# taz.de -- Bananen im Sozialismus: Das erste Opfer der Revolution | |
> Die Internet-Linke stritt die Woche über eine aus der Zeit gefallen | |
> wirkende Frage: Wird es im Sozialismus Bananen geben? Ein Aufruf zur | |
> Mäßigung. | |
Bild: 1943: Werbung für Südfrüchte | |
In manchen Ecken dieses Internets gibt es ein beliebtes Format, das immer | |
wieder zu hitzigen Diskussionen führt: „Wird es im Sozialismus xy geben?“ | |
Nachdem die Frage durchgenudelt wurde, ob es noch Restaurants im | |
Arbeiterparadies geben wird oder nicht, war diese Woche die Banane dran. | |
Ausgelöst hatte die Debatte ausgerechnet John Belamy Foster. Der bekannte | |
ökosozialistische Denker ist Herausgeber des Magazins Monthly Review, worin | |
er in der letzten Ausgabe für Degrowth plädierte. Degrowth ist ein | |
Reizthema für viele angelsächsische Linke, die, obwohl der Begriff wenig | |
genau ist, den Unterstützern von Degrowth unterstellen, sie wollten den | |
Menschen das schöne Leben vermiesen. | |
Um der oft gehässigen Debatte etwas entgegenzusetzen, postete der linke | |
Schriftsteller Malcolm Harris ein Gedankenexperiment. Harris wurde mit | |
einem Buch über Millennials bekannt, das dem Händeringen über den | |
moralischen Zerfall der nächsten Generation eine materialistische Analyse | |
der letzten dreißig Jahre entgegenhielt, und gerade hat er eine Historie | |
des Silicon Valley und des kalifornischen Kapitalismus herausgegeben. Er | |
kennt sich also aus mit den wirtschaftlichen Grundlagen sozialer | |
Veränderungen. | |
Das Experiment lautete: Anhand des Beispiels der Banane solle man sich | |
überlegen, ob in einer besseren, gerechteren Welt unsere gewohnten | |
Konsumgüter noch genauso verfügbar wären wie heute. Harris kam zum Schluss, | |
dass Bananen wohl kaum mehr in der Menge und zu dem Preis produziert | |
würden, [1][wenn die Plantagenarbeiter Kontrolle über ihre | |
Arbeitsbedingungen hätten]. Wer würde denn freiwillig zehn Stunden am Tag | |
härteste und lebensgefährliche Arbeit machen, nur um Europa und Nordamerika | |
mit billigen Südfrüchten zu versorgen? Die moderne Cavendish-Banane ist | |
schließlich vollständig ein Produkt des Kapitalismus und Imperialismus, von | |
Monokultur und Kolonialismus. Doch mit diesem Gedanken trat Harris erst | |
recht eine Welle der Empörung und Gegenempörung los. | |
## Nur Menschen ohne Kinder haben was gegen Bananen | |
Besonders das Argument, die Bananenkritiker wollten den armen, geknechteten | |
Arbeitern des Globalen Nordens etwas wegnehmen, verbreitete sich schnell. | |
Ein besonders gut laufender Tweet zum Thema empörte sich, dass nur Menschen | |
ohne Kinder was gegen Bananen haben könnten. Offenbar erfordert | |
Kindspflege im Globalen Norden heute, dass Menschen im Globalen Süden in | |
sklavereiähnlichen Bedingungen leben müssen. | |
Aus deutscher Warte ist diese Debatte natürlich besonders absurd, weil die | |
Frage von Bananen und Sozialismus gegen den Realsozialismus in Stellung | |
gebracht wurde (in Form des berüchtigten Titanic-Covers in besonders | |
ekelhafter, mysogyner Art). | |
Aber hier sind gewisse ideologische Pathologien von der anderen Seite des | |
Atlantiks sichtbar. Als vor einigen Jahren eine neue amerikanische Linke im | |
Windschatten [2][von Bernie Sanders] und des Magazins Jacobin auf den Plan | |
trat, die sich dieses in den USA bisher von einem Tabu belegte Etikett | |
„sozialistisch“ gab, fragten sich in Europa viele, was denn nun mit | |
„sozialistisch“ gemeint sei. Sozialdemokratie skandinavischer Prägung? | |
Klassischer Keynesianismus? Oder doch etwa so richtig mit Rumms | |
Planwirtschaft und Kommunismus? | |
Als Antwort darauf bekam man von den Vertreter:innen der US-Linken | |
meist zu hören, das sei Sophismus, Haarspalterei ohne jeglichen praktischen | |
