# taz.de -- Nach dem Tod von Berlusconi: Er wird bleiben | |
> Berlusconi war längst eine Randfigur, die Medien ihm gegenüber milde | |
> geworden. Sein Tod wird keine breitere kritische Distanzierung zur Folge | |
> haben. | |
Bild: Silvio Berlusconi ist Vergangenheit, sein rechtskonservatives Werk wirkt … | |
Die italienischen Medien neigen oft zur Übertreibung, doch nach Silvio | |
Berlusconis Tod am 12. Juni schienen manche von ihnen jedes Maß verloren zu | |
haben. Ganze 20, sogar 30 Seiten widmeten die wichtigsten Zeitungen dem | |
Ereignis. Dass der Tod aufgrund des hohen Alters und der Krankheit erwartet | |
worden war und die Redaktionen Zeit hatten, sich vorzubereiten, half in | |
Sachen Knappheit nicht. Doch abgesehen von der Berichterstattung zu der | |
Trauerfeier im Mailänder Dom, die bis ins kleinste, unnötige Detail erzählt | |
wurde, gab es in den vielen Beiträgen wenig Neues zu lesen. | |
Berlusconi ist seit zehn Jahren keine zentrale politische Figur mehr, | |
obwohl seine Partei für die Bildung der Meloni-Regierung entscheidend war | |
und immer noch ist. In den vergangenen Jahrzehnten ist über ihn fast alles | |
gesagt worden. Ja, es bleibt noch einiges Wichtige zu klären, seine | |
Verstrickung in verbrecherische Strukturen wie die Mafia zum Beispiel, es | |
ist aber fraglich, ob das je passieren wird. Über Berlusconi als | |
Unternehmer [1][und Medienmogul], als Freund der Neofaschisten, als | |
moralisch verwerflicher Politiker, als erster Populist seiner Art und | |
Inspirationsquelle für alle Trumps der Welt wurden allerdings genügend | |
Zeilen geschrieben. | |
Wohlgemerkt: ohne dass das je zu einer eindeutigen Zuordnung seiner | |
politischen Figur geführt hat. Denn obwohl die ausländische Presse meistens | |
eine klare Meinung zu Berlusconi hat: in Italien gibt es die schlicht | |
nicht. Von seinen Anfängen in der Politik 1993/1994 bis zu seinem Tod hat | |
Berlusconi die öffentliche Meinung in Italien immer gespalten. Viele hassen | |
ihn, viele andere verehren ihn. | |
Was wird also bleiben? Die Frage bezüglich [2][seiner Partei Forza Italia] | |
wird sich in den nächsten Monaten klären. Berlusconi hat sich nie um einen | |
politischen Nachfolger gekümmert, er ist immer der Chef – besser: die | |
Partei selbst – gewesen. Die Forza Italia ist nun kopflos, eine Auflösung | |
nach 30 Jahren nicht ausgeschlossen. Sollte das tatsächlich passieren, | |
könnten die jetzigen Parteimitglieder zu Giorgia Meloni oder eventuell zu | |
Matteo Salvini wechseln. | |
## Er hat jedes Tabu gebrochen | |
Der Terzo Polo (dritter Pol), eine politische Gruppe aus der Mitte um Carlo | |
Calenda und Matteo Renzi, könnte zwar manche Berlusconi-Anhänger anlocken, | |
doch angesichts der schlechten Wahlergebnisse hat er gerade eine geringe | |
Anziehungskraft. Schlüsselfigur innerhalb der [3][Forza Italia] ist der | |
Koordinator und ehemalige Präsident des Europaparlaments Antonio Tajani, | |
aber auch Berlusconis Lebensgefährtin und seine Kinder werden das Sagen | |
haben. | |
Doch sollte auch Berlusconis Partei verschwinden: der „Berlusconismus“, wie | |
man das von ihm initiierte politische und soziale System nennt, ist | |
inzwischen vom Land absorbiert worden – und er wird bleiben. Berlusconi hat | |
so lange regiert wie kein anderer Ministerpräsident seit der Gründung der | |
italienischen Republik, dennoch hat sich sein Versprechen einer „liberalen | |
