# taz.de -- Bernie Sanders in Berlin: Wilder Ritt durch die Verhältnisse | |
> Der linke US-Senator Bernie Sanders stellte in Berlin sein neues Buch | |
> vor. Wir sind zu nett zu Milliardären, sagte er und lobte die junge | |
> Generation. | |
Bild: Bernie Sanders bei der Vorstellung seines Buches in Berlin am 12. Oktober | |
Deutsche Politiker sind meist keine Celebrities. Aber er ist es: Bernie | |
Sanders. Der mittlerweile 84-jährige Senator aus Vermont hat mit seiner | |
Präsidentschaftskampagne 2016 und wieder 2020 fast im Alleingang die | |
amerikanische Linke wiedererweckt und aus der Zersplitterung geführt. | |
Er ist die paradigmatische charismatische Führungsfigur, die Theoretiker | |
des Linkspopulismus wie [1][Chantal Mouffe] progressiven Bewegungen | |
empfehlen, um disparate politische Strömungen und Anliegen in der | |
Identifikation mit ihrem politischen Idol zu bündeln. | |
Am Donnerstag weilte er für seinen einzigen Termin seiner Buchtour in | |
Deutschland im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Die Deutsche | |
Übersetzung seines Buch erscheint kommende Woche als „Es ist okay, wütend | |
auf den Kapitalismus zu sein“. Der große Saal war komplett ausverkauft, wie | |
es sich für einen Celebrity gehört. | |
Moderatorin Jana Pareigis, bekannt als Sprecherin der „heute“-Nachrichten, | |
führte charmant durch den Abend, in dem Sanders kein Thema ausließ: Klima, | |
Rassismus, Arbeitskämpfe, Abtreibung, Oligarchie, Medien, selbst über KI | |
und Asteroidenmining sprach er. Und natürlich über seine Evergreens | |
wirtschaftliche Ungleichheit und das amerikanische Gesundheitswesen. | |
Im Vorfeld hatte es etwas Aufregung geben über Sanders Statement zu den | |
Anschlägen in Israel. „Ich verurteile den schrecklichen Angriff der Hamas | |
und des Islamischen Dschihad auf Israel aufs Schärfste. Es gibt keine | |
Rechtfertigung für diese Gewalt und unschuldige Menschen auf beiden Seiten | |
werden enorm darunter leiden. Es muss jetzt enden“, hatte Sanders gepostet. | |
## Esken sagt ab | |
Saskia Esken reichte dieses Statement des jüdischen Politikers nicht. Sie | |
verkündete auf der Plattform Bluesky, offenbar als Antwort auf die Kritik | |
eines Users an, nicht an einem vereinbarten Treffen mit Sanders | |
teilzunehmen. | |
„Er hätte die Chance gehabt, seine früheren Relativierungen aufzugeben und | |
sich klar an die Seite Israels und gegen den Terror der Hamas und anderer | |
zu stellen. Doch das tut er nicht. (…) Ich sage ab.“ Schrieb die | |
Vorsitzende der SPD. Das war insofern etwas verwirrend, als offenbar gar | |
kein persönliches Treffen vereinbart war, sondern lediglich Eskens | |
Teilnahme an der Buchpremiere. | |
Das Thema bildete fast zwangsweise den Auftakt der Veranstaltung, nachdem | |
Sanders mit langem Applaus begrüßt wurde. Moderatorin Pareigis fragte noch | |
mal nach einem Statement. Sanders antwortete sofort, was Hamas getan habe | |
sei abscheulich und werfe den Friedensprozess zurück. Israel habe das Recht | |
rigoros auf die Angriffe zu reagieren, aber Sanders hoffe, die Kinder in | |
Gaza könnten geschont werden. Mit den Angriffen seien nun Extremisten auf | |
beiden Seiten, die an Gewalt glaubten im Aufwind, das sei eine Tragödie. | |
## Es geht ans Eingemachte | |
Dann erst geht es ans Eingemachte: um Sanders Analyse der Zustände | |
