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# taz.de -- Die CDU und die Thüringen-Affäre: Angezählt
> Annegret Kramp-Karrenbauer galt als eine mögliche Nachfolgerin von
> Kanzlerin Merkel. Danach sieht es nach dem Desaster von Erfurt nun nicht
> aus.
Annegret Kramp-Karrenbauer ist gekommen, um ihre Niederlage als Erfolg zu
verkaufen. Wieder einmal. Am Freitagnachmittag – nach einer
nervenzerrüttenden Nacht in Erfurt und Stunden des Streits im Präsidium in
Berlin – muss die CDU-Vorsitzende erklären, warum die Thüringer
Abgeordneten einfach nicht mittragen, was sie von ihnen fordert: Neuwahlen
in Thüringen durchzusetzen.
Aus müden Augen blickend und mit trotziger Stimme erklärt sie stattdessen,
nun sollten SPD und Grüne mal mit einem geeigneten Kandidaten für das Amt
des Ministerpräsidenten aus der Deckung kommen. Erst wenn das nicht
gelinge, seien Neuwahlen „unausweichlich“. Es ist der xte Versuch der
Annegret Kramp-Karrenbauer, ihre Stellung zu behaupten.
In der nun beginnenden Woche muss sie zeigen, warum sie CDU-Vorsitzende
bleiben will. Warum sie den Posten behalten soll, um den sie einst so zäh
gekämpft hat und den ihr immer mehr Mitglieder in der eigenen Partei
streitig machen. Vor allem aber muss klar werden, aus welchem Grund, aus
welcher Überzeugung heraus sie beansprucht, die nächste Kanzlerkandidatin
der Unionsparteien werden zu können. Oder eben nicht.
An diesem Montag bietet sich der 57-Jährigen eine gute Gelegenheit dazu. Um
neun Uhr trifft sich im Berliner Konrad-Adenauer-Haus das CDU-Präsidium,
für elf Uhr ist die Sitzung des Bundesvorstands terminiert. Die
„Parteifreunde“ – wie man sich in einer Mischung aus Nähe und
Distanziertheit gern innerhalb der Christlich-Demokratischen Union nennt –
werden einiges zu besprechen haben. Und es scheint nicht ausgeschlossen,
dass die Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt, wo der Spaß für sie
endgültig endet.
## Viel Feind, wenig Ehr
Die Werte-Union, dieser selbst ernannte Anti-Merkel-Kampfverband innerhalb
der CDU, könnte mal eine ordentliche Ansage gebrauchen. Ebenso der Chef der
Jungen Gruppe im Bundestag, Mark Hauptmann, der sich offen gegen den
Rauswurf des Ostbeauftragten Christian Hirte durch die Kanzlerin gewandt
hat. Und natürlich Mike Mohring, der Thüringer Fraktionsvorsitzende auf
Abruf, der dafür gesorgt haben soll, dass die Kommunikation zwischen
Bundes- und Landespartei, nun ja, sagen wir mal, ins Stocken geraten ist.
„Führungsversagen“, wie es Kramp-Karrenbauers frei flottierende Kritiker
Tilman Kuban von der Jungen Union und Carsten Linnemann von der
Mittelstands-Union öffentlich gern nennen, sollte die Chefin ab jetzt nicht
einmal mehr ansatzweise zu erkennen geben. Denn sonst ist sie weg. Jetzt
heißt es Stärke zeigen – oder den Vorsitz anderen überlassen.
Fakt ist: Annegret Kramp-Karrenbauer hat die CDU nicht im Griff. Selbst
Wohlmeinende in Partei und Fraktion sehen das mittlerweile so. Dass
dieser Eindruck entstehen konnte, liegt nicht nur an Leuten wie Kuban oder
Linnemann, die permanent gegen die Parteiführung stänkern, um anschließend
beklagen zu können, diese wehre sich nicht ausreichend gegen ihre Angriffe.
