| # taz.de -- Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Die Kurve gekriegt | |
| > Vier Wochen nach dem Dammbruch in Thüringen ist Bodo Ramelow wieder im | |
| > Amt – doch ist nichts mehr wie zuvor. | |
| Bild: Angespannt: Bodo Ramelow (Mitte) nach dem ersten Wahlgang | |
| Erfurt taz | Im Thüringer Landtag ist an diesem Mittwoch Mittag vieles wie | |
| vier Wochen zuvor, als zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode die Wahl | |
| des Ministerpräsidenten auf der Tagesordnung stand. Rot-Rot-Grün will | |
| regieren, obwohl das Bündnis keine Mehrheit hat. Vier Stimmen fehlen, man | |
| hofft auf die CDU. Linkspartei, SPD und Grüne schicken gemeinsam den Linken | |
| Bodo Ramelow ins Rennen. Gegen ihn tritt ein Mann von der AfD an. Und: Die | |
| Spannung im Plenarsaal ist mit den Händen zu greifen. | |
| Doch es ist [1][auch alles anders seit dem 5. Februar], als FDP-Mann Thomas | |
| Kemmerich nicht nur mit den Stimmen von FDP und CDU, sondern auch mit denen | |
| der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde. Ein Novum in der | |
| Geschichte der Bundesrepublik, viele sagen: ein Dammbruch. Die Wahl hat ein | |
| politisches Beben ausgelöst, nicht nur in Thüringen. | |
| Kemmerich trat zurück, er ist nur noch geschäftsführend im Amt. Die CDU, | |
| die Neuwahlen unbedingt verhindern will, hat mit Rot-Rot-Grün einen | |
| „Stabiltätsmechanismus“ ausgehandelt, das Protokoll ist am Morgen um neun | |
| Uhr im Landtag unterzeichnet worden. Die Vereinbarung, die mit Rücksicht | |
| auf die CDU nicht Tolerierung heißen darf, soll bis kommenden April halten. | |
| Dann sollen die ThüringerInnen den Landtag neu wählen. | |
| Auch anders als vor vier Wochen: Für die AfD tritt nicht irgendein | |
| Strohmann, sondern Landes- und Fraktionschef Björn Höcke an. Mehr | |
| Rechtsaußen geht in der AfD kaum. | |
| Und doch wird in der Landtagskantine zur Mittagszeit bei Rindergulasch und | |
| Senfeiern nicht nur diskutiert, ob Ramelow es dieses Mal schafft – wovon | |
| die meisten ausgehen. Sondern auch: Wie verhält sich die CDU? Könnten | |
| einige ihrer Abgeordneten nicht doch im ersten Wahlgang für Ramelow | |
| stimmen? Oder vielleicht sogar für Höcke? Und plant die AfD dieses Mal | |
| vielleicht wieder einen besonders perfiden Trick? | |
| Es ist Viertel nach zwei, als Landtagspräsidentin Birgit Keller die Wahl | |
| eröffent, an deren Ende nach zwei Stunden Bodo Ramelow wieder Thüringer | |
| Ministerpräsident sein wird. Zuvor hat Keller der Opfer des rechtsextremen | |
| und rassistischen Anschlags gedacht und gemahnt: „Rechtsextremismus und | |
| Fremdenhass haben in unserer Gesellschaft keinen Platz.“ Dann bittet sie | |
| die Abgeordneten, sich für einen Moment der Stille zu erheben. | |
| Als Keller danach den ersten Wahlgang aufruft, bleiben die FDPler sitzen. | |
| Das ist insofern überraschend, weil sie angekündigt hatten, bei der Wahl | |
| den Plenarsaal zu verlassen. Dafür aber hatten sie scharfe Kritik kassiert. | |
| Doch sie stimmen nicht ab. Der FDP habe ein Boykott der | |
| Ministerpräsidentenwahl nach dem von ihr verursachten Desaster nicht | |
| zugestanden, kommentierte Linken-Fraktionschefin Sudanne Hennig-Wellsow | |
