# taz.de -- Reform bei der Deutschen Bahn: Auf die Schiene gebracht | |
> Streiks bei der Bahn sind abgewendet, aber Verspätungen und Zugausfälle | |
> gehören weiter zum Reisealltag. Was soll die geplante Reform bringen? | |
Bild: Ein ICE fährt in den Hauptbahnhof Frankfurt ein. Ob er wohl pünktlich u… | |
## 1. Im Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Eisenbahn- und | |
Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat es einen [1][Schlichterspruch] gegeben, den | |
offenbar beide Seiten gut finden. Sind Streiks jetzt erst einmal | |
abgewendet? | |
Ja. Höchstwahrscheinlich werden die Mitglieder der EVG den ausgehandelten | |
Kompromiss annehmen. Er sieht eine stufenweise Lohnerhöhung von monatlich | |
200 Euro ab Dezember und weiteren 210 Euro ab August 2024 bei einer | |
Laufzeit von 25 Monaten vor. Außerdem gibt es im Oktober eine einmalige | |
steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe | |
von 2.850 Euro. Das klingt viel, bringt den Beschäftigten aber keinen | |
Ausgleich für die erlittenen Reallohnverluste der vergangenen Jahre. | |
## 2. Und was ist mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)? | |
Die wird versuchen, mehr herauszuholen. Aber für sie gilt wegen des | |
laufenden Tarifvertrags noch die Friedenspflicht. Ihre Verhandlungen mit | |
der Deutschen Bahn beginnen im Herbst. Ab Ende Oktober könnte sie dann zu | |
Warnstreiks aufrufen. | |
## 3. Steigen die Ticketpreise durch die Lohnerhöhungen? | |
Vor allem für Leute, die spontan in den Zug steigen wollen, sind Tickets | |
sehr teuer. Langfristig zu buchen kann dagegen sehr günstig sein. Welche | |
Auswirkungen die Tariferhöhungen auf die Preise haben, ist unklar. | |
Bahn-Chef Richard Lutz will sich erst im Herbst zu den Preisen äußern. | |
Höhere Löhne führen aber nicht automatisch zu teureren Fahrkarten. Mit ein | |
bisschen politischem Willen könnte Bahn fahren günstig sein. | |
Das bundesweit geltende 49-Euro-Ticket für den Regionalverkehr zeigt, was | |
möglich ist. Der Staat steckt viele Milliarden in die Deutsche Bahn, als | |
alleiniger Eigentümer könnte er für gute Preise sorgen. Für Fahrgäste sind | |
die Lohnerhöhungen eine gute Botschaft: Stimmen Bezahlung und | |
Arbeitsbedingungen, ist die Deutsche Bahn ein attraktiver Arbeitgeber. Und | |
das muss sie werden. Sie sucht händeringend neue Mitarbeiter:innen. Im | |
Moment fallen immer wieder Züge aus, weil es nicht genug Beschäftigte gibt. | |
## 4. Verspätungen, Zugausfälle, Streckensperrungen – bei der Deutschen | |
Bahn läuft es auch ohne Streiks alles andere als rund. Wann wird es endlich | |
besser? | |
Eine Entspannung der desolaten Lage ist leider nicht in Sicht. Die | |
Generalüberholung der [2][maroden Infrastruktur] dauert. Allein in | |
diesem Jahr sollen 480.000 Schwellen ausgetauscht werden. Dadurch entstehen | |
400 zusätzliche Baustellen. Die Deutsche Bahn hat über Jahrzehnte nicht | |
genug getan, um Schienen, Weichen und Wagen in Schuss zu halten. Jetzt wird | |
im gesamten Schienennetz saniert und modernisiert. „Wir bauen den | |
Investitionsstau systematisch ab“, sagt Bahn-Chef Lutz. | |
## 5. Die Bundesregierung plant eine große [3][Bahn-Reform]. Was soll das | |
bringen? | |
Die Deutsche Bahn ist in einer chronischen Krise, hoch verschuldet, | |
veraltet und schlecht geführt. Gleichzeitig sind die politischen | |
Anforderungen enorm, denn die Passagierzahlen sollen massiv steigen. Die | |
Deutsche Bahn ist das Rückgrat der Verkehrswende weg von der Dominanz des | |
individuellen Autoverkehrs. | |
## 6. Was ist geplant? | |
Die Deutsche Bahn soll aufgespalten werden, allerdings sollen die beiden | |
Teile unter einem Unternehmensdach bleiben. Das ist unter anderem deshalb | |
wichtig, damit Aufträge innerhalb des Konzerns vergeben und nicht | |
ausgeschrieben werden müssen. | |
Nach den derzeitigen Plänen soll zum 1. Januar 2024 eine neue | |
Infrastrukturgesellschaft entstehen, in der die Töchter DB Netz und DB | |
Station&Service zusammengefasst werden, also das Schienennetz und die | |