Es liegt auch nicht nur an dem geschassten Ostbeauftragten Christian
Hirte, der es großartig fand, dass am Mittwoch der letzten Woche seine
Thüringer CDU-Fraktion zusammen mit der AfD einen liberalen
Fünfprozentmann zum Ministerpräsidenten gewählt hat. Oder an Alexander
Mitsch von der Werte-Union, der öffentlich die alte Mär verbreitet, die
Bundeskanzlerin stelle Kritiker „systematisch kalt“.
Die Ausfälle dieser Leute zeigen aber ziemlich deutlich, wie wenig sie ihre
Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer, die Kanzlerin Merkel und deren
Entscheidungen noch respektieren. Wie wenig, im Grunde gar nicht, sie
Konsequenzen fürchten müssen. Und wie schwach der Rückhalt für die
Vorsitzende ist – beunruhigend wenige stellen sich offen vor „AKK“, wenn
sie angegriffen wird.
## Auch AKKs Tag hat keine 48 Stunden
Vierzehn Monate ist Annegret Kramp-Karrenbauer mittlerweile
Parteivorsitzende. Im politischen Betrieb ist das eine gefühlte Ewigkeit,
viel Raum zum Gestalten. Doch die Zeiten, da sich eine Vorsitzende auf
gewachsene Strukturen, auf geeinte Landesverbände und eine selbstsichere
Volkspartei verlassen konnte, sind schon länger perdu.
Das Land ist gespalten. Dauernd herrscht innen- oder außenpolitisch eine
Alarmstimmung, gern auch gleichzeitig. Und als sei das nicht genug zu tun,
hat Annegret Kramp-Karrenbauer im Sommer letzten Jahres auch noch beim
Posten der Verteidigungsministerin zugegriffen. Ja, das war wichtig für
ihre Machtbasis. Aber auch ihr Tag hat keine 48 Stunden.
Doch nun sammelt sie sich noch einmal. Sie muss. Als in der letzten Woche
der Thüringer Landesverband hart rechts abgebogen war, kehrte der alte
Kampfgeist zurück, den viele an ihr bewundert hatten, als sie noch
Ministerpräsidentin des Saarlands war. Kramp-Karrenbauer wusste, was zu tun
war.
Dem unschuldig aus der Wäsche guckenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Mike
Mohring bescheinigt sie, „ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen
und Bitten der Bundespartei“ gehandelt zu haben, und forderte Neuwahlen in
dem Bundesland. Am Donnerstagabend dann reist sie kurzentschlossen von
Berlin in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt.
In einem Vier-Augen-Gespräch im Landtag legt sie CDU-Landeschef Mike
Mohring den Rücktritt nahe. Mohring widersetzt sich. Und in der nächtlichen
Sitzung trifft sie auf eine Truppe Abgeordneter, unter denen nicht wenige
sind, denen ihr Mandat wichtiger scheint als die Glaubwürdigkeit ihrer bald
75 Jahre alten Partei. Sie redet mit gewählten Vertretern, von denen manche
zu erkennen geben, dass sie das eigentlich ganz in Ordnung finden,
gemeinsam mit der rechtsradikalen Thüringer AfD den gemäßigten Linken Bodo
Ramelow verhindert zu haben. Ihren Wunsch nach Neuwahlen kann sie nicht
durchsetzen.
Erfurt ist eine schwere Niederlage – und eine Begegnung mit der
Wirklichkeit. Die Bundesvorsitzende droht in dieser Nachtsitzung mit
Konsequenzen; Teile der Abgeordneten fühlen sich dominiert und sprechen von
DDR-Methoden. Es herrscht eine fast schon weinerlich-bockige Atmosphäre.
Das ganze Gespräch ist die Quittung für eine jahrzehntelang eingeübte
Parteistrategie, die die Landesverbände im Osten zu lange nicht für voll
genommen hat.
