| # taz.de -- Tod von Silvio Berlusconi: Das Blaue vom Himmel | |
| > Berlusconi war erfolgreich, weil er den Menschen rechte Versprechungen | |
| > machte. Mit seiner Forza Italia saß er zuletzt wieder in der Regierung. | |
| Bild: Blendendes Lächeln: Silvio Berlusconi zu Gast in einer Talkshow 2018 | |
| Rom taz | Silvio Berlusconi ist tot. Am Montagmorgen [1][erlag der | |
| 86-Jährige in einem Mailänder Krankenhaus der Leukämie], an der er seit | |
| längerem litt. Damit scheidet der Mann aus dem Leben, der wie kein anderer | |
| Italiens Politik in den letzten 30 Jahren geprägt hat. | |
| Dabei war Berlusconi von Haus aus eigentlich gar kein Politiker, sondern | |
| ein – überaus erfolgreicher – Unternehmer. Schon als Schüler bewies er | |
| Geschäftssinn, als er Klassenkameraden seine Hausaufgaben abschreiben ließ | |
| – allerdings nur gegen Bares. | |
| Nach seinem Jurastudium startete er im boomenden Italien der 60er Jahre als | |
| Bauunternehmer und drehte gleich ein großes Rad: Er baute erst Wohnblocks, | |
| zehn Jahre später dann ein ganzes Viertel, „Milano 2“. Er stammte | |
| keineswegs aus einer reichen Familie, doch an Kapital mangelte es nie. | |
| Fragen nach dessen Herkunft hat Berlusconi, der die Summen für die | |
| Kapitalerhöhungen seiner Holding immer cash in die Bank trug, nie | |
| beantwortet | |
| In seiner Zeit als Unternehmer hatte er jedenfalls enge Kontakte auch zu | |
| führenden Mafiosi – einen von ihnen beschäftigte er gar, angeblich als | |
| „Stallknecht“, in seiner Mailänder Villa. Aus allen Ermittlungsverfahren | |
| hierzu kam er jedoch ungeschoren heraus; als Komplize der Cosa Nostra zu | |
| sieben Jahren Haft verurteilt wurde jedoch später Marcello Dell’Utri, einer | |
| seiner engsten Mitarbeiter. | |
| ## Bei den Wahlen 1994 drohte Sieg der Linken | |
| Als Ende der 70er Jahre in Italien wie auch im Rest von Europa [2][das | |
| Privatfernsehen auf dem Vormarsch] war, witterte Berlusconi ein neues | |
| großes Geschäft. Erst zog er den eigenen Sender Canale5 hoch, dann kaufte | |
| er zwei konkurrierende Sender auf – und war in den 80ern zum Monopolisten | |
| auf dem Feld des Privat-TV aufgestiegen, der auf 45 Prozent der | |
| Einschaltquote kam und damit fast gleichauf mit dem Staatssender RAI lag. | |
| Möglich wurde dieser durch Mediengesetze nicht verhinderte Aufstieg dank | |
| der politischen Protektion, die der TV-Mogul genoss. Vorneweg hielt Bettino | |
| Craxi, Chef der Sozialistischen Partei, seine schützende Hand über ihn, | |
| aber auch zahlreiche Christdemokraten wie Giulio Andreotti halfen, wo sie | |
| konnten. | |
| Umso bitterer musste es ihm aufstoßen, dass breitangelegte | |
| Korruptionsermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft im Jahr 1992 gegen | |
| Craxi und Andreotti die Sozialisten und die Christdemokraten von der | |
| politischen Bühne fegten. Bei den Wahlen 1994 drohte plötzlich ein Sieg der | |
| Linken um die früheren Kommunisten, es drohte ein strengeres Mediengesetz, | |
| Berlusconi musste mit Korruptionsermittlungen rechnen. | |
| ## Italien vor den „Roten“ retten | |
| Der aber fackelte nicht lange, hob über Nacht eine eigene Partei aus der | |