Bahnhöfe. Sie soll den Namen InfraGo tragen und die Rechtsform einer | |
Aktiengesellschaft bekommen. Das erstaunt Beobachter, denn eine GmbH wäre | |
für den Eigentümer, also den Bund, besser zu steuern. Er könnte der | |
Geschäftsführung direkt Anweisungen geben. Das Aktienrecht sieht das nicht | |
vor. | |
Die neue Gesellschaft soll gemeinwohlorientiert sein, das bedeutet, | |
Gewinne blieben dort und könnten etwa für Investitionen ins Schienennetz | |
ausgegeben werden. | |
## 7. Die Deutsche Bahn ist doch ein Staatskonzern! Sie muss sowieso | |
gemeinwohlorientiert sein, oder? | |
Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent im Besitz | |
des deutschen Staats ist. Deshalb ist sie aber nicht automatisch | |
gemeinwohlorientiert. Die Rechtsform sieht vor, dass das Unternehmen | |
Profite macht und nicht in erster Linie für eine gute Versorgung der | |
Bürger:innen sorgt. | |
Ursprünglich sollte die große Bahn-Reform von 1994, mit der die Bundesbahn | |
und die Reichsbahn der DDR zusammengeführt wurden, die Weichen für eine | |
spätere Privatisierung stellen. In den 2000er Jahren wurde der Börsengang | |
der Deutschen Bahn vorbereitet, weshalb Strecken stillgelegt und Leute | |
entlassen wurden. Der Börsengang wurde wegen der Finanzkrise 2008 | |
abgeblasen. Unter den Folgen leiden die Fahrgäste und die Beschäftigten | |
heute noch. | |
## 8. Und was ist sonst geplant? Die Zusammenlegung von zwei | |
Konzerntöchtern kann ja wohl nicht alles sein. | |
Weitere Details stehen noch nicht fest. Auf Nachfragen der taz reagiert das | |
Bundesverkehrsministerium nicht. Branchenvertreter:innen werden wegen | |
dieser Unklarheit langsam unruhig. Sie fürchten, dass die Reform vor allem | |
auf dem Papier stattfindet und sich ansonsten nicht viel ändert. Das kann | |
durchaus geschehen. Ob die Bundesregierung ihr Ziel erreicht, mehr | |
Wettbewerb auf der Schiene zu erzeugen, ist also offen. | |
## 9. Mehr Wettbewerb? Geht das überhaupt bei nur einem Schienennetz? | |
Das geht – auch wenn es nicht unbedingt sinnvoll ist. Die Schienen gehören | |
der Deutschen Bahn, aber sie muss Wettbewerber darauf fahren lassen. | |
Darüber wacht die Bundesnetzagentur. Trotzdem fürchten Bahn-Konkurrenten | |
Benachteiligungen. Im Fernverkehr ist der Staatskonzern fast Monopolist. Im | |
Nah- und Güterverkehr dagegen gibt es sehr viele Wettbewerber. Im | |
Güterverkehr haben die Konkurrenten einen Marktanteil von mehr als 50 | |
Prozent, Tendenz steigend. | |
Die Wettbewerber sind oft besser organisiert als die behäbige DB Cargo, die | |
Güterverkehrstochter der Deutschen Bahn. Sie können ihre Kunden vielfach | |
schneller, besser und günstiger bedienen. Die Deutsche Bahn hat mit der DB | |
Schenker ein Tochterunternehmen, das auch Transporte auf der Straße | |
verkauft. An einer Verlagerung von der Schiene auf die Straße haben die | |
Manager:innen der Deutschen Bahn also nur begrenzt Interesse. | |
Im Nahverkehr lag nach Angaben der Bundesnetzagentur der Marktanteil der | |
Wettbewerber 2022 bei 33 Prozent. Dort liefern sich Anbieter bei | |
Ausschreibungen einen harten Unterbietungswettbewerb auf dem Rücken von | |
Beschäftigten und Fahrgästen. Erst vor Kurzem ging mit Abellio ein großer | |
Anbieter in NRW, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg in die Knie. | |
## 10. Was muss geschehen, damit es mit der Bahn in Deutschland endlich | |
vorangeht? | |
Dafür muss es den politischen Willen für einen massiven Ausbau des Angebots | |
und genug Geld geben. Beides ist fraglich. Die Bundesregierung sieht bis | |
2027 zwar einen Investitionsbedarf von 45 Milliarden Euro. Ob tatsächlich | |
so viel Geld fließt, ist aber ungewiss. Und mit Geld allein ist es nicht | |
getan. Die Deutsche Bahn ist ein schlecht gemanagter Großkonzern. | |
Ohne bessere Führungskräfte und einen konsequenten Umbau des Konzerns ist | |
die Krise nicht zu überwinden. | |
29 Jul 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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