| deren Nichtteilnahme. | |
| Die CDU, die in Thüringen, aber auch von der Bundespartei massiv unter | |
| Druck steht, hatte bereits vor der Sitzung mittels Presseerklärung | |
| kundgetan, wie die Fraktion sich zu verhalten gedenkt: mit Enthaltung. Die | |
| hat der neue Fraktionschef Mario Voigt seinen Abgeordneten empfohlen, bei | |
| einer Probeabstimmung haben sich alle Anwesenden daran gehalten. „Wir | |
| werden uns an die parlamentarischen Verhaltensregeln halten, damit auch in | |
| einem Landtag ohne Regierungsmehrheit die politische Stabilität gewahrt und | |
| zentrale Aufgaben erledigt werden können“, so Voigt. | |
| ## CDU hält Wort | |
| Als Keller dann wenig später das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet, | |
| wird deutlich: Die CDU hat sich an ihre Absprache gehalten. Es gibt genau | |
| 21 Enthaltungen. Klar war das nicht, Geschlossenheit war zuletzt nicht | |
| unbedingt die Kernkompetenz der Thüringer Christdemokraten. Ramelow erhält | |
| 42 Stimmen, das sind die von Rot-Rot-Grün; Höcke 22, was den Sitzen seiner | |
| Partei entspricht. Die Linke beantragt eine Unterbrechung. | |
| Ramelow hatte am Morgen für diesen Ausgang des ersten Wahlgangs vorgebaut. | |
| Der Linke, der zuletzt immer darauf gepocht hatte, im ersten Wahlgang – | |
| also mit vier Stimmen der CDU – gewählt zu werden, rückte davon ab. „Ich | |
| habe mich gestern mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt | |
| ausgetauscht und ihm mitgeteilt, dass ich erforderlichenfalls in allen drei | |
| Wahlgängen antreten werde“, sagte Ramelow dem Spiegel. Es sei nicht der Tag | |
| für „parteipolitische Prinzipienreiterei, sondern der erste Tag, an dem | |
| wieder verlässlich regiert werden kann in Thüringen“. Er bitte deshalb die | |
| CDU um konsequente Enthaltung. Als die Landtagspräsidentin die Anzahl der | |
| Enthaltungen verkündet hat, nickt Ramelow der CDU leicht zu. Ganz so, als | |
| wollte er für das Einhalten der Absprache danken. CDU-Generalsekretär | |
| Raymond Walk bestätigt später auf taz-Nachfrage, dass die kurzfristig | |
| geschlossene „Enthaltungsvereinbarung“ mit Ramelow der Union Konflikte mit | |
| den Unvereinbarkeitsbeschlüssen der Bundespartei, aber auch die Suche nach | |
| Abweichlern in der eigenen Fraktion erspart habe. | |
| Der zweite Wahlgang bringt haargenau das gleiche Ergebnis. Keine | |
| ausreichende Mehrheit für Ramelow, schon gar nicht für Höcke. Jetzt ist es | |
| die AfD, die eine Sitzungspause beantragt. Von draußen hört man | |
| Trillerpfeifen von DemonstrantInnen. | |
| Die Linke geht einigermaßen gelassen in die Sitzungspause. „Es läuft alles | |
| bislang nach Plan A“, sagt André Blechschmidt, ihr Parlamentarischer | |
| Geschäftsführer, als er den Plenarsaal verlässt „Die AfD hat im dritten | |
| Wahlgang keinen Spielraum mehr, sie wird nicht mehr gebraucht.“ Denn im | |
| dritten Wahlgang ist keine absolute Mehrheit mehr von Nöten. Laut | |
| Landesverfassung ist gewählt, wer die „die meisten Stimmen“ erhält. Dafür | |
| dürften, so die Einschätzung, die 42 Stimmen von Rot-Rot-Grün reichen. | |
| Als Keller den dritten Wahlgang aufruft, verkündet die AfD, dass Höcke | |
