| # taz.de -- Prozess gegen italienische Mafia: Namen wie aus einem Hollywood-Film | |
| > 338 Angeklagte, 50 Kronzeugen und die Staatsanwaltschaft forderte mehrere | |
| > hundert Jahre Haft. Einer der größten Mafia-Prozesse aller Zeiten geht zu | |
| > Ende. | |
| Bild: Das Gericht in Lamezia Terme beim Verkünden der Strafen am 20. November | |
| Lamezia Terme dpa | In Italiens größtem Mafia-Prozess seit Jahrzehnten hat | |
| ein Gericht in der südlichen Region Kalabrien am Montag Haftstrafen von | |
| vielen hundert Jahren verhängt. Die höchsten Strafen gab es gegen zwei | |
| Bosse der Verbrecherorganisation 'Ndrangheta, die jeweils für 30 Jahre ins | |
| Gefängnis müssen. | |
| Verurteilt wurde auch ein ehemaliger Abgeordneter der Regierungspartei | |
| Forza Italia: Der konservative Politiker Giancarlo Pittelli muss für elf | |
| Jahre hinter Gitter, [1][weil er in Diensten der Mafia stand]. Ins | |
| Gefängnis kommen auch mehrere Ex-Polizisten und andere korrupte Beamte. | |
| In dem spektakulären Verfahren mussten sich seit Anfang 2021 in der Stadt | |
| Lamezia Terme mehr als 300 mutmaßliche Mitglieder oder Helfer der Mafia | |
| verantworten. Die Staatsanwaltschaft forderte insgesamt mehr als 4.700 | |
| Jahre Gefängnis. Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Brigida Cavasino | |
| folgte dem auch weitgehend. | |
| Die Verlesung der Urteile zog sich über mehrere Stunden hin. Die Vorwürfe | |
| lauteten von Mord und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung über | |
| Drogenhandel und Geldwäsche bis hin zu Korruption bei staatlichen | |
| Bauaufträgen – praktisch das volle Programm. | |
| ## Gerichtssaal mit vergitterten Zellen | |
| [2][Die 'Ndrangheta aus Kalabrien war früher in Italien] nur die Nummer | |
| drei der verschiedenen Mafia-Organisationen, hinter der Cosa Nostra aus | |
| Sizilien und der Camorra aus Neapel. Heute ist sie mit Abstand die | |
| mächtigste Verbrechergruppe, mit Verbindungen in alle Welt. Das Geschäft | |
| mit Kokain in Europa ist nach Einschätzung von Experten weitestgehend in | |
| ihrer Hand, auch in Deutschland. Ihr weltweiter Umsatz wird auf mehr als 50 | |
| Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. | |
| Mit dem Prozess wollte der italienische Staat deutlich machen, dass er sich | |
| mit dem Wirken der Mafia nicht abfinden will. Grundlage dafür waren | |
| Aussagen mehr als 50 verschiedener Kronzeugen, die der 'Ndrangheta | |
| abgeschworen haben. Viele leben heute in Zeugenschutzprogrammen. | |
| Normalerweise gilt in der Mafia das „Gesetz des Schweigens“ – also, dass | |
| niemand Aussagen macht. Nach Einschätzung von Experten besteht die | |
| 'Ndrangheta aus etwa 150 Familien. In den 1980er Jahren standen auf | |
| Sizilien schon einmal mehr als [3][400 Angehörige der Mafia-Organisation | |
| Cosa Nostra] vor Gericht. | |
| Der Prozess richtete sich vor allem gegen den Clan der Familie Mancuso, | |
| einer der Zweige. Die beiden örtlichen Bosse Saverio Razionale und Domenico | |
| Bonavota wurden zu je 30 Jahren verurteilt. Das Urteil gegen den obersten | |
| mutmaßlichen Clan-Boss Luigi Mancuso steht allerdings noch aus. Sein | |
| Verfahren wurde von dem Mammutprozess abgetrennt. Luigi Mancuso wurde „Der | |
| Onkel“ genannt. Andere trugen Spitznamen wie „Wolf“, „Lammkeule“ oder | |
| „Fettsack“ – wie in einem der großen Hollywood-Filme. | |
| Insgesamt standen 338 Angeklagte vor Gericht – auch Politiker und Beamte, | |
| die der 'Ndrangheta gegen Geld gefällig waren. Prominentester Fall war der | |
| Ex-Abgeordnete Pittelli von der Forza Italia, die heute in Rom der kleinste | |
| Partner in einer Koalition aus drei Rechtsparteien ist. Gegründet wurde sie | |
| vom im Juni verstorbenen Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi. Die | |
| Staatsanwaltschaft hatte für Pittelli sogar 17 Jahre Haft beantragt – es | |
| wurden elf. Ein Ex-Bürgermeister, den die Staatsanwaltschaft 18 Jahre | |
| hinter Gitter bringen wollte, wurde freigesprochen. | |
| Wegen der enormen Dimension des Prozesses war in Lamezia Terme eigens ein | |
| Callcenter in einen Hochsicherheitstrakt umgebaut worden – mit einem | |
| Gerichtssaal von mehr als 100 Meter Länge, 35 Meter Breite und vergitterten | |
| Zellen. Damit sich Richter, Anwälte, Zeugen und Mafiosi nicht zufällig über | |
| den Weg laufen, gab es sogar getrennte Toiletten: 32 davon. | |
| Dass der Prozess überhaupt zustande kam, ist der Verdienst von | |
| Oberstaatsanwalt Nicola Gratteri. Der 65-Jährige kämpft seit mehr als drei | |
| Jahrzehnten gegen die Mafia. Nach jahrelangen Ermittlungen ließ er kurz vor | |
| Weihnachten 2019 hunderte mutmaßliche Mafiosi und Helfer verhaften. Die | |
| Polizei war an jenem Dezembermorgen mit 3.000 Carabinieri im Einsatz, auch | |
| in Deutschland. Damit die Mafia nicht von Zuträgern im Staatsdienst gewarnt | |
| werden konnte, ließ Gratteri die Haftbefehle im Ausland kopieren. | |
| Die Razzia und auch der Prozess liefen in Italien unter dem Namen „Rinascia | |
| Scott“: Rinascia bedeutet Wiedergeburt, Sieben William Scott war der Name | |
| eines US-Drogenfahnders, der einst in Rom auf Posten war. Von Scott soll | |
| Gratteri erläutert bekommen haben, wie das Geschäft mit Kokain zwischen | |
| Kolumbien und Kalabrien funktioniert. Er starb 2013. Gratteri selbst gab | |
| noch während des Prozesses die Rolle als Chefankläger ab. Inzwischen ist er | |
| oberster Staatsanwalt in Neapel – und steht nach wie vor unter strengstem | |
| Schutz. | |
| 20 Nov 2023 | |
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