# taz.de -- Einsamkeit, Berlusconi und Trauer: Parteienfamilien und andere Inse… | |
> Unsere Autorin redet mit fremden, einsamen Menschen. Tage danach beklagt | |
> sich ein italienischer Freund auch über Einsamkeit – wegen Berlusconi. | |
Bild: Das Staatsbegrebnis von Silvio Berlusconi im Mailänder Dom | |
Haben Sie auch nicht gemerkt, oder? Dass gerade die Aktionswoche | |
„Gemeinsam aus der Einsamkeit“ zu Ende ging, meine ich. Sie fand ohne große | |
Öffentlichkeit, von Montag bis Freitag statt, um für das Problem zu | |
sensibilisieren, das laut Bundesfamilienministerium besonders häufig junge | |
Erwachsene und sehr alte Menschen, meist Frauen, betrifft: einen | |
empfundenen Mangel an sozialen Beziehungen zu anderen Menschen. | |
Von der Website der Aktionswoche geriet ich auf eine Mitmachseite, auf der | |
man einen „Ort der Gemeinsamkeit“ eintragen konnte, um sich einsamen | |
Menschen als Gegenüber zur Verfügung zu stellen. Kurz dachte ich an unseren | |
Küchentisch, der wie geschaffen ist für ausufernde Gespräche und ebenso | |
ausufernde Mahlzeiten – der eben aber auch ein Ort des familiären Chaos | |
ist. Ein Flyer zur Aktionswoche zeigt einen älteren Mann allein beim Essen: | |
„Einsamkeit sitzt mit am Tisch“, so der Slogan. | |
Ich versuchte mir unseren Küchentisch verwaist vorzustellen, ohne das ganze | |
Gerümpel und das laute Durcheinanderreden drum herum – es gelang mir nicht. | |
Interessant, wie gut Verdrängung funktioniert. Dabei hatte ich mich doch | |
erst letzte Woche mit Kind eins auf Klassenfahrt, Kind zwei und dem Mann | |
ständig auf Achse durchaus mal einsam gefühlt – allerdings nur sehr | |
punktuell, weil es mich eben traurig macht, alleine zu essen. | |
[1][Echte Einsamkeit aber ist fies], sie macht gleichzeitig mürbe und | |
bedürftig; das merke ich, wenn ich den verwitweten Onkel am Telefon habe | |
oder der alleinstehenden älteren Frau aus der Straße begegne, die nach | |
einem freundlichen „Wie geht’s?“ gar nicht mehr aufhört zu reden. | |
## Klagen über Einsamkeit | |
Der Mitarbeiter meiner Friseurin hat unlängst gekündigt – er war, so | |
erzählte sie, genervt von den älteren Herrschaften, für die das Waschen, | |
Schneiden, Legen, Föhnen der Höhepunkt ihrer Woche ist. Friseursalons sind | |
auch Orte gegen Einsamkeit, allerdings nur für diejenigen, die es sich | |
leisten können, sie regelmäßig aufzusuchen. | |
Wer es sich nicht leisten kann, sich temporär auf Inseln der (wenn auch | |
kommerziellen) menschlichen Interaktion zu flüchten, verwelkt in der | |
eigenen Wohnung und lauert auf Kontaktaufnahmen von außen – und sei es nur | |
der Paketbote, der eine Sendung für den Nachbarn dalassen will. | |
Am Dienstag klagte auch mein italienischer Freund überraschend über | |
Einsamkeit. Erst war ich etwas besorgt, schließlich entstand unser Kontakt | |
[2][während des ersten Coronalockdowns], als wir, deprimiert und sozialer | |
Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände bedürftig, uns regelmäßig digital | |
zu unterhalten anfingen. | |
## Einsam dürfte der Cavaliere nicht gewesen sein | |
Job verloren? Freundin weg? – Nein, präzisierte er, es sei politische | |
Einsamkeit, die ihn plage. Nicht nur er, ganz Italien fühle sich wie | |
verwaist, nachdem der ewige „Cavaliere“ das Zeitliche gesegnet hatte: „Me… | |
ganzes Leben lang war Silvio Berlusconi immer da“, barmte er. – Ganz | |
Italien in Trauer und Einsamkeit? | |
Nun ja. Ich erinnerte ihn dezent an das Buch in seinem Rücken, das er mir | |
bei anderer Gelegenheit einmal gezeigt hatte. „L’odore dei soldi“ (Der | |
Geruch des Geldes), das den zweifelhaften Quellen von Berlusconis immensem | |
Reichtum nachspürt, fand 2001 mehr als 300.000 LeserInnen in Italien. Die | |
Autoren kamen zu dem Schluss, dass es Berlusconi nur dank seiner engen | |
Kontakte zur sizilianischen Mafia gelungen sei, seine Firma Fininvest | |
aufzubauen. | |
Ja, auch ihn habe das empört, sagte der Freund, aber der Mailänder | |
Geschäftemacher, [3][Medienmogul] und Politiker habe es halt immer | |
verstanden, im Spiel zu bleiben, das sei schon eine besondere | |
Lebensleistung. Auch wenn er ein schrecklicher Politiker und ein peinlich | |
gealterter Casanova gewesen sei. | |
Einsam dürfte Berlusconi auch zuletzt nicht gewesen sein. Seine (natürlich | |
sehr viel jüngere) letzte Lebensgefährtin und seine fünf Kinder waren bei | |
ihm. Und auch seine plötzlich ihrer Überfigur beraubten Parteifreunde | |
[4][von der Forza Italia] dürften nicht lange verwaist bleiben: In der | |
Parteienfamilie von Melonis postfaschistischer Regierung dürfte sich für | |
die fünf Abgeordneten bald eine neue Heimat finden. | |
16 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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