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# taz.de -- Erich Fromm: Die Kunst der Abfuhr
> Anders als Jean-Paul Sartre und andere Intellektuelle wollte er sich
> nicht vor den Karren der RAF spannen lassen: Der Psychoanalytiker Erich
> Fromm.
Bild: Erich Fromm wollte kein Hampelmann sein
Ihre Situation war prekär. Möglicherweise hätte jeder und jede in ähnlichen
Verdachtslagen resigniert. Auf absehbare Zeit keine Freiheit mehr - das ist
von Untersuchungsgefangenen oder bereits Verurteilten überliefert: dass die
Gewissheit, nun einzusitzen, alle Wut erstickt und Depression sich der
Gemüter bemächtigt.
Nicht so bei den Insassen der RAF. Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und
Andreas Baader begriffen ihre Inhaftierung als Chance zur Fortsetzung ihres
Kampfes mit anderen Mitteln: Sie wussten nur zu gut, dass draußen, in
Freiheit, vielleicht nicht Millionen, aber doch Hunderttausende ihnen
Glauben schenken würden. Dass sie isoliert würden, dass ihre
Haftbedingungen unmenschlich seien und die Zukunft verheerend.
Die Linke draußen, jene, die sich wie im Endkampf fühlten, in einer
Atmosphäre der endgültigen Enthüllung der Bundesrepublik als faschistischer
Staat, sogen die Botschaften aus Stammheim auf wie Bienen den Nektar. So
müsse es in Auschwitz gewesen sein, wurde geraunt, von Gas war die Rede;
Fantasien, SS-ähnliche Killerkommandos würden die Stammheimer hinrichten,
wurden genährt. Keinen Deut depressive Verstimmung war vor über 30 Jahren
den Stammheimern anzumerken - im Gegenteil war man sich sicher, bald
freigepresst zu werden.
Dass alles nur Propaganda war, kann heute gewusst werden. Und einer dieser
nützlichen Idioten, die sich gern haben instrumentalisieren lassen für
einen Auftritt in der Politoperette "Die RAF und ihre Esel", war der
französische Starphilosoph Jean-Paul Sartre. Im Bundesarchiv sind
inzwischen seine Schreiben an die Bundesanwaltschaft nachzulesen, in denen
er sein Ansinnen, Andreas Baader zu besuchen, formuliert. Am 3. November
1974 schrieb er, dass er Andreas Baader "einige Fragen" stellen wolle, "die
für das Verständnis der Welt der 70er-Jahre wesentlich sind: die Konzeption
der revolutionären Aktion, die sie tragende Ideologie und die wichtigsten
Wirkungen, die von ihr zu erwarten sind".
Sartre war vom Anwaltsbüro Klaus Croissant über die "mörderischen
Haftbedingungen" ins Bild gesetzt worden - und der Franzose, der
tatsächlich aus den Erfahrungen seines Landes seit dem Algerienkrieg von
solchen Haftbedingungen wusste, folgte die Bitte gern. Als Dolmetscher
erbat er sich, da er kein Deutsch konnte, den deutsch-französischen
Graswurzelpolitiker Daniel Cohn-Bendit, in jenen Jahren eine legendäre
Figur seit der Revolte von Paris Ende der Sechzigerjahre. Die Frankfurter
Rundschau berichtete am 14. November 1974 über ihn, er habe die Linke dazu
aufgerufen, sich mit der RAF zu solidarisieren: Der Mann, ein Freund
Sartres, hatte einfach in den Kreisen der RAF und den Milieus um sie herum
viel Kredit.
Generalbundesanwalt Siegfried Buback lehnte in einer Stellungnahme das
Ansinnen brüsk ab. Er wies darauf hin, dass Sartre keineswegs als neutraler
Mann komme, sondern als Quasisympathisant. Aus der Frankfurter
Studentenzeitung Diskus zitierte er den Philosophen mit den Worten: "Aber
eine Revolution muss eine gewisse Anzahl von Menschen, die für sie eine
Gefahr darstellen, loswerden, und ich sehe dafür keine andere Lösung, als
sie zu töten."
