| # taz.de -- AfD nach Thüringen-Debakel: Verlierer Höcke | |
| > Erst sah es aus wie ein Coup. Doch die Trickserei des AfD-Rechtsaußen im | |
| > Thüringer Landtag ging nach hinten los. | |
| Bild: Der neu gewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow verweigert Björn Höck… | |
| BERLIN taz | Wer verstehen will, was die Geschehnisse in Thüringen in den | |
| vergangenen Wochen für die AfD und ihren Rechtsaußen Björn Höcke bedeuten, | |
| sollte den Mittwoch vergangener Woche noch einmal aus einer etwas anderen | |
| Perspektive betrachten. Den Tag also, als der Linke Bodo Ramelow [1][wieder | |
| zum Ministerpräsidenten gewählt wurde] – und nach seiner Vereidigung Höcke | |
| den Handschlag verweigerte. Weil dieser, wie Ramelow später erklärte, den | |
| Parlamentarismus verächtlich mache und damit antidemokratisch sei. | |
| Inhaltlich nichts Neues also. Aber Ramelow hat aus dieser Erkenntnis – | |
| zumindest in jenem Moment, [2][später bei der Wahl des AfD-Landtagsvize sah | |
| das anders aus] – eine klare Konsequenz gezogen. Und damit ein sehr | |
| wirkmächtiges Bild geschaffen. | |
| Richtet man den Blick nicht auf Ramelow, sondern auf Höcke und seine | |
| Fraktion, sieht man zunächst einen Mann, der mit hängenden Schultern vor | |
| Ramelow steht. Der belehrt wird, fast wie ein Schuljunge. Der verunsichert | |
| ist und den richtigen Zeitpunkt zum Absprung verpasst. Fast eine Minute | |
| steht Höcke so da. | |
| In der AfD-Fraktion hat sich da längst Unruhe breitgemacht. Irgendwann, | |
| etwa 45 Sekunden dürften vergangen sein, hält Torben Braga, der | |
| Parlamentarische Geschäftsführer, der im Landtag vorne neben Höcke sitzt, | |
| es nicht mehr aus. Er steht auf, es sieht aus, als wolle er Höcke zu Hilfe | |
| eilen. Da wendet dieser sich von Ramelow ab. | |
| Intuitiv scheint Braga erkannt zu haben: Am Ende dieser bewegten Wochen in | |
| Thüringen steht Höcke als Verlierer da. Und zwar in zweierlei Hinsicht: was | |
| die Inszenierung seiner Person angeht sowie strategisch. | |
| Höcke wird von seinen AnhängerInnen als Lichtgestalt verehrt, als eine Art | |
| Messias. Seine GegnerInnen dagegen halten ihn für das personifizierte Böse, | |
| das zu allem fähig ist. Es ist eine Überhöhung auf beiden Seiten, an der | |
| nicht zuletzt auch die Medien mitwirken. | |
| Der Spiegel hatte jüngst, nach der Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum | |
| Ministerpräsidenten in Thüringen, Höckes Konterfei auf dem Titel, grimmig | |
| entschlossen guckend, vor schwarzem Hintergrund. Darunter die Schlagzeile: | |
| „Der Dämokrat“. Das dürfte Höcke gefallen haben. Es macht ihn größer, … | |
| er ist. | |
| Der Mann ist ohne Zweifel gefährlich. Auch weil er eben als Anführer | |
| [3][des „Flügels“] gilt, obwohl er vielleicht eher dessen Galionsfigur ist, | |
| manche sagen gar: sein Maskottchen. Und weil er in neurechten Netzwerken | |
| mitmischt, den Diskurs gezielt nach rechts verschiebt, Menschenmengen auf | |
| der Straße aufpeitschen kann und gleichzeitig als Fraktionschef im Landtag | |
| sitzt. Aber Höcke ist weder ein großer Vordenker noch ein begnadeter | |
| Stratege und auch keiner, der hinter den Kulissen die Fäden zieht. Und | |
| alle, die ihn länger beobachten, wissen ohnehin: Auch Mut ist nicht das, | |
