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# taz.de -- Verein über italienische Mafia: „Wir sind ein Geldwäsche-Paradi…
> Jährlich werden in Deutschland 100 Milliarden Euro gewaschen. Die Mafia
> hat daran großen Anteil. Trotzdem gibt es kaum Institutionen zur
> Bekämpfung.
Bild: Razzia gegen Mitglieder der italienischen Mafia „Ndrangheta“ in Hagen…
wochentaz: Frau Raspe, Ihr Verein [1][mafianeindanke] engagiert sich gegen
Organisierte Kriminalität, vor allem gegen die italienische Mafia. Warum
ist das in Deutschland notwendig?
Helena Raspe: In Deutschland wird [2][massiv Geld gewaschen]. Schätzungen
zufolge sind es 100 Milliarden Euro im Jahr, dem Bundeshaushalt geht
dadurch extrem viel Geld verloren. Kriminelle Organisationen wie die
’Ndrangheta verdienen dieses schmutzige Geld weltweit mit Unterdrückung und
Gewalt, Waffen-, Menschen- und Drogenhandel. Jede einzelne Person in
Deutschland ist von den Folgen direkt betroffen.
Inwiefern?
Durch Geldwäsche und Spekulation im Immobilienmarkt steigen etwa die
Mietpreise, durch den Einfluss der mafiösen Organisationen auf den
Lebensmittelmarkt haben wir gestreckte Lebensmittel im Supermarkt. Dazu
kommen kriminelle Aktivitäten, die weltweit unsere Lebensgrundlagen
zerstören, wie illegale Entwaldung oder die illegale Entsorgung von
Giftmüll. Aber auch die legale Wirtschaft wird in Deutschland systematisch
unterwandert.
Wie viele Mafiamitglieder gibt es überhaupt in Deutschland?
Die ’Ndrangheta aus Kalabrien ist die größte und einflussreichste
kriminelle Organisation in Deutschland. Offiziellen Zahlen zufolge sind es
505, italienische Expert:innen wie Nicola Gratteri sprechen von mehr
als 3.000 Mitgliedern in Deutschland. Recherchen haben belegt, dass die
’Ndrangheta Deutschland nicht nur als Rückzugsraum, sondern auch als
geostrategisch wichtiges operatives Zentrum nutzt.
Warum geschieht das ausgerechnet in Deutschland?
Deutschland ist aufgrund der mangelhaften Gesetzeslage ein Paradies für
Geldwäsche und damit auch für die Mafia. Es gibt kaum Gesetze oder
Institutionen zur Bekämpfung der Mafia wie in Italien. Nach der Wende wurde
viel in Ostdeutschland investiert, aber auch in Westdeutschland sind
mafiöse Organisationen flächendeckend aktiv, etwa im Raum Stuttgart,
Mannheim oder am Bodensee.
Sie sind selbst Italienerin und in Rom aufgewachsen. Wie kam es zu Ihrem
Engagement in der Antimafiabewegung?
In Italien ist die Mafia ein gesellschaftlich genauso anerkanntes Problem
wie der Faschismus. Dort wurde durch eine lebendige Antimafiabewegung
einiges erreicht: Beispielsweise ist mafiöse Zugehörigkeit ein eigener
Straftatbestand, es gibt Gesetze zur sozialen Wiederverwendung von
konfiszierten Besitztümern der Mafia, jährliche Berichte der
Antimafiabehörde, spezialisierte Polizeieinheiten. Als ich nach
Deutschland gekommen bin, war ich sehr schockiert darüber, dass das Thema
Organisierte Kriminalität und die Präsenz der italienischen Mafias kaum
bekannt waren. Das ändert sich glücklicherweise gerade. Es ist
erschreckend, wie wenig Forschung und Berichterstattung es gibt.
Ihr Verein wurde 2007 von Gastronom:innen in Deutschland gegründet als
Reaktion auf [3][die Mafiamorde von Duisburg].
Gastronom:innen hatten sich damals zusammengeschlossen und gesagt: Wir
zahlen kein Schutzgeld, wir brechen das Schweigen, kooperieren mit der
Polizei und leisten Widerstand. Doch nicht nur die italienische Community,
die noch durch die grausame und gewalttätige Geschichte der 80er und 90er
Jahre in Italien sensibilisiert ist, sollte sich dagegen einsetzen. Vor
allem wir Deutsche müssen endlich aufwachen und das Problem selbst in die
Hand nehmen. Aber nicht indem wir romantisierende oder rassistische
Diskurse befeuern, sondern indem wir den Kampf gegen Mafias als ökologische
und feministische Frage der sozialen Gerechtigkeit verstehen. Deshalb
nehmen wir natürlich auch die deutsche Finanzkriminalität und
Politikverflechtungen in Deutschland in den Blick.