| nicht wieder antrete. Torben Braga, der Parlmentarische Geschäftsführer, | |
| spricht dabei so leise, dass man es kaum versteht. Glaubwürdiger macht das | |
| die vorherige Kandidatur nicht. Um 16.14 Uhr aber ist klar: Bodo Ramelow | |
| ist als Ministerpräsident erneut gewählt. Mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün | |
| und bei deutlich mehr Ja- als Neinstimmen, was verfassungsrechtlich von | |
| Bedeutung sein könnte. | |
| ## Handschlag verweigert | |
| Nach der Vereidigung stellen sich die Abgeordneten zum Beglückwünschen an. | |
| Kemmerichs Blumenstrauß nimmt Ramelow an. Als Höcke aber an der Reihe ist, | |
| verweigert Ramelow diesem den Handschlag. Applaus brandet auf – bei den | |
| Linken und auch auf der Besuchertribüne. Höcke redet intensiv auf Ramelow | |
| ein und bleibt viel länger vor diesem stehen, als das in dieser Situation | |
| angemessen erscheint. Irritation macht sich im Saal breit. Schließlich | |
| tritt Höcke ab. | |
| Als Ramelow wenig später in seiner Antrittsrede auf den verweigerten | |
| Handschlag zu sprechen kommt, gibt es Zwischenrufe aus den Reihen der AfD. | |
| „Das ist anstandlos“, brüllt einer von ihnen. Da geht Ramelow die AfD an. | |
| Diese habe in jede Kamera gesagt, man habe Kemmerich bei der Wahl eine | |
| Falle gestellt. „Wer so über die Wahl eines Verfassungsorgans spricht, der | |
| hat was zu klären“, sagt Ramelow. Wenn bei der AfD die Demokratie im | |
| Vordergrund stehe, dann sei er auch bereit, Höcke die Hand zu geben. | |
| Dann dankt er allen Demokraten, die CDU-Fraktion wird extra erwähnt. | |
| Gemeinsam werde man darauf hinarbeiten, dass es im Landtag keine | |
| „destruktiven Mehrheiten“ gebe und man sich „von einer Fraktion, die Fall… | |
| stellt und Leimruten legt“ nicht treiben lasse. Am Mittwoch hat das schon | |
| mal ganz gut geklappt. | |
| Dass diese projektbezogene Zusammenarbeit im anstehenden Übergangsjahr bis | |
| zu den für April 2021 geplanten Neuwahlen aber nicht einfach werden wird, | |
| klang bei aller Erleichterung unter den Minderheitskoalitionären von | |
| Linker, SPD und Grünen bereits an. | |
| Zu dieser Polarisierung äußert sich der neue CDU-Fraktionsvorsitzende Mario | |
| Voigt deutlicher als bislang gewohnt. „Die AfD hat am 5. Februar bewiesen, | |
| dass sie gewillt ist, die Demokratie mit allen möglichen Mitteln unter | |
| Beschuss zu nehmen. Für mich bedeutet das, dass wir als CDU da auch eine | |
| klare Haltung einnehmen sollten, und mit der Klarheit sollte es in den | |
| nächsten Wochen weitergehen“, sagte er am Spätnachmittag. | |
| Der nunmehr abgelöste Interims-Ministerpräsident Thomas Kemmerich von der | |
| FDP ließ keinerlei Nachdenklichkeit ob seiner Wahl durch die AfD am 5. | |
| Februar erkennen. Die Frage einer Bewertung der vergangenen vier Wochen und | |
| was er im Rückblick besser machen würde, stelle sich heute nicht. Dafür sei | |
| es noch zu früh. Im Internet kursierten bereits humorvolle Posts, die die | |
| FDP-Fraktion eingeschlossen auf der Toilette zeigen aus Angst, | |
| versehentlich Björn Höcke von der AfD zu wählen. | |
| 4 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Michael Bartsch | |
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