Revolution“ keineswegs bewahrheitet. | |
Die Bilanz seiner vier Kabinette ist miserabel – keine signifikanten | |
Reformen, schlechte Gesetze wie das Migrationsgesetz, eine schlechtere | |
wirtschaftliche Lage für das Land. Dennoch sind sich Befürworter wie seine | |
Kritiker einig: Dieser Mann hat die italienische Politik und das Land | |
selbst tief verändert. | |
## Jedes Tabu gebrochen | |
Berlusconi hat jedes Tabu gebrochen. Er hat die Partei Alleanza Nazionale, | |
die aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano hervorging, in die | |
Regierung geholt und somit einen Präzedenzfall für das heutige | |
Meloni-Kabinett geschaffen. | |
Er hat mit politisch unkorrekten Äußerungen gehetzt und systematisch Lügen | |
propagiert – manchmal war es zu absurd, um wahr zu sein, aber es | |
funktionierte. Er hat das private Fernsehen nach Italien gebracht und es | |
ausgenutzt, um mit den Wählerinnen und Wählern direkt zu kommunizieren, | |
lange bevor die Sozialen Netzwerke kamen. Er hat die Justiz diskreditiert, | |
Gesetze zu seinen Gunsten initiiert und Sexparties mit Minderjährigen | |
organisiert. | |
Er hat Straftaten wie illegales Bauen und Steuerhinterziehung toleriert, ja | |
gar gefördert. Er hat gegen die Institutionen selbst gewettert und sich | |
über jede Art von Bürgersinn lustig gemacht. Er hat sich mit Kriminellen | |
umgeben. Gewiss, bestimmte Tendenzen existierten in der italienischen | |
Politik bereits früher. Doch Berlusconi hat sie beschleunigt und ins | |
Extreme getrieben. Dass nun in Italien eine rechtsextreme Koalition regiert | |
und die öffentliche Meinung anfällig ist [4][für Populismen jeder Couleur], | |
hat durchaus mit ihm zu tun. | |
## Immerhin ist er nicht Präsident geworden | |
Es ist also legitim, sich zu fragen: Was wird man über ihn in den | |
Geschichtsbüchern lesen? Berlusconi hinterlässt eine Spaltung innerhalb der | |
ohnehin schon gespaltenen Bevölkerung – und wer glaubt, mit der Zeit würde | |
er klarer einzuschätzen sein, der irrt: Selbst der Faschismuserfinder | |
Benito Mussolini wird noch von einem erheblichen Teil der Italiener als | |
„guter Diktator“ gesehen, eine allgemein geteilte Interpretation zu ihm | |
sucht man vergebens. Die Hoffnung, die Menschen würden sich künftig von | |
Berlusconi distanzieren, ist also naiv. | |
Zumal der erste Schritt in Richtung politischer Heiligsprechung schon | |
gemacht wurde, mit dem pompösen Begräbnis im Mailänder Dom und der | |
Anordnung eines nationalen Trauertags, was bisher immer nur für Präsidenten | |
der Republik erlassen wurde. | |
Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahren, auch wegen seines Alters | |
und der politischen Marginalität, eine mildere Beurteilung breit gemacht | |
hat. Berlusconi galt plötzlich als der Moderate innerhalb der | |
Meloni-Koalition, als immerhin überzeugter Europäer, als humorvoller, | |
witziger Mensch. Es ist beängstigend und pathetisch zugleich, dass nun in | |
vielen Medien von einer „vita straordinaria“, von einem außergewöhnlichen | |
Leben, die Rede ist. Ist diese positive Deutung das, was die italienischen | |
Kinder in den Geschichtsbüchern lesen werden? Das würde nicht überraschen. | |
Sein Traum war es, Präsident zu werden. Immerhin das hat nicht geklappt. | |
20 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Francesca Polistina | |
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