# taz.de -- Gründerin über Frauenmagazin: „Wir wollen wirklichen Luxus“ | |
> Mit „Lux“ erscheint in den USA ein Frauenmagazin, das Feminismus und | |
> Sozialismus verbindet. Gründerin Sarah Leonard spricht über das gute | |
> Leben. | |
Bild: Straßenszene in New York | |
taz am wochenende: Frau Leonard, „Lux“ beschreibt sich als sozialistisches, | |
feministisches Magazin. Warum funktioniert das eine, Feminismus, nicht ohne | |
das andere, Sozialismus? | |
Sarah Leonard: Wir definieren Feminismus so, [1][wie es die | |
Literaturwissenschaftlerin und antirassistische Aktivistin bell hooks] tut: | |
als Kampf gegen sexistische Unterdrückung. Das heißt zunächst mal, dass | |
jeder Feministin sein kann. Und es bedeutet, dass es nicht reicht, wenn | |
arme Frauen gleichgestellt mit armen Männern und reiche Frauen | |
gleichgestellt mit reichen Männern sind. Für uns geht es darum, die | |
Unterdrückungssysteme grundsätzlich loszuwerden. Echte Gleichberechtigung. | |
Was vielleicht insbesondere in den USA sehr beliebt ist, ist eine Art von | |
Girl-Boss-Feminismus. Du hast Figuren wie Hillary Clinton, die militärische | |
Interventionen durchgeführt und Sozialhilfereformen unterstützt haben, | |
unter denen Tausende von armen Frauen gelitten haben; Clinton gilt bei | |
vielen aber trotzdem als Feministin, weil sie die erste weibliche | |
Präsidentin geworden wäre. Das ist nicht unser Ding. Feminismus und | |
Sozialismus brauchen einander, weil es sonst keine Gleichberechtigung gibt, | |
und ohne Gleichberechtigung keine Befreiung. | |
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Solidarität wichtiger als | |
Schwesternschaft ist. Worin besteht der Unterschied? | |
Es gibt eine alte feministische Idee, dass wir alle etwas gemeinsam haben, | |
nur weil wir Frauen sind. Und das mag irgendwo ein wenig stimmen. Aber es | |
verdeckt eine Menge der Ungleichheiten zwischen den Frauen, bedingt zum | |
Beispiel durch Rassismus oder Klassenunterschiede. Solidarität ist deshalb | |
nützlicher, weil es betont, dass wir gemeinsam kämpfen und etwas aufbauen | |
müssen. Es bedeutet, dass wir uns die gleichen Ziele setzen. Und es | |
bedeutet auch, dass man Verbündete haben kann, die nicht der eigenen | |
Identität entsprechen, was wiederum eine größere Koalition ermöglicht. | |
Auf der Titelseite der ersten Ausgabe ist die Schwarze Sozialistin | |
Keeanga-Yahmatta Taylor, im Heft gibt es einen langen Artikel über sie – | |
einer von vielen persönlichen Texten. Geht es darum, Sozialismus | |
zugänglicher zu machen? | |
Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass ich Ideen durch Personen besser | |
verstehe, und ich glaube, das gilt für viele Leute. Wir wollen keine | |
trockenen sozialistischen Theorien anbieten, sondern vielmehr erreichen, | |
dass die Leute erkennen, wie diese Ideen in der Welt gedeihen. [2][An | |
traditionellen Frauenmagazinen liebe ich, dass sie so einfach zu lesen | |
sind] und dass sie von Menschen handeln. Und das wollten wir aufnehmen. | |
Aber eben gefüllt mit Sozialismus. | |
Die Bandbreite der Themen ist groß, es geht um die Abschaffung von | |
Gefängnissen, um Sparmaßnahmen im Bildungswesen, Trans-Feindlichkeit unter | |
britischen Feminist:innen, um Luxusparfüms in der Sowjetunion. | |
Wir schränken uns thematisch nicht ein, aber wir kommen mit einer | |
bestimmten Perspektive. Es geht in dieser Ausgabe viel um Sex, um guten wie | |
um schlechten, weil darüber in sonstigen sozialistischen Publikationen | |
nicht oft gesprochen wird. Die Autorin Ariella Thornhill beispielsweise | |
spricht in dem Interview zum Thema radikale Aufklärung über die Bedingungen | |
von sexueller Lust und weist darauf hin, dass es nicht nur darum geht, die | |
Dinge zu entstigmatisieren, sondern darum, materielle Ressourcen | |
bereitzustellen: Tests für Geschlechtskrankheiten, ein sicheres Zuhause, | |
Hormone. Was auch immer Kontrolle über den eigenen Körper ermöglicht, | |
ermöglicht Lust. | |
Sprechen wir über den politischen Moment, in dem „Lux“ erscheint. Trump ist | |
weg, Biden neuer Präsident, mit einem auffällig diversen Kabinett. Sie | |
schreiben im Editorial der ersten Ausgabe, dass diese Art von Inklusion und | |
Vielfalt nur dem Status quo diene. Das ganze Magazin positioniert sich also | |
so sehr gegen die liberale Mitte wie gegen die Rechte? | |
Der Grund dafür ist die totale Unfähigkeit der beiden großen Parteien, die | |
grassierende Ungleichheit in diesem Land anzusprechen, die Platz für Trump | |
gemacht hat. Leute wie Biden dominieren seit Jahrzehnten die | |
Pro-Business-Position der Demokratischen Partei, was bedeutet, dass | |