Amerikas. Es ist ein wilder Ritt durch die aktuellen Streiks der UAW, die | |
Konzentration von Besitzverhältnissen und Oligopolen in der amerikanischen | |
Wirtschaft und dem Klimawandel. | |
Sanders berichtete auch über sein Erleben des Sturms auf das Kapitol am | |
6.1.2021 während dessen Sanders im Kongress saß als der rechte Mob das | |
Gebäude enterte. Manchmal fragt er ob es okay sei, wenn er aufsteht. Dann | |
nimmt er richtig Fahrt auf. | |
Es ist erstaunlich, wie luzid Sanders trotz seines fortgeschrittenen Alters | |
wirkt, insbesondere im Vergleich zum zwei Jahre jüngeren Präsidenten Biden, | |
der sich immer wieder verhaspelt oder den Faden verliert, so dass | |
ernsthafte Bedenken an seinem geistigen Zustand besteht. | |
Warum Sanders nicht noch mal fürs Präsidentenamt kandidiere, fragt die | |
Moderatorin. Ganz einfach antwortet Sanders, weil Trump so gefährlich sei, | |
dass man die Demokraten [2][nicht spalten dürfte.] | |
Beeindruckend im Vergleich zu deutschen Politikern ist, wie Sanders es | |
schafft, tatsächlich Kämpfe zu verbinden. Er erwähnt immer Rassismus, | |
Homophobie, Klima und so weiter, aber auf eine Art, die nicht wirkt wie | |
eine lieblose Aufzählung. Denn er hat offensichtlich eine klare Analyse, | |
wie diese verschiedenen Kämpfe im Kern verbunden sind. Und trotzdem gibt | |
Sanders ein überzeugendes Plädoyer für die Stellung von Klasse als | |
zentrales Element jeder Analyse und jedes Kampfs ab. | |
## Kosten des Klimawandels | |
CEOs, sagt er an einem Punkt, sei es egal, ob ein produktiver Angestellter | |
schwarz sei oder schwul. Auch im Alltag und den Medien könne man heutzutage | |
glücklicherweise nicht mehr rassistische oder sexistische Sprüche machen, | |
ohne verurteilt zu werden. Doch bei der Klassenfrage, beim obszönen | |
Reichtum, bei der Gier der Multimilliardäre sei das ganz anders. „Wir sind | |
sehr nett zu Milliarden“, sagt Sanders „dabei sind [3][das keine netten | |
Menschen.“] | |
Sehr konkret wird er dann an zwei Stellen: Er fordert, dass die | |
Erdöindustrie für die Kosten des Klimawandels aufkommen, denn sie hätten 60 | |
Jahre lang die Öffentlichkeit über die Wahrheit der Erderwärmung belogen. | |
Und als er auf die Gefahren, aber auch Chancen von Künstlicher Intelligenz | |
und Robotik zu sprechen kommt, verkündet er, sich für die 32-Stunden-Woche | |
einzusetzen. Dafür erntet er an dem Abend interessanterweise den größten | |
Applaus. | |
Fans kamen bestimmt auf ihre Kosten. Doch wirklich vertieft wurde kein | |
Thema. Ein paar härtere Nachfragen hätte man sich von der Moderatorin | |
gewünscht. Sanders Analysen sind bestimmt nicht so simpel, wie er sie | |
schlußendlich kommuniziert. Auch seltsam: Sanders erwähnte das Wort | |
socialism kein einziges Mal, dabei hat er den Begriff in den USA wieder | |
salonfähig gemacht. | |
Nachdem die großen Gefahren durch Milliardäre, Klimawandel und Trump | |
skizziert sind, endet der Abend auf einer optimistischen Note: Das | |
Wiedererwachen der amerikanischen Arbeiterbewegung und die idealistische | |
junge Generation machten ihm Hoffnung, sagte Sanders. | |
13 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Analyse-des-gegenwaertigen-Kapitalismus/!5806874 | |
[2] /US-Linke-bei-den-Midterms/!5891880 | |
[3] /Uebernahme-von-Twitter/!5849244 | |
## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
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