## 30 Jahre Ost-CDU: die Nützlichen
Dreißig Jahre lang war die Ost-CDU nützlich, wenn es um die
Regierungsverantwortung ging und darum, CDUlern in honorige Posten zu
verhelfen. Der Treibstoff der Nach-89er-Aufbrucherzählung war die nur wenig
reflektierte Gegnerschaft zur Linken als SED-Nachfolgepartei, die man
regelmäßig und wortgewaltig von Parteitagen bekräftigen ließ.
„Das fällt der CDU jetzt auf die Füße“, konstatiert der Parteienforscher
Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. „Besonders
eklatant ist es in Sachsen und Thüringen, wo die CDU eine Art regionale
Identität mit einer gewissen Offenheit nach rechts zugelassen hat und dabei
ihre eigene Vergangenheit schönreden konnte. Das, in Verbindung mit
Adenauers Antikommunismus, ergibt eine Unsensibilität gegenüber den
Verhältnissen im Osten.“
Dass die Landesverbände in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Thüringen im Grunde die übernommene Ost-CDU waren, die
über Jahrzehnte an der Macht der SED partizipieren durften – da schaute man
lieber nicht so genau hin. Selbst als im Jahr 2018 öffentlich wurde, dass
der damalig sächsische CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich zu
DDR-Zeiten Parteischulungen seiner Blockpartei mitgemacht hatte, beschwieg
man dies geflissentlich.
Lieber verschanzte man sich hinter immer inbrünstiger vorgetragenen
Kooperationsverboten mit Links und verknüpfte diese Haltung mit
gleichzeitiger Gegnerschaft nach rechts. Eine so praktische wie untaugliche
Grundlage, die dennoch von Helmut Kohl über Angela Merkel bis zu Annegret
Kramp-Karrenbauer immer wieder zum Besten gegeben wurde. Die aber nun, am
Beginn des Jahres 2020, nicht mehr trägt.
Zumal in Thüringen, wo der politische Kompass defekt zu sein scheint, wenn
nicht gar ganz abhandengekommen, wo ein FDP-Mann zum kurzzeitigsten
Ministerpräsidenten aller Zeiten avancierte, und das mit den Stimmen sowohl
aus der CDU- als auch aus der AfD-Fraktion. In der Bundes-CDU wird es als
schwierig angesehen, in Erfurt einen vertrauenswürdigen Nachfolger für Mike
Mohring auszumachen. Der hat seinen Abgang schon verkündet.
Die Auseinandersetzung über das Verhältnis der großen alten Volkspartei CDU
zur Linken – und damit ihrer neu definierten Abgrenzung nach rechts – muss
also geführt werden. Vor dieser Aufgabe steht Annegret Kramp-Karrenbauer
nun. Und es macht die Sache nicht eben einfacher, dass zeitgleich laut
darüber nachgedacht wird, wer sie als Parteichefin beerben könnte. Eine
Vorsitzende, deren politischer Nachlass nach nur etwas mehr als einem Jahr
unverhohlen verhandelt wird – für die sich als bürgerlich verstehende CDU
ist derlei doch sehr ungewohnt.
## Die Nachfolge-Debatte um die Nachfolgerin
Es sind immer dieselben Namen, die kursieren. Da ist zum einen Friedrich
Merz, der frühere Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Zweimal hat der
mittlerweile 64 Jahre alte Rechtsanwalt angekündigt, Kramp-Karrenbauer das
Amt streitig zu machen. Beide Male hat er es nicht gepackt. Merz reist aber
dennoch unverdrossen durchs Land, um in raunendem Tonfall seinen – dann
dritten – Versuch anzukündigen. Das alles bei gleichbleibender Inaktivität
innerhalb der Partei. Bei den Funktionären kommt derlei gar nicht gut an,
bei der Basis umso mehr. Zufall oder nicht, just in der desaströsen
Thüringen-Woche kündigt Merz an, seinen Aufsichtsratsposten bei Blackrock
fortan ruhen zu lassen, um sich mehr seiner Partei zu widmen. Mag sein,
dass Friedrich Merz für manche in der Union eine Verheißung darstellt,
alles könne wieder so geordnet und piefig werden wie vor dreißig Jahren.
