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# taz.de -- Twitter-Debatte über Schriftstellerin: Kommunismus als Clickbait
> Mit einem Satz zum Kommunismus löste die Autorin Elisa Aseva eine
> schrille Twitter-Debatte aus. Um politische Fragen geht es dabei längst
> nicht mehr.
Bild: #Kommunismus: Karl Marx käme die heutige Twitter-Debatte wohl verdreht v…
Twitter hat entschieden und eine kellnernde Schriftstellerin zu
Deutschlands neuester Top-Linksextremistin ernannt. Eigentlich war Elisa
Aseva nur bei Deutschlandfunk Kultur zu Gast, um nett über ihr
schriftstellerisches Debüt „Über Stunden“ und den eigenen Weg zum Schreib…
zu plaudern.
Als nach einer knappen Dreiviertelstunde Podcast die Themen etwas rar
wurden, kamen Asevas Gesprächspartner irgendwie auf Politik und den
späteren Twitter-Aufreger Kommunismus zu sprechen. Aseva, die, wie sie
sagte, lieber zum Trinken übergegangen wäre, als über Politik zu reden,
grundsätzlich lieber Party macht und sich angenehmeren Dingen widmet, ist
nämlich überzeugt, „dass wir den Kommunismus haben müssen, wenn wir eine
Zukunft für alle wollen“.
Die teils bierernsten Reaktionen der konservativen Twitterblase: Aufregung,
mahnende Worte und etwas Geschichtsunterricht mit erhobenem
Emoji-Zeigefinger. „Diesmal wird’s ein sanfter, menschlicher Kommunismus,
wo wirklich nur die ermordet werden, die der Gesellschaft keine andere Wahl
lassen“, twittert Julian Reichelt, als bereits eine Pro-und-Contra-Debatte
unter dem Hashtag „Kommunismus“ unterwegs ist. Humorgrenze: erreicht. Das
K-Wort sagt und twittert man nicht. Es geht um Menschenleben! Immerhin
steht die Deutsche Kommunistische Partei bei den Wahlen kurz vor dem
Durchbruch der 0,1-Prozent-Schwelle.
Reichelt und Konsorten haben offensichtlich Schwierigkeiten, sich im
digitalen Zeitalter zurechtzufinden. Was ernst ist, was wirklich mit
Politik und der Veränderung der Welt zu tun hat, und was nicht, ist da gar
nicht so einfach zu unterscheiden. Besonders, wenn man geneigt ist, die
Twitter Aufmerksamkeitsökonomie sehr ernst zu nehmen, weil die eigene
berufliche Existenz mit dranhängt. Twitter wie andere soziale Medien sind
zu 95 Prozent – „links“ wie „rechts“ – Unterhaltung, Politainment,
Kulturindustrie: Also „Aufklärung als Massenbetrug“, wie die Marxisten
(hoppla) Theodor W. Adorno und Max Horkheimer sagen würden.
## Radikaler Schick für werbliche Zwecke
Den Gipfel der Abwegigkeit erkletterte übrigens Welt-Kolumnist Don Alphonso
(aka Rainer Meyer), der den Podcast mit Aseva ernsthaft zum Anlass für
Empörung über öffentlich-rechtliche „Zwangsgebühren“ nutzte, wo
„Kommunismus als wünschenswert und Deutschland als „Schrottgesellschaft“
bezeichnet wird“, wie Meyer tweetete. Vielleicht sollte jemand Meyer
stecken, dass die Feinde der offenen Gesellschaft allem Anschein nach auch
das Privatfernsehen unterwandert haben: Die etablierte Showgröße Dieter
Bohlen, seines Zeichens ehemaliges [1][Mitglied der Deutschen
Kommunistischen Partei] und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend,
äußerte sogar mal auf Viva: „Diese Grundidee vom Kommunismus ist ja voll
geil.“ Vielleicht würden Reichelt, Meyer und Co. dann beruhigt einsehen,
wie wenig solche privaten Auskünfte einzelner Kulturschaffender bedeuten.
Im Grunde muss man dem Deutschlandfunk für cleveres Marketing und ein gutes
Gespür für Trends gratulieren. Aus dem einstündigen Podcast wählte die
Social-Media-Redaktion treffsicher Asevas pikante Aussage zum Kommunismus
als Teaser aus und fabrizierte damit einen Eins-A-Clickbait. Asevas Buch
war kurz darauf ausverkauft. Die schlauen Redakteurinnen und Redakteure
haben intuitiv erkannt, dass der Zustand der kommunistischen Weltbewegung
derart desolat ist, dass ihr radikaler Schick gefahrlos für werbliche
Zwecke herhalten kann. Selbst negative Aufmerksamkeit ist eben
Aufmerksamkeit.
Revolutionär klingende Label wie Sozialismus und Kommunismus trenden im
Internet seit der ersten Kampagne von Bernie Sanders 2015 und dem wenig
nachhaltigen Erfolg von Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party,
besonders unter Millennials und der Generation Z. Juso-Apparatschik Kevin
Kühnert musste sich das Rezept danach nur noch abschreiben und schon lief
die Karriere bis zum Generalsekretärsposten.
