| # taz.de -- CDU und Antikommunismus: Gefangen | |
| > Die Einigung von Erfurt ist für die CDU keine Lösung: In der Praxis ist | |
| > ihr Antikommunismus überholt, für die Partei bleibt er aber | |
| > lebenswichtig. | |
| Bild: Der Thüringer Plenarsaal sieht selbt fast wie ein Hufeisen aus | |
| Scheinbar ist die CDU in Erfurt doch noch irgendwie davongekommen. Kein | |
| Christdemokrat musste einen Linken zum Ministerpräsidenten wählen. Die | |
| CDU-Fraktion enthielt sich. Bodo Ramelow hat der Union diesen Ausweg im | |
| letzten Moment weitsichtig geöffnet. | |
| Ist die Erfurter Affäre damit vorbei? Ein Desaster mit mildem Ausgang? Der | |
| Versuch der CDU, mit der Höcke-AfD klammheimlich gemeinsame Sache zu | |
| machen, wäre der Türöffner für konservativ-rechtsradikale Allianzen im | |
| Osten gewesen. Das ist gescheitert, aber nur wegen massiven Drucks von | |
| außen. Nun gibt es immerhin eine [1][handlungsfähige Notregierung.] Das ist | |
| etwas wert – denn eine fortgesetzte Selbstblockade der demokratischen | |
| Parteien hätte der AfD genutzt. | |
| Für die CDU aber ist gar nichts gut. Ihre Widersprüche sind nur für den | |
| Moment überdeckt. Man betreibe in Erfurt nun „konstruktive Opposition“, | |
| heißt es. Das ist eine Täuschung. Die Vereinbarung mit Rot-Rot-Grün umfasst | |
| den Wahltermin, das Abstimmungsverhalten der Fraktionen, einzelne Projekte | |
| und den nächsten Haushalt. Das ist vernünftig, und es ist das Beste, was | |
| die CDU tut kann. Aber faktisch duldet sie damit Rot-Rot-Grün. Keine | |
| rhetorische Nebelkerze kann den Blick darauf verstellen, dass die CDU in | |
| Erfurt genau das tut, was sie im Bund kategorisch verboten hat: Sie | |
| arbeitet mit der Linkspartei zusammen. Solche Selbstwidersprüche zersetzen | |
| die Glaubwürdigkeit jeder Partei. | |
| Dieses Dilemma ließe sich auflösen: Die CDU müsste die tumbe Gleichsetzung | |
| von AfD und Linkspartei aufgeben, mit den Rechtsextremen jede Kooperation | |
| strikt ausschließen und mit der Linkspartei eine Zusammenarbeit erlauben, | |
| wo es gar nicht anders geht. Wenn die Praxis nicht zum Beschluss passt, ist | |
| es ja naheliegend, den Beschluss zu ändern. | |
| Doch genau das kann die CDU nicht. Dafür müsste sie sich von der | |
| Hufeisentheorie, wonach linker und rechter Extremismus gleich | |
| demokratieschädlich sind, verabschieden. Damit aber bekäme ihr | |
| Selbstverständnis als Kraft der Mitte zwischen den Extremen einen Riss. | |
| Und: In der Ära Merkel wurden viele alte Überzeugungen auf den Sperrmüll | |
| der Parteigeschichte entsorgt: Wehrpflicht, Atomkraft, ein traditionelles | |
| Familienbild, die bockige Behauptung, Deutschland sei kein | |
| Einwanderungsland. Nur hinten in der Ecke steht noch ein alter Sessel, der | |
| schon lange nicht mehr benutzt wurde. | |
| Die Union aber kann sich von dem von reichlich Spinnweben überzogenen | |
| [2][Antikommunismus] nicht trennen. Dann würde erst recht auffallen, wie | |
| leer der Raum ist. Ole van Beust, ein liberaler Christdemokrat, hat recht: | |
| „Der Antikommunismus ist nun mal ein Gen der CDU.“ Die Klügeren in der | |
| Union wissen, dass der historische westliche Antikommunismus nicht nur | |
| Ausweis wehrhafter Demokratie war, sondern sehr hässliche Seiten hatte. Er | |
| war eine Ideologie, die Ex-Nazis half, sich lautlos in die Elite der | |
| Bundesrepublik zu integrieren. Kurzum: Dieser Antikommunismus, zumal ohne | |
| echte Kommunisten als Gegner, gehört auf den Müll. Doch die Union braucht | |
| ihn. | |
| Die Lage ist vertrackt. Die Frage, ob man eher mit der AfD oder mit der | |
| Linkspartei zusammenarbeitet, teilt die eigene Klientel in der Mitte. Und | |
| [3][Teile der CDU] zwischen Pirna und Rostock stehen den Rechten ziemlich | |
| nahe. Die Union muss eine grundsätzliche Entscheidung fällen. Das | |
| Grundsätzliche war allerdings nie ihre Stärke – erst recht nicht nach 15 | |
| Jahren Merkel. Und das politische Besteck der Merkel-Ära – Probleme | |
| isolieren, in handliche Portionen zerlegen und, wenn sie sich nicht lösen | |
| lassen, vertagen – wird nicht helfen. | |
| „Wir haben Bodo Ramelow nicht gewählt. Die Bürger wissen also, woran sie | |
| bei der CDU sind“, sagte CDU-Mann Mario Voigt in Erfurt. So ist es nicht. | |
| Die CDU weiß selbst nicht, woran sie bei sich ist. Das Drama ist nicht zu | |
| Ende. Es gibt nur eine Pause, ein Atemholen. | |
| 7 Mar 2020 | |
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| Stefan Reinecke | |
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