# taz.de -- bell hooks Roman „alles über liebe“: Eine kraftvolle Utopie | |
> bell hooks moderner feministischer und antirassistischer Klassiker ist | |
> erstmals auf Deutsch erschienen. Die zentrale Aussage: Lieben ist | |
> politisch. | |
Bild: Für hooks bildet die Familie „die wichtigste Schule der Liebe“ | |
Nichts scheint trivialer als die Rede über Liebe. Dass Liebe mehr als die | |
zum romantischen Ideal aufgeblasene Vorstellung von einem Gefühl sein | |
könnte, zeigt die amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Feministin | |
bell hooks in ihrem Buch „alles über liebe“, dessen Originalausgabe im Jahr | |
2000 erschienen ist. | |
Auch zwanzig Jahre später sind ihre Diagnosen zur gesellschaftlichen | |
Lieblosigkeit aktueller denn je. hooks widmet sich systematisch den Feldern | |
der Liebe – sie betrachtet die familiäre Liebe ebenso wie christliche | |
Nächstenliebe und die Liebe zu Gott. | |
Für hooks bildet die Familie „die wichtigste Schule der Liebe“. Allerdings | |
trete hier die Konsequenz von Lieblosigkeit oder falsch verstandener Liebe | |
besonders deutlich zutage. Entsetzt muss sie bei einer Diskussion mit | |
Bekannten – allesamt Bildungsbürger – feststellen, dass niemand die | |
„erzieherische“ Gewalt am Kind verurteilt. Bereits darin sei die Keimzelle | |
jeder weiteren Form der gesellschaftlichen Gewalt zu erkennen. | |
Wer als Kind keine Liebe erfährt, wird sie in der Partnerschaft nicht geben | |
können. Wer in einer Nahbeziehung nicht liebevoll agiert, wird es auch auf | |
gemeinschaftlicher Ebene nicht tun können. | |
## Fürsorge, Zuneigung, Verantwortung | |
Was aber ist Liebe? hooks besteht auf der Notwendigkeit, das von | |
zahlreichen Bildern überwucherte Feld analytisch freizulegen. Sie spricht | |
lieber von „lieben“ als von „der Liebe“, weil es den aktiven Aspekt der | |
Handlung unterstreicht. „Wenn wir lieben, bringen wir offen und aufrichtig | |
Fürsorge, Zuneigung, Verantwortung, Respekt, Hingabe und Vertrauen zum | |
Ausdruck.“ | |
Es sei schwer, aber notwendig, Liebe nicht als natürlich gegebenen | |
Bestandteil der Familie oder einer Beziehung zu betrachten, sondern als | |
etwas, das aktiv verwirklicht werden muss. Wenn sie in ihrem persönlichen | |
Umfeld über den Mangel an Liebe klage, werde sie regelmäßig an einen | |
Psychologen verwiesen. Es sei aber nicht der Wunsch nach Liebe, der | |
therapiert werden müsse, sondern die Konsequenzen, die der Mangel an Liebe | |
erzeugt. | |
Lieben ist politisch, das ist die zentrale Aussage dieses Texts. Der | |
Verweis auf Liebe – und der damit verbundene Verzicht auf Gewalt – sei es, | |
der alle großen Befreiungsbewegungen kennzeichne. Natürlich denkt bell | |
hooks dabei unter anderem an Dr. Martin Luther King und seine Botschaft der | |
Gewaltlosigkeit. Der Verweis auf King unterstreicht auch bell hooks’ | |
spirituelle Ausführungen. | |
Für hooks selbst ist die Liebe zu Gott eine wichtige Quelle für Kraft und | |
Liebesfähigkeit im Allgemeinen. Nicht jeder Leser mag diesen Ausführungen | |
zu Gottesliebe und Spiritualität folgen. Doch spannend erscheint, dass | |
hooks auch die Möglichkeit eines liebevollen Arbeitsumfeldes ins Spiel | |
bringt; eine Vorstellung, die vielen Lesern womöglich abstrus erscheint. | |
Betrachtet man den Untertitel des Buches, wonach hooks „neue Sichtweisen“ | |
auf die Liebe eröffnen will, muss man einschränken, dass der Text eher eine | |
zeitgenössische – und mit Blick auf politische Gewalt und Rassismus | |
aktualisierte Version von [1][Erich Fromms „Die Kunst des Liebens“] ist, | |
das hooks mehrfach zitiert. Auch für den Psychoanalytiker Fromm bildet der | |
frühkindliche Liebesmangel den Ausgangspunkt für die gesellschaftliche | |
Entwicklung von Angst und deren Abwehrmechanismen, die in Gewalt münden. | |
hooks folgt Fromms Vorstellung von einem normativen Humanismus, der von | |
ubiquitären menschlichen Grundbedürfnissen ausgeht, die jedoch im Rahmen | |
der gesellschaftlichen Verfasstheit häufig unbefriedigt bleiben. Wie Fromm | |
verbindet hooks die Betrachtungen zu Liebe mit der Kritik an einer | |
Gesellschaft, die im kollektiven Narzissmus erstarrt und den Mangel an | |
Liebe und Spiritualität mit Konsumismus übertüncht. | |
bell hooks eröffnet also keine ganz neuen Sichtweisen; trotzdem ermutigt | |
„alles über liebe“ dazu, falsche Vorstellungen von Liebe zu hinterfragen. | |
Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Liebe als politische Kraft. | |
Es ist zudem eine kraftvolle Utopie, die Wirklichkeit werden könnte, | |
erlernten nur mehr Menschen die Kunst des Liebens. | |
7 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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