# taz.de -- Dauerbaustelle Deutsche Bahn: Keine Streiks, aber weiter Chaos | |
> Die Schlichtung zwischen DB und Eisenbahngewerkschaft war erfolgreich. | |
> Aber bei Verspätungen und Zugausfällen ist kein Ende in Sicht. | |
Bild: Bald bekommen sie mehr Geld: Bahnbeschäftigte am Hauptbahnhof Leipzig | |
BERLIN taz | Der Tarifkonflikt der Deutschen Bahn mit der | |
Eisenbahngewerkschaft EVG ist beendet, die [1][Schlichtung der | |
Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr und des Ex-Innenministers Thomas de Maizière] | |
war erfolgreich. „Unsere Gespräche waren intensiv, hart und langwierig“, | |
sagte de Maizière am Mittwochabend in Potsdam mit Blick auf neun | |
Verhandlungstage. | |
Das zentrale Ergebnis: eine zweistufige Lohnerhöhung von monatlich 200 Euro | |
ab Dezember und weiteren 210 Euro ab August 2024. Hinzu kommt eine | |
einmalige steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von | |
2.850 Euro im Oktober. Der Bahnvorstand und die Unterhändler:innen der | |
EVG begrüßten die Empfehlung der Schlichter:innen als tragfähigen | |
Kompromiss. Nun müssen die rund 108.000 bei der Deutschen Bahn | |
beschäftigten EVG-Mitglieder bis Ende August über das Ergebnis entscheiden. | |
Mit einer Ablehnung ist jedoch nicht zu rechnen. | |
Die vorgeschlagene Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 25 Monate. Dass es | |
an deren Ende eine weitere Lohnerhöhung von durchschnittlich 100 Euro | |
monatlich für Mitarbeitende in der Instandhaltung, den Werkstätten und | |
Stellwerken sowie im Service im Zug und am Bahnhof geben soll, lässt sich | |
als kleines Geschenk an die EVG werten. Denn hier geht es vor allem um jene | |
Beschäftigte, um die die DGB-Gewerkschaft am härtesten mit der Konkurrenz | |
von der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) ringt. Deren Verhandlungen | |
mit der Deutschen Bahn beginnen im Herbst. Bis Ende Oktober befindet sich | |
die GDL in der Friedenspflicht, erst danach könnte sie zu Warnstreiks | |
aufrufen. | |
Während damit Streiks für diesen Sommer ausgeräumt sind, gibt es bei dem | |
Chaos im Fahrbetrieb keine Entwarnung. „Wir wissen, dass wir unseren | |
Kundinnen und Kunden im Moment viel zumuten“, sagte Bahnchef Richard Lutz | |
bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz am Donnerstag. Nachdem die | |
Deutsche Bahn über Jahrzehnte auf Verschleiß gefahren wurde, ist die | |
Infrastruktur angeschlagen, Signalstörungen oder Baustellen sorgen immer | |
wieder für Verspätungen. Die Pünktlichkeit ist im ersten Halbjahr weiter | |
gesunken und lag bei 68,7 Prozent. „Nach wie vor ist 80 Prozent der | |
Unpünktlichkeit auf die Infrastruktur zurückzuführen“, sagte Lutz. | |
## Fahrgastrekord im Nahverkehr | |
Die Deutsche Bahn hat ein großes Sanierungsprogramm aufgelegt, das aber | |
zunächst zu weiteren Verspätungen, Streckensperrungen und Zugausfällen | |
führen wird. Allein durch den Austausch von 480.000 Eisenbahnschwellen in | |
diesem Jahr entstehen zusätzliche 400 Baustellen. | |
Trotz dieser Probleme sind die Fahrgastzahlen gestiegen. Im Regionalverkehr | |
wuchs die Zahl der Reisenden im ersten Halbjahr im Vergleich zu den ersten | |
sechs Monaten des Vorjahres um 11,5 Prozent auf mehr als 808 Millionen | |
Kund:innen. Das ist ein neuer Rekord. Im Fernverkehr nahm die Zahl der | |
Fahrgäste um 15,4 Prozent auf mehr als 68 Millionen zu, liegt aber immer | |
noch unter den 71,8 Millionen der Vorcoronazeit. Der Boom im Nahverkehr | |
dürfte auch auf das neue, bundesweit im ÖPNV gültige 49-Euro-Ticket | |
zurückgehen. Das nur im Abo erhältliche Ticket wurde bislang 11 Millionen | |
Mal verkauft. „Perspektivisch rechnen wir damit, dass es jeder fünfte | |
Mensch in der Bundesrepublik abonnieren wird“, sagte Lutz. Das wären mehr | |
als 16 Millionen Tickets. | |
Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) mahnt die Bundesregierung | |
angesichts der höheren Fahrgastzahlen, ihr Finanzierungsversprechen für die | |
Schiene zu halten. Nur wenn mehr Geld in die Infrastruktur investiert | |
werde, sei die Bahn der steigenden Nachfrage gewachsen, sagte | |
VCD-Bahnexperte Alexander Kaas Elias. „Dafür muss jetzt die von der | |
Bundesregierung versprochene Summe von 45 Milliarden Euro bis 2027 für die | |
Bahn vollständig gegenfinanziert werden und in die Schiene fließen“, | |
forderte er. Der Koalitionsausschuss der [2][Ampel-Regierung hatte im März | |
einen Finanzbedarf in dieser Höhe bis 2027 festgestellt.] Künftig sollen | |
Einnahmen aus der LKW-Maut in die Finanzierung der Schieneninfrastruktur | |
fließen. Das wird aber nicht reichen, um die anvisierte Summe aufzubringen. | |
Im ersten Halbjahr 2023 hat die Deutsche Bahn einen Umsatz von 25 | |
Milliarden Euro gemacht, auch wegen gefallener Raten in der See- und | |
Luftfracht sind das 11 Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten | |
2022. Für das Gesamtjahr rechnet das Management mit einem Verlust von knapp | |
einer Milliarde Euro. Zu [3][möglichen Ticketpreiserhöhungen] will sich die | |
Deutsche Bahn erst im Herbst äußern. | |
27 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Tarifkonflikt-bei-der-Bahn/!5947505 | |
[2] /Nach-dem-Koalitionsausschuss/!5921513 | |
[3] /Studie-von-Greenpeace/!5945286 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anja Krüger | |
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