Regelmäßige Razzien gegen sogenannte Clankriminalität bekommen in
Deutschland große mediale Aufmerksamkeit, währenddessen wissen wir über die
Mafia und deren Bekämpfung kaum etwas.
Es gibt von der italienischen Mafia hier in Deutschland
Schutzgelderpressungen und gewalttätige Einschüchterungen. Nur weil man es
nicht auf offener Straße wahrnimmt, heißt es nicht, dass sie nicht
existiert. Boulevardmedien stürzen sich aber lieber auf aufsehenerregende
Aktionen der sogenannte Clankriminalität. Straßenkämpfe mit verfeindeten
kriminellen Organisationen und der Goldmünzenraub von Berlin sind
sichtbarer als etwa die Unterwanderung der legalen Wirtschaft und
Geldwäsche. Teile der Politik, die in den rassistisch geführten Diskurs
einsteigen, können sich mit öffentlichkeitswirksamen Razzien mehr brüsten,
als wenn man gegen Finanzkriminalität vorgeht.
Was soll sich politisch ändern?
Die politische Haltung muss sein: Wie erkennen wir die organisierten
kriminellen Strukturen, wie operieren diese, wie unterwandern sie die
Demokratie? Welche Angebote muss der Staat dort machen, wo er aktuell
abwesend ist? Wie erreichen wir Personen, für die Geschäfte mit der
Organisierten Kriminalität attraktiv scheinen? Wie schützen wir die
Betroffenen? Stimmen, die sich immer nur auf die sogenannte
Clankriminalität stürzen, interessieren sich dafür wenig. Wenn man aber die
Bekämpfung von Organisierter Kriminalität nicht als gemeinnützige Frage
begreift, landet man in diesen Handlungsmustern, die dazu führen, dass
einzelne Gruppen stigmatisiert werden.
Sie meinen, Antimafiaarbeit ist gemeinnützig?
Ja, man könnte so viel Geld generieren, wenn man Steuerhinterziehung,
Korruption und Organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen und dieses Geld
auch für Prävention und soziale Zwecke verwenden würde. Allein die
gemeinnützige Verwendung konfiszierter Immobilien würde uns als
Gesellschaft sehr weiterhelfen, gerade in Berlin. Italien hat im weltweiten
Vergleich eine vorbildliche Antimafiagesetzgebung. Deswegen orientieren
sich viele Länder daran. Aber natürlich kann man in Deutschland nicht
einfach das italienische Modell kopieren. Bei uns hat zum Beispiel das
Thema Datenschutz zu Recht einen viel höheren Stellenwert. Deshalb machen
wir Vorschläge für Reformen, die dem deutschen Kontext angepasst sind.
Wie hat sich die Arbeit gegen Organisierte Kriminalität in Italien
verändert, seit Meloni im Amt ist?
Es war von Anfang an klar, dass Meloni eher mafiöse Strukturen befördern
wird, als sie zu bekämpfen. Sie macht mit dem Thema höchstens Stimmung für
ihre Agenda, vergleicht Steuern für Kleinunternehmer:innen mit
Schutzgeld der Mafia. Das alles ist jetzt nicht überraschend bei einer
faschistisch orientierten Premierministerin. Es gibt zahlreiche historische
Beispiele für Kooperationen zwischen mafiösen und neofaschistischen
Gruppen.
Was sind derzeit die ersten Auswirkungen?
In den letzten Jahren arbeitete die Politik in Italien daran, die
Obergrenze für Bargeld zu senken. Im völligen Widerspruch zur Bekämpfung
der Schattenwirtschaft hob die neue Regierung zum Januar 2023 die
Bargeldobergrenze von 2.000 auf 5.000 Euro an. Das ist ein direktes
Geschenk an mafiöse Organisationen. Noch einladender bleibt es für die
Mafia in Deutschland, hier gibt es gar keine Obergrenze. Man muss ab 10.000
Euro nur seinen Ausweis vorlegen. Das ist absurd.
5 Aug 2023
## LINKS
[1] https://mafianeindanke.de/mafianeindanke-start-de/
[2] /Organisierte-Kriminalitaet-in-Deutschland/!5943809
[3] /10-Jahre-Mafia-Morde-von-Duisburg/!5433928
## AUTOREN
Jean Dumler
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