr 1994 waren es noch 44.600“,
schreibt die Allianz pro Schiene. Bahn-Fan Eichhorn erklärt:
„Beratungsagenturen haben errechnet, wie viel der Betrieb einer Weiche im
Durchschnitt kostet. Mit dem Abbau von Weichen an Nebenstrecken hat die
Bahn rechnerisch ihre Bilanzen aufgebessert.“ Diese Ausweichgleise fehlen
heute.
## Güterverkehr kommt zu kurz
Angesichts steigender Temperaturen und Angst vor dem Klimawandel rückt die
Bahn stärker ins Bewusstsein, allerdings haben Öffentlichkeit und Politik
dabei vor allem den Personenverkehr im Blick. Das Potential des
Bahn-Güterverkehrs werde vernachlässigt, bedauert die Verkehrsexpertin der
Grünen im Kieler Landtag, Nelly Waldeck: „Das Thema wird komplett
unterschätzt. Daher kommt der Güterverkehr zu kurz, wenn wir über
Verlagerung von der Straße auf die Schiene sprechen.“
So sei auch der neue „Deutschlandtakt“, also der bundesweit abgestimmte
Fahrplan, nur auf den Personenverkehr ausgerichtet. „Damit die ICEs eine
zusätzliche kleine Zeiteinsparung schaffen, werden die Güter weiter nach
unten priorisiert“, sagt Waldeck. Grundsätzlich sei das auch in Ordnung –
aber das dicht belegte Schienennetz biete den langsameren Güterzügen kaum
Platz und Ausweichmöglichkeiten.
Generell fahren Personen- und Güterzüge auf denselben Trassen. Aber um die
Waren auf die Gleise zu bekommen, braucht es private Anschlüsse, die
größtenteils von den Unternehmen selbst gebaut werden, die dafür Fördergeld
beantragen können. „Gleisanschlüsse bringen Waren auf die Schiene“, lautet
die Überschrift der „Gleisanschluss-Charta“, die ein breites Bündnis von
Unternehmens- und Kommunalverbünden unterstützt, darunter die Stahl- und
Bauindustrie, die Holzwirtschaft und der Deutsche Städtetag. „Bei
Unternehmen der verladenden Wirtschaft und der Logistik ist ein wachsendes
Interesse an der Schiene und auch am eigenen Gleisanschluss festzustellen“,
steht darin.
Das betrifft auch Einzelfälle: Ein Grund, warum die Firma Northvolt ihre
Fabrik für E-Auto-Batterien nahe der Kreisstadt Heide bauen will und nicht
anderswo in Schleswig-Holstein, sei die gute Schienenanbindung gewesen,
heißt es in Kiel.
## Mehr offene Umladeterminals gefordert
Aktuell dauere es viel zu lange, neue Anschlüsse zu legen, beklagt das
Unternehmensbündnis. Stimmt, sagt die Landespolitikerin Waldeck: Zwar sei
die Förderung recht gut, aber das Verfahren aufwändig und kompliziert –
auch weil die Kapazitäten in den Behörden nicht ausreichten. „Drei bis fünf
Jahre auf einen Anschluss warten, das machen die Unternehmen nicht mit.“
Waldeck wünscht sich einerseits, dass die Behörden aufgestockt und die
Schnittstellen zwischen Landes- und Bundesrecht optimiert werden. Außerdem
sollten mehr offene Umladeterminals entstehen, die jeder nutzen kann.
Im Koalitionsvertrag bekennen sich CDU und Grüne in Schleswig-Holstein mit
einem Halbsatz zum Ausbau der Verladeinfrastruktur. Allerdings „haben wir
dafür bisher noch kein Geld hinterlegt“, sagt Waldeck. Geld aber ist knapp,
die Wahrscheinlichkeit daher umso höher, dass ein Thema, das eher dem
grünen Juniorpartner wichtig ist, am Ende der Legislaturperiode
unbearbeitet geblieben sein wird.
Die Zuständigkeit für den Ausbau der Schienen liegt in der Hauptsache beim
Bund. So wie Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein bekennt sich auch die Ampel
in Berlin zu dem Ziel, die Bahn zu ertüchtigen. „Bis 2020 wollen wir 25
Prozent des Güterverkehrs auf die Schiene bringen“, sagt Dorothee Martin,
in der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema zuständig. „Dafür brauchen wir
schnell viele große und kleine Schritte zur Kapazitätserweiterung.“
Konkret gehen müsste diesen Schritt das Bundesverkehrsministerium. Eine im
März veröffentlichte Prognose nimmt tatsächlich 46 Prozent mehr
Güterverkehr bis zum Jahr 2050 an – aber vor allem auf der Straße. Der
Grund: Es würden „weniger Massengüter wie Kohle, Koks, Mineralöl“
transportiert und mehr „Güter, die überwiegend auf der Straße befördert
werden“. Allein Postsendungen würden um 200 Prozent zunehmen – und die
passen nach Vorstellungen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)
offenbar nicht in einen Güterzug.
## Hinter den Personenzügen herkriechen
Tatsächlich seien „gebrochene Verkehre“, bei denen Güter umgeladen werden
müssen, oft „noch zu unattraktiv“, sagt Sebastian Schultze vom
Unternehmensverband Nord: Die Verlagerung „kostet Zeit, Personal und
Effizienz, bindet Ressourcen und macht den Transport insgesamt anfälliger
für Störungen“. Und weil Güter auf der Trasse immer hinter den
Personenzügen herkriechen, seien „Flexibilität, Planbarkeit und
Transportgeschwindigkeit auf der Schiene in der Regel leider deutlich
geringer ausgeprägt“. Dennoch sei die Verlagerung des Güterverkehrs auf die
Schiene seit Jahren in der Wirtschaft ein Thema, sagt Schultze.
Wie die Verlagerung funktioniert, zeigt sich in Neumünster: Die kreisfreie
Stadt liegt rund 40 Kilometer südlich von Rendsburg an der Nord-Süd-Trasse
im Zentrum Schleswig-Holsteins. Dort betreibt eine Firma seit 2015 ein
Umladeterminal, das 2019 weiter ausgebaut wurde. Mit Erfolg: „Die
mittelständische Logistikwirtschaft fährt auf das kombinierte
Bahn-/Straßen-Verkehrsterminal ab“, [2][bilanzierte 2021 die Lokalpresse].
Andere Städte bleiben von solchen Entwicklungen abgeschnitten. Dabei wäre
Bedarf da, glaubt Thorsten Eichhorn, der es für Rendsburg ausgerechnet hat:
Am Kanalhafen würden jährlich 559.000 Tonnen umgeschlagen. Wenn nur 20
Prozent auf die Schiene verlagert würden, ließen sich zehn Eisenbahnwagen
füllen – jeden Tag. Früher gab es einen eigenen Bahnhof am
Nord-Ostsee-Kanal. Die Reste der Gleise liegen noch. Aber statt Zügen
halten dort meist Fahrräder vor einem Eiscafé.
30 Jul 2023
## LINKS
[1] https://museen.de/museumsstellwerk-rendsburg.html
[2] https://www.shz.de/lokales/neumuenster/artikel/der-gueterumschlag-am-bahn-t…
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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