Das Gericht ging über Bubacks Warnungen hinweg - und erlaubte Sartre
schließlich den Trip ins Schwäbische: Stammheim war in jenen Tagen längst
eine Art Wallfahrtsort aller geworden, die dort einen neuen
Reichsgerichtshof erkennen wollten. Das Medienaufgebot war mächtig. Nach
dem Besuch teilte Sartre über sein Treffen mit Andreas Baader mit: "Ich
bemerkte während des Gesprächs, dass er sehr schwach war. Er hat das
Gesicht gehabt eines gefolterten Menschen, der ausgehungert war." Und
gelesen werden sollte: ein Märtyrer, der sich opfert!
Inoffiziell soll Sartre Cohn-Bendit mitgeteilt haben, dass er Baader für
einen Idioten hielt, einen Narren, ungebildet und seiner Hilfe nicht weiter
bedürftig. Tatsächlich war für das innere Klima der Bundesrepublik wichtig,
dass mit Jean-Paul Sartre ein Schulbuchphilosoph mit schwer wiegender
Stimme sich die Sicht der RAF-Insassen zu eigen gemacht zu haben schien.
Ein grandioser Werbeeffekt muss in RAF-Kreisen bilanziert worden sein, ein
Resultat, wie es nicht besser hätte ausfallen können: Ein Mann, der
intellektuell jedenfalls früher über jeden Zweifel erhaben schien,
ratifiziert durch seine schiere Präsenz die Gegenwart eines im Stammheimer
Gefängnis real gelebten Martyriums.
Einen ähnlichen Public-Relations-Coup wollten die RAF und ihre
Prozessstrategen aus dem Büro Klaus Croissants etwa ein Jahr später landen.
Sartre hatte seinen Zweck erfüllt, Stammheim galt öffentlich weithin als
Symbol der Folter, gegen die nur noch militanter Protest helfe, als
Todestrakt, der nötigenfalls aus dem Untergrund heraus, mit Waffen bewehrt
in Angriff genommen werden müsste. Nun suchte man um Unterstützung bei
einer noch größeren Nummer, bei einem VIP der linken und linksliberalen
Szene, ihrem Stichwortgeber - und glaubwürdiger noch als Sartre, denn der
Franzose war in puncto Nationalsozialismus in keine aktive Rolle als
Kämpfer der Résistance hineinzubiegen. Der Mann war ein weltberühmter
Autor: Erich Fromm, Verfasser seines aus heutiger Sicht leicht
hausbacken-unkomplizierten Breviers namens "Die Kunst des Liebens", aus dem
die damalige Generation mitgenommen haben dürfte, dass das Haben schlecht
sei, das Sein aber klasse, dass Liebe im Grunde nicht gut möglich sei, wenn
immer nur die Selbstliebe gemeint sei.
Fromm hätte aber noch ein anderes werbewirksames Kapital mitgebracht: Er
war Jude, ein deutscher Jude des Jahrgangs 1900, in Frankfurt am Main
geboren, Sozialpsychologe und Psychoanalytiker, der 1934 aus Deutschland in
die USA emigrierte. Er zog in der Nachkriegszeit in die Schweiz, nach
Tessin. Dort erreichte ihn das Schreiben aus der Anwaltskanzlei Croissant:
"Sehr geehrter Herr Professor Dr. Fromm!", hieß es bürgerlich formvollendet
in der Anrede, "die besonderen Haftbedingungen, denen die Gefangenen []
ausgesetzt sind, werden in dem [] Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun
Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe eine wesentlich Rolle spielen."
Weiter bitten sie ihn, als Sachverständiger in dem Strafprozess
aufzutreten. Anders als Sartre allerdings sollte Fromm nicht nach Stammheim
eingeladen werden, sondern sich mit zwei Unterhändlern an einem Ort
außerhalb des Gefängnisses treffen. Möglicherweise hätte Fromm auch an Ort
und Stelle erkannt, was Sartre nicht sehen mochte: dass er Baader
keineswegs in seiner komfortabler Zelle besuchte, sondern im ungemütlichen
Besuchertrakt.