| was den AfD-Rechtsaußen auszeichnet. Er ist ein Zauderer. | |
| Höckes Macht hat weniger mit seinem realen Einfluss in der Partei, sondern | |
| mehr mit der ständigen Überhöhung seiner Person zu tun. Das Bild, wie Höcke | |
| vor Ramelow steht, lässt die Luft aus dieser Inszenierung – und schrumpft | |
| Höcke zu dem, was er ist. | |
| Auch strategisch geht das Agieren der Thüringer Fraktion für die Partei | |
| nach hinten los – was die anfangs beschriebene Szene ebenfalls zeigt. | |
| Ramelow steht als Ministerpräsident vor Höcke, der mithilfe von | |
| Enthaltungen der CDU verfassungsfest wiedergewählt wurde. Die CDU hat | |
| sozusagen die Seiten gewechselt. | |
| Auch wenn der ganze Vorgang die Missachtung des Parlaments durch die AfD | |
| deutlich zeigt, wirkte er zunächst wie ein Coup. Schließlich hatte die AfD | |
| CDU und FDP mit einem Trick, auf den diese sich bereitwillig einließen, | |
| dazu gebracht, mit ihr gemeinsame Sache zu machen. CDU und FDP boten den | |
| Rechtsextremen die Möglichkeit, sich als Teil der „bürgerlichen Mitte“ zu | |
| gerieren. Was als Teil ihrer Verharmlosungsstrategie derzeit eines der | |
| liebsten Ziele der Partei ist. Die Brandmauer zur AfD bekam Risse. | |
| Doch massive öffentliche Proteste, verheerende Resonanz auch in den | |
| konservativen Medien und harsche Kritik aus Teilen von CDU und FDP änderten | |
| die Lage fundamental. Kemmerich trat zurück und ChristdemokratInnen wie | |
| Liberale zogen eine klare Grenze zur AfD. Diese erneut zu überschreiten, | |
| das dürfte jetzt schwerer sein als vor dem vermeintlichen Coup. Besonders | |
| für die AfD in Sachsen-Anhalt, die seit Langem auf das Kippen der | |
| Kenia-müden CDU in Magdeburg hofft, ist das ein harter Schlag. Viele in der | |
| AfD haben bislang auf die dortige Landtagswahl im kommenden Jahr gehofft – | |
| auch weil es dort kein so klares Feindbild wie Höcke an der Spitze gibt. | |
| ## Thüringen hat die Haltung der CDU verändert | |
| Georg Pazderski, AfD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, hat „Björn | |
| Höckes Fehler“ gerade in einem Papier zur Lage der Partei analysiert, ein | |
| Abschnitt ist so überschrieben. „Nach all dem ist kaum vorstellbar, dass es | |
| in den nächsten Jahren irgendwo einen neuen Versuch geben wird, eine | |
| bürgerliche Wende herbeizuführen“, heißt es darin. Pazderski stellt zudem | |
| einen „nicht unerheblichen“ Kollateralschaden fest: „Die Grünen können … | |
| als Vertreter des Bürgertums aufspielen, die Linkspartei wird hoffähig.“ | |
| Letzteres stimmt zwar nicht ganz, aber in einem könnte er recht haben: | |
| Thüringen hat [4][den doppelten Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU] | |
| verändert. In Sachen AfD wurde er zementiert, in Sachen Linke dagegen | |
| aufgeweicht, etwas zumindest. Höckes Coup ist nach hinten losgegangen. | |
| Oder, wie Pazderski, Oberst a. D., das vermutlich nennen würde: Höcke hat | |
| der Partei einen taktischen Sieg, aber eine strategische Niederlage | |
| beschert. | |
| Diese zeigte sich am vergangenen Mittwoch im Erfurter Landtag ganz | |
| deutlich, so wie Höcke da vor Ramelow stand. Und dieses Bild wird bleiben. | |
| 11 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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