Dem weltläufigen Lobbyisten dürfte allerdings klar sein, dass nichts davon
eingelöst werden kann.
Ein anderer Aspirant wäre Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin
Laschet. Gerade hat der 58-Jährige den Orden wider den Tierischen Ernst
seiner Heimatstadt Aachen verliehen bekommen. In seiner Büttenrede
verhandelt er ganz ungeniert die Frage „Wer wird Deutschlands next Mutti?“
oder „Ist Deutschland schon bereit für eine männliche Kanzlerin?“
Laschet könnte – sollte Kramp-Karrenbauer in nächster Zeit stürzen oder
gestürzt werden – ein Konsensvorsitzender sein. Er ist machtbewusst, dabei
leutselig und lernfähig. In der CDU-Spitze allerdings hat er kaum
UnterstützerInnen. Und, nicht unerheblich, er ist einer von drei Männern
aus Nordrhein-Westfalen, die sich für geeignet halten, die CDU zu führen
und damit auch die Kanzlerkandidatur anzustreben.
Der dritte der Jungs aus Nordrhein-Westfalen heißt Jens Spahn. Der
39-Jährige hat sich zwar 2018 gemeinsam mit Annegret Kramp-Karrenbauer und
Friedrich Merz um das Amt des Parteivorsitzenden beworben. Er musste aber
erleben, dass im Augenblick der Wahrheit ihn viele im Stich gelassen
haben, um ins Merz-Lager zu wechseln. Eine Übung in Demut, die Spahn
seither nutzt, um bienenfleißig sein Amt des Gesundheitsministers
auszufüllen. Coronavirus- statt Parteikrisen-Management also – vor allem
unter den WählerInnen verschafft ihm das Respekt.
Und dann ist da noch der Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident und
CSU-Vorsitzende hat es geschafft, mit einer Selbstverständlichkeit für
Furore zu sorgen. Kurz nach der Wahl des FDPlers Kemmerich mit den Stimmen
von CDU und AfD sagte er: „Es ist ein inakzeptabler Dammbruch, sich mit den
Stimmen der AfD und sich gerade mit den Stimmen von Herrn Höcke zum
Ministerpräsidenten wählen zu lassen.“ Seine Klarheit bringt Söder viele
Sympathien ein – aber Kanzlerkandidat der Union dürfte er dennoch kaum
werden. Der 53-Jährige hat so viele Jahre trickreich um das bayerische
Ministerpräsidentenamt gekämpft, dass er es nicht nach zwei Jahren schon
wieder aus den Händen geben kann.
Fakt ist, keiner der Aspiranten könnte sachkundig den weiteren Zerfall der
Unionsfamilie in Ost und West aufhalten. Annegret Kramp-Karrenbauer – so
viel kann man sagen – steht wenigstens im Stoff. Dass ihr der Thüringer
Landesverband nach der zurückliegenden Woche doch noch folgt und
tatsächlich zu Neuwahlen bereit ist, ist alles andere als ausgemacht.
Zusammenarbeit nein, Akzeptanz ja – so könnte die Marschrichtung sein, um
Bodo Ramelow doch noch in die Staatskanzlei hineinzuoperieren und den
Freistaat auf diese Weise vor dem politischen Chaos zu bewahren. Fraglich
ist dann allerdings, ob sich die Vorsitzende der Christlich-Demokratischen
Union Deutschlands anschließend gegen ihre innerparteilichen Gegner wehren
kann. Denen muss sie jetzt zeigen, wer im Konrad-Adenauer-Haus die Richtung
vorgibt. Wenn nicht, kann sie zurück ins heimatliche Püttlingen gehen.
9 Feb 2020
## AUTOREN
Anja Maier
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