arbeitende Menschen letztlich keine Partei haben, die ihre Interessen | |
vertritt. Wir sind Trump jetzt vielleicht für den Moment los, aber wenn man | |
die Ungleichheit nicht angreift, werden wir erneut in einer politischen | |
Katastrophe enden. | |
Es ist gefährlich, wenn Leute Vielfalt verkaufen und feiern und das auf | |
Kosten der tatsächlichen strukturellen Veränderungen geht. Und offen | |
gesagt, haben wir als feministisches Medium die Glaubwürdigkeit, dagegen | |
anzugehen. Manchmal, wenn andere linke Publikationen diese Art von | |
Repräsentationspolitik kritisieren, ist es sehr einfach, sie als „Bernie | |
Bros“ abzutun. | |
Mit „Bernie Bros“ sind die männlichen Unterstützer von Bernie Sanders | |
gemeint, denen Sexismus vorgeworfen wird. Ist „Lux“ darauf auch eine | |
Antwort? | |
Der Begriff Bernie Bro wurde von Clinton-Anhänger:innen erfunden, um | |
Bernie-Anhänger:innen grundsätzlich zu diskreditieren, insofern ohne gute | |
Vorsätze. Nichtsdestotrotz gibt es jede Menge Sexismus unter Linken, so wie | |
es jede Menge Sexismus überall gibt. Und es gibt definitiv Linke, die | |
denken, dass Gender und race nicht adressiert werden müssen, was in meinen | |
Augen auf eine sehr reduzierte Klassenpolitik hinausläuft. | |
Die US-Linke hat insgesamt eine Wiederbelebung erfahren. Was ist heute | |
möglich, was vor zehn Jahren nicht möglich gewesen wäre? | |
Vor zehn Jahren war die politische Unzufriedenheit immer spürbarer, aber es | |
gab noch keine sichtbaren Alternativen. Mittlerweile hat sich die | |
Alternative als Sozialismus herauskristallisiert. Die Leute sind hungrig | |
nach politischer Bildung, politischer Konversation und dem Nachdenken über | |
neue Strategien. | |
„Lux“ sollte ein Vergnügen sein, schreiben Sie. Die Betonung liegt auch | |
auf der Utopie: Das ist die Welt, die wir wollen. Entdeckt die Linke dieses | |
Denken gerade wieder? | |
Es gab eine Phase, in der es reichte, dass Sozialist:innen die Mitte | |
und die Rechten kritisiert haben. Jetzt aber fragen die Leute: „Was ist | |
euer Plan?“ Das ist eine viel anspruchsvollere Frage als „Was ist falsch am | |
Liberalismus?“ Ich denke auch, dass der Sozialismus aufgrund des Kalten | |
Kriegs lange mit dem Makel behaftet war, grau und deprimierend zu sein. | |
Aber wir, meine Generation, kennen den Kapitalismus nur so, dass er das | |
Leben grau und deprimierend macht. | |
Ich glaube, dass es schwieriger ist, Leute anzuziehen, wenn man keine | |
Vision hat. Und der Sozialismus hat eine leuchtende, herrliche Vision. Wir | |
wollen viel mehr, wir wollen die Dreitagewoche, wir wollen Familien, die | |
genügend Geld haben, um ein komfortables Leben zu führen, mit einer Fülle | |
von Ressourcen, viel Freizeit. [3][Wir wollen das rote Wiener Modell mit | |
schönen Sozialwohnungen] und wunderbare öffentliche Parks. Ein Ziel des | |
Magazins ist zu zeigen, was wirklichen Luxus ausmacht. Wie wäre das gute | |
Leben ohne reiche Leute? | |
Das Magazin ist nicht nur für das US-amerikanische Publikum gedacht. Warum | |
sollte man es auch in Deutschland lesen? | |
Lux ist in den Inhalten sehr international. Und wir sind generell davon | |
überzeugt, dass die Linke überall stärker wird, wenn wir mehr miteinander | |
kommunizieren, mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern zusammenarbeiten und | |
von ihren Kämpfen lernen. Das Magazin ist auch nach Rosa Luxemburg benannt, | |
von der wir uns viel inspirieren lassen. Rosa Luxemburg war in ihrer Zeit | |
in Deutschland ja nicht nur eine sozialistische Revolutionärin, sondern | |
auch jemand, der sich liebevoll um ihre Genoss:innen gekümmert, viel | |
über Natur und die Künste geschrieben und ganz allgemein versucht hat, so | |
zu leben, dass die Plackerei des Kapitalismus nicht alle Lust nimmt. Für | |
heute gilt, dass die Linke auch deshalb international sein muss, weil | |
Kapital international ist. | |
Sie waren ein paar Mal in Deutschland. Was interessiert Sie an der | |
deutschen und europäischen Linken? | |
Jedes Mal, wenn ich nach Europa komme, fühle ich mich inspiriert, wenn ich | |
mir die verschiedenen Formen des Organizings ansehe. In Deutschland und | |
anderen europäischen Ländern gibt es ja, anders als bei uns, echte linke | |
Parteien. Man kann also beobachten, wie sich linke Parteien in Regierungen | |
verhalten, wo sie erfolgreich waren, wo sie gescheitert sind und wie sich | |
das Ganze auf die außerparlamentarische linke Bewegung auswirkt. | |
3 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Hermsmeier | |
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