oder strategischen Nutzen. Aber wenn man sich nun solche Debatten ankuckt, | |
wird doch offensichtlich, wie wichtig die Klärung gewisser Grundannahmen | |
ist. Einen solchen Haufen uninformierter Takes hat man nämlich schon lange | |
nicht mehr gesehen. | |
## Vom Konsum her denken, statt von der Produktion? | |
Selbst bei Leuten, die sich öffentlich als Linke, gar als Marxisten oder | |
Sozialisten bezeichnen, ist offenbar der Gedanke wenig präsent, von der | |
Produktion her zu denken statt vom Konsum. Sie fragen, was denn die | |
privilegierten Verbraucher der Industrieländer wollen, statt sich zu | |
überlegen, [3][was die überausgebeuteten Arbeitskräfte des Globalen Südens] | |
denn für ein Leben wählen würden, hätten sie denn diese Wahl. Sie denken, | |
um mit einem etwas aus der Mode geratenen, aber nützlichen Begriff zu | |
sprechen, über die Arbeiteraristokratie nach, nicht über alle Entrechteten | |
und Ausgebeuteten. | |
Man muss es immer wieder in Erinnerung rufen: Bei der Bereitstellung | |
billiger Güter sind die Käufer im Globalen Norden nicht die Arbeiterklasse, | |
um die es hier geht, sondern die Menschen, die in den [4][Fabriken | |
Bangladeschs die Fast-Fashion von H&M und Konsorten] zusammennähen oder, um | |
beim diskutierten Beispiel zu bleiben, die Arbeiter auf den | |
Bananenplantagen. | |
In der Diskussion wird ein seltsames Beharren auf den Verhältnissen | |
offensichtlich. Alles soll sich ändern, damit alles gleich bleiben kann, | |
wie heute. Einfamilienhaus, SUV, Bananen en masse – aber für alle. Wünsche | |
und Bedürfnisse sind in dieser Sicht zwangsläufig Begehren nach materiellen | |
Gütern. Dass man ein komplett anderes Leben möchte, ist nicht vorstellbar. | |
Der olle Karl hat man geschrieben, er wolle „keine Rezepte für die Garküche | |
der Zukunft“ liefern, denn Diskussionen darüber, wie denn genau die bessere | |
Zukunft aussehen soll, bringen uns dabei nicht weiter, diese auch zu | |
erreichen. Aber eins kann man sicher vorhersagen: Jeden Tag eine Banana für | |
ein paar Cent wird es in einer gerechteren Welt bestimmt nicht geben. Dafür | |
ganz anderes, was uns das Leben versüßt. | |
20 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kleinbauern-in-Ecuador/!5848471 | |
[2] /Bernie-Sanders/!t5008537 | |
[3] /Klimakrise-und-globaler-Sueden/!5943588 | |
[4] /Nachhaltige-Mode/!5814378 | |
## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
## TAGS | |
Netzkultur | |
Kultur im Internet | |
USA | |
Bernie Sanders | |
Sozialismus | |
Karl Marx | |
Arbeiter | |
Bananen | |
Tag der Arbeit, Tag der Proteste | |
Bernie Sanders | |
Kolumne Postprolet | |
Kommunismus | |
Feminismus | |
Medienvielfalt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bernie Sanders in Berlin: Wilder Ritt durch die Verhältnisse | |
Der linke US-Senator Bernie Sanders stellte in Berlin sein neues Buch vor. | |
Wir sind zu nett zu Milliardären, sagte er und lobte die junge Generation. | |
Essen und Revolution: Futterneider aller Länder, vereinigt euch! | |
Futterneid haben Menschen, die in Knappheit aufgewachsen sind, heißt es. | |
Gerade sie sollten gegen den Egotrip ankämpfen, statt sich darauf | |
auszuruhen. | |
Twitter-Debatte über Schriftstellerin: Kommunismus als Clickbait | |
Mit einem Satz zum Kommunismus löste die Autorin Elisa Aseva eine schrille | |
Twitter-Debatte aus. Um politische Fragen geht es dabei längst nicht mehr. | |
Gründerin über Frauenmagazin: „Wir wollen wirklichen Luxus“ | |
Mit „Lux“ erscheint in den USA ein Frauenmagazin, das Feminismus und | |
Sozialismus verbindet. Gründerin Sarah Leonard spricht über das gute Leben. | |
„Jacobin“-Chefin über linkes Magazin: „Eine Utopie ist ein Leitstern“ | |
Ines Schwerdtner ist Chefredakteurin von „Jacobin“. Ein Gespräch über | |
enttäuschte Hoffnungen und die ewige Suche nach der großen linken | |
Erzählung. |