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# taz.de -- „bone black“ von bell hooks: Das Problemkind
> Zwischen Gewalt in der Familie und Liebe für Literatur – in „Bone Black�…
> erzählt die US-amerikanische Feministin bell hooks von ihrer Kindheit.
Bild: Autorin und intersektionale Feministin: bell hooks
Wie wird aus einem kleinen Schwarzen Mädchen aus Kentucky eine der
wichtigsten Feministinnen unserer Zeit? Knapp zwei Jahre ist es her, dass
die [1][Literaturwissenschaftlerin und Autorin bell hooks mit nur 69 Jahren
verstorben] ist. Sie hinterließ [2][bahnbrechende Werke zu den Themen Race,
Klasse, Geschlecht, Liebe und Gewalt,] die erst seit 2020 nach und nach ins
Deutsche übersetzt werden – so nun auch ihre Kindheitserinnerungen.
Das 1996 in den USA veröffentlichte Buch „Bone Black. Erinnerungen an eine
Kindheit“ eignet sich gut, um in bell hooks Werk einzusteigen. Bone Black,
das sei eine „dunkle, tiefschwarze innere Höhle“, in der hooks eine Welt
für sich selbst erschafft, zu sich kommt. Diese Welt ist bei hooks geprägt
von Büchern, die zum Teil aus der Mülltonne kommen. Denn bell hooks kommt
aus einem Haushalt mit wenig Geld, in dem das Mädchen gewarnt wird, dass
Bücher verrückt machen könnten.
Die kleine Gloria Jean Watkins, wie bell hooks gebürtig heißt, wird als
Problemkind gesehen, die Eltern geben den Büchern die Schuld an dem
widerständigen Geist ihrer Tochter: „Sie lassen mich nicht lesen, bevor ich
nicht all meine Arbeit erledigt habe.“ Trotzdem findet Gloria immer wieder
Zugänge zu Büchern. Sie sieht Bücher auch von Schwarzen Autor*innen im
Regal stehen. Ihr Alltag lehrt sie, dass die Welt eher ein Zuhause für die
Weißen ist, es aber auch arme Weiße gibt, deren Essen schlechter als ihr
eigenes aussieht.
## Verschiedene Identitäten
Die eigene [3][Armut] ist dem Kind zunächst nicht bewusst. Erst
rückblickend versteht sie, dass das rote Auto, in dem sie und ihr Bruder
sich gegenseitig kutschiert haben, eigentlich eine rote Schubkarre war.
Genau diese Schubkarre, ein Spielzeug, habe ihrem Bruder und ihr
verschiedene Identitäten aufgezwungen. Sie zog gerne ihren Bruder – aber
die Erwachsenen fanden, der Junge müsse schieben. Dieser liebt es aber,
seine Schwester für sich arbeiten zu lassen.
Insgesamt scheinen die Geschwister in dieser Familie für Gloria keine
Stützen zu sein. Sie sind die „Normalen“, die sie immer wieder von ihrer
Einkehr abhalten wollen, denen sie zuruft: „Lasst mich in Ruhe!“ Und die
sie, als sie sich aus Verzweiflung ein heißes Bügeleisen auf den Arm
drückt, sie nur als „verrückte Idiotin“ verschreien. Die kleine Gloria
wächst in Opposition zu ihren fünf Geschwistern auf, in einem Haus voller
Gewalt, in der der Vater alle Familienmitglieder schlägt, seine Frau
besonders.
So schwer die Themen in „Bone Black“ auch sind, ist das Buch doch leicht zu
lesen. Wie auch in ihren theoretischen Büchern schreibt hooks nahbar.
Marion Kraft übersetzt den liebevollen hooks-Ton sehr gut, allerdings
bleiben englische Formulierungen wie „speaking in tongues“ oder „strange
enough“ in der Eins-zu-eins-Übersetzung als Stolpersteine im Lesefluss
liegen.
## Vorbilder für das Leben
Wie werden wir, wie wir sind? Die äußeren Umstände des Aufwachsens, das
Umfeld, das einen prägt – all dies formt nicht alleine einen Menschen. Da
gibt es natürlich die Vorbilder. Den Großvater, der ihr sagt, dass niemand
sie zwingen könne, etwas gegen ihren Willen zu tun. Oder Miss Willie Gray,
eine alte Lady, für die hooks arbeiten muss, die sie fasziniert, weil sie
unabhängig und unverheiratet ist. Oder ihre Großmutter Saru, die hooks’
Träume deutet und vorausahnt, „dass ich eine Kriegerin sein werde.“ Aber
diese Kontakte haben auch ihre Geschwister.
Warum entwickelt gerade bell hooks diese Liebe zu Büchern – und keines
ihrer Geschwister? Wie ist aus Gloria Jean Watkins die Feministin geworden,
die bereits mit 19 ihr zentrales Werk „Ain’t I a Woman: Black Women and
Feminism“ geschrieben hat? Das kann das Buch nicht ganz beantworten.
Womöglich spielte ihr starkes Asthma eine Rolle, das sie, so beschreibt es
hooks in ihren Erinnerungen, zum Problemkind gemacht habe, „immer Sorgen,
immer krank“.
Aber ihre immer präsente Opposition, ihr Widerstand, ihr Hinterfragen ist
von klein auf schon da. Letztlich zeigt bell hooks mit ihren Erinnerungen,
dass aus einem kleinen Schwarzen Mädchen aus einem armen Haushalt eine
starke Frau in dieser Welt werden kann. Nicht im Sinne einer „Vom
Tellerwäscher zum Millionär“-Mentalität, in der jede es schaffen kann, wenn
sie sich nur anstrengt. Sondern als Erinnerung an die Erwachsenen, dass
Können und Klugheit auch in denjenigen liegt, die keine Privilegien haben.
„Bone Black“ hat das Potenzial, auch zum Nachdenken über die eigenen
Lebensparameter anzuregen. Welche Menschen waren für einen selbst
Vorbilder? Welche Werte wurden einem mitgegeben? Welche Verletzungen sind
entstanden? Wann spielte Behinderung eine Rolle? Wann Homosexualität oder
Race? Wie in bell hooks weiteren Werken geht es ihr auch in ihren
Kindheitserinnerungen nicht primär um sich, sondern um die Leser*innen, die
sie als Akteur*innen für Veränderung sieht. Wie gut, dass immer mehr
ihrer Bücher auf Deutsch zur Verfügung stehen.
21 Mar 2024
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-bell-hooks/!5818801
[2] /bell-hooks-Roman-alles-ueber-liebe/!5789250
[3] /Schwerpunkt-Armut/!t5007647
## AUTOREN
Katrin Gottschalk
## TAGS
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Feminismus
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Elterliche Gewalt
Liebe
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Erziehung
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