Fromm aber schrieb am 25. April 1975 an die Bittsteller zurück - und was er
mitteilte, war härter als alles, was die RAF und die Ihren bis dahin
auszuhalten hatten: eine Abfuhr in taktvollem Ton. Weil es ein Dokument
ist, das der Autor Kurt Oesterle in keiner der üblichen RAF-Historiografien
fand, sondern ihm aus dem Erich-Fromm-Archiv in Tübingen zugespielt wurde,
sei es weitgehend zitiert: "Ich würdige Ihren Wunsch beziehungsweise den
Wunsch der Angeklagten, dass ich mit Ihnen und Frau [] ins Gespräch kommen
möge. Jedoch muss ich zugeben, dass ich einigermaßen erstaunt bin, dass die
Angeklagten dieses Gespräch wollen, obwohl sie meine Schriften kennen. Ich
hätte eher vermutet, dass meine politische Haltung ihnen so negativ
erscheint, wie die ihrige es für mich ist. Um es deutlich zu sagen, bin ich
radikal gegen ihre Strategie und ihre Taktik, die ich politisch und auch
menschlich äußerst abstoßend finde."
Trotzdem hindere ihn dies nicht, üble Haftbedingungen zu kritisieren -
wobei an dieser Stelle vielleicht erwähnt zu werden verdient, dass aus der
Haft heraus alle strategischen Erwägungen den Nichtinsassen vermittelt
werden konnten, von strikter Isolation ohnehin keine Rede sein konnte.
Fromm schrieb nun: "Aber es gibt noch ein anderes Problem, weshalb ich die
Grundthese nicht teile, dass Isolation im Gefängnis an und für sich schon
Folter ist und zu schweren Persönlichkeitsstörungen führen muss. Ich
bezweifle nicht, dass für einzelne Gefangene [] Isolation schädlich sein
kann; das ist auch der Grund, warum ich prinzipiell dagegen bin. Aber es
ist ein weiter Weg, bevor man von Folter sprechen sollte. Folter wird heute
weltweit angewandt, um Gefangene einzuschüchtern und zu demütigen; sie ist
ein Terrorinstrument vieler Regierungen. Darum bin ich auch überzeugt, dass
man den Folterbegriff dort gebrauchen sollte, wo er zutrifft. []
Geräuschdämmung zum Beispiel ist sicherlich ein gravierender Haftumstand,
doch glaube ich nicht, dass es sich dabei notwendigerweise um eine
Grausamkeit handelt."
Dieser Antwort setzte die RAF nichts entgegen - Fromm wollte kein
Hampelmann sein, und das konnte er obendrein auch noch exzellent begründen.
In einem Radiofeature kritisierte Fromm ein Jahr darauf, dass die
Bundesrepublik ihre Freiheit durch Terrorhysterie gefährde. Und den
Gefangenen von der Roten-Armee-Fraktion attestierte er, "dass sie die
Fähigkeit, zu lieben, verloren haben" und nun "ihre Unfähigkeit durch die
Idee ersetzen, ihr Leben zu opfern". Besonders mit Blick auf die noch in
den Sechzigern zum linksbürgerlichen Establishment zählende Ulrike Meinhof
teilte er mit: "Es kommt noch ein Mangel an Vernunft, an theoretischer
Ausbildung und an kritischem Denken hinzu, der leider bei dieser Generation
- und auch bei jenen, die sich Marxisten oder Revolutionäre nennen - sehr
verbreitet ist. Dieser Mangel an politisch-theoretischer Bildung und einem
entsprechenden Wissen führt dann leicht zum Bruch mit der Realität: zu
jenem Narzissmus, in dem man alles für möglich hält, weil man nichts weiß
und wirklich erforscht."
Eine knochentrockenere Kritik am Konzept des bewaffneten Kampfes der RAF
gab es bis dahin nicht. Mit den Selbstmorden der RAF-Kader Baader, Ensslin
und Raspe in Stammheim am 18. Oktober 1977 hatte diese im Grunde dem
Existentialismus verpflichtete Politik ihren Zenit überschritten: Die Welt
hatte sie nicht erhört, also sollte die Welt sie nicht mehr haben.
10 Sep 2007
## AUTOREN
Jan Feddersen
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