| Taufe: Forza Italia. In bestem populistischen Stil lästerte er nun über die | |
| „Politikaster“, als deren Gegenentwurf er sich präsentierte. Er, so | |
| Berlusconi, sei „aus dem Schützengraben der Arbeit“ gestiegen, um Italien | |
| vor den „Roten“ zu retten – und sich selbst vor den „roten Roben“. Sc… | |
| der ersten Koalition, gebildet nach dem Wahlsieg 1994, saßen neben der | |
| Forza Italia die Postfaschisten und die Lega Nord – ganz nebenher hatte | |
| Berlusconi so zwei radikal rechte und stramm populistische Parteien | |
| hoffähig gemacht. | |
| Dieses Format sollte er auch in den von ihm geführten Regierungen in den | |
| Jahren 2001–2006 und 2008–2011 beibehalten; so konnte er das Primat | |
| beanspruchen, die erste dezidiert populistische Regierung in Europa | |
| geschaffen zu haben. „Wäre er nicht in die Politik gegangen, so säßen wir | |
| heute im Gefängnis oder schliefen unter Brücken.“ Auf diese kurze Formel | |
| brachte einer von Berlusconis Spitzenmanagern den wichtigsten Grund für den | |
| Schritt in die politische Arena. | |
| Erfolgreich war Berlusconi dort, weil er das Blaue vom Himmel versprach: | |
| „eine Million neue Arbeitsplätze, weniger Steuern für alle, Verdoppelung | |
| der Mindestrenten, Abschaffung der Grundsteuer!“ Vor allem aber half ihm, | |
| dass er alte Spaltungen zwischen rechts und links wiederbelebte, dass er | |
| sich dabei in allen seinen Korruptions- und Bilanzfälschungsverfahren als | |
| Opfer in Szene setzte. | |
| ## Sexgeschichten mit Minderjährigen und Bestechung | |
| Doch vor zehn Jahren schien der endgültige Niedergang gekommen. Üble | |
| Sexgeschichten auch mit Minderjährigen („Bunga bunga“) wurden publik, zudem | |
| wurde Berlusconi wegen Bestechung zu vier Jahren Haft verurteilt. Die | |
| musste er zwar bloß mit ein paar Sozialstunden in einem Altersheim abbüßen, | |
| doch er verlor seinen Sitz im italienischen Senat. | |
| Berlusconi aber machte einfach weiter, als sei nichts gewesen, als | |
| Unternehmer genauso wie als Politiker, blieb Parteichef seines Geschöpfs | |
| Forza Italia – und durfte sich darüber freuen, dass seine Allianzpartner | |
| Giorgia Meloni und Matteo Salvini in alter Treue zu ihm hielten. Den | |
| elektoralen Niedergang seiner Partei konnte er zwar nicht aufhalten: Hatte | |
| Forza Italia in den besten Zeiten Zustimmungswerte von rund 30 Prozent, | |
| waren es bei den Wahlen 2018 nur noch 14 Prozent und beim Urnengang 2022 | |
| gar nur noch 8 Prozent. | |
| Doch Berlusconi saß weiter mit am Tisch der Rechten, wäre im Januar 2022 | |
| gar gern Staatspräsident geworden. Dafür reichte es nicht, aber Berlusconi | |
| selbst saß seit 2022 wieder im Senat, während [3][Forza Italia mehrere | |
| Minister*innen in Melonis Kabinett] stellt. Man darf es wohl eine | |
| gelungene Rehabilitierung nennen: Italien hat es sich in den letzten Jahren | |
| völlig abgewöhnt, über Berlusconis private und politische Skandale zu reden | |
| oder auch nur alte, nie beantwortete Fragen nach der immer im Dunklen | |
| gebliebenen Herkunft seines immensen Startkapitals zu stellen. | |
| 12 Jun 2023 | |
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| Michael Braun | |
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