## Kommunismus als politische Verjüngungskur
Inzwischen hat sich der werbliche Effekt von Sozialismus unter jungen
Linken schon etwas verbraucht. Irgendwann dämmert auch den Gutgläubigsten
in den USA und dem Vereinigten Königreich, dass die Demokraten nach wie vor
die älteste und elitärste kapitalistische Partei der Welt sind und auch die
Labour Party sich nur einen neuen Anstrich gegeben hat, um sich zu
verjüngen.
Verbalradikalismus substituiert Inhalt eben nur kurzweilig und muss daher
beständig erneuert, das heißt: durch kräftigere Worte überholt werden.
Ebenso augenzwinkernd wie erfolglos versuchten es Corbyn-Anhänger schon mit
dem Label „Acid-Communism“; was immerhin gut zusammenfasst, was mit
Kommunismus heute gemeint ist: ein Wohlfahrtsstaat auf Steroiden oder mit
trippigen Extras.
Der Gründer des gegenwärtig wohl prominentesten [2][linken Magazins
Jacobin], Bhaskar Sunkara, gibt beispielsweise Dänemark und Schweden als
„sozialistisches“ Vorbild für den Rest der Welt aus. Nicht zufällig gehen
diese Sozialstaaten nordischen Modells mit einer besonders restriktiven
Einwanderungspolitik einher: Eben weil nicht die ganze Welt, sondern nur
kleine, reiche Staaten mit einer überschaubaren Bevölkerung, die von der
Ausbeutung des Rests der Welt profitieren, sich den Sozialstaat leisten
können.
## Kulturelles Phänomen statt politischer Debatte
Vor dem Godesberger Programm der SPD, in dem 1959 offiziell die endgültige
Abkehr vom Marxismus beschlossen wurde, kamen mit Sunkara vergleichbare
Losungen noch aus CDU-Kreisen – was kein Zeichen dafür ist, wie
vermeintlich „links“ die CDU damals war, wie Sahra Wagenknecht in ihrem
Buch über Ludwig Erhard verklickern will. Sondern eines dafür, wie weit
rechts die äußerste „Linke“ heute gemessen am größeren historischen Ma�…
steht. Karl Marx wäre das in der Tat verdreht vorgekommen: Ironischerweise
bedeutet Kommunismus heute genau das Gegenteil dessen, was es zur Zeit der
Abschrift des „Manifests der Kommunistischen Partei“ hieß, nämlich nicht
die freie Assoziation der Produzenten, die das weltweite System der
Nationalstaaten ersetzt, sondern umgekehrt, einen besonders starken Staat.
Die unter dem #Kommunismus geführte Debatte ist auf beiden Seiten so
bizarr, dass sie nur verdient, als kulturelles Phänomen kommentiert zu
werden. Ernsthaft politisch ist sie nicht. Asevas Aussagen zum Thema sind
moralischer Natur. Sie reichen an die Grundfragen von Politik – welche
gesellschaftlichen Kräfte und Parteien was genau wie erreichen sollen –
nicht heran. Sie sagen nur, es soll keine sozialen Klassen mehr geben. Wer
würde das nicht wollen?
Typischerweise haben Konservative darauf in der Vergangenheit sachlich
reagiert, entweder abgestritten, dass es in der gegenwärtigen Gesellschaft
Klassen gibt, oder erklärt, dass wir auf dem besten Weg zu mehr Gleichheit
und Gerechtigkeit sind. Heute aber blicken alle politischen Lager
pessimistisch in die Zukunft und reden in Termini der Schadensbegrenzung.
Womöglich reagiert das konservative Twitter-Deutschland so sensibel, weil
inzwischen selbst die urbürgerliche Idee (und das ist nicht abwertend
gemeint) sozialer Gerechtigkeit subversiv wirkt.
## Die lange Tradition des Antikommunismus
Damit erinnert der Shitstorm um Asevas Äußerungen daran, dass Konservative
„Politische Korrektheit“ und „Cancel Culture“ während des Kalten Krieg…
erfunden haben. Damals bezichtigten Rechte alle missliebigen linken
Meinungen des Kommunismus, drängten sie aus der Öffentlichkeit und
entließen vermeintliche oder wirkliche Kommunistinnen und Kommunisten aus
ihren Jobs.
In Deutschland gab es beispielsweise jahrelang den sogenannten
[3][Radikalenerlass], der einem Berufsverbot im öffentlichen Dienst für
jeden links der SPD gleichkam. In Bayern wirkt er in Form eines Fragebogens
zum politischen Engagement der Bewerberinnen und Bewerber [4][bis heute
nach].
Reichelt und Co. stehen keineswegs prinzipiell für liberale Werte ein und
sind offenbar sensibel, was ihre eigenen Vorstellungen von „Politischer
Korrektheit“ angeht. Aseva hat das gezeigt, danke dafür. Dass
selbsternannte „Linke“ heute fleißig beim Canceln mitmischen, zeigt dabei
nur noch mal, wie konservativ der gegenwärtige politische Grundkonsens ist.
16 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/60-geburtstag-dieter-bohl…
[2] /Anleitung-zur-Kapitalismuskritik/!5647410
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/346271/vor-50-jahren-radi…
[4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-01/linke-bayern-extremismus?ut…
## AUTOREN
Jan Schroeder
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