| # taz.de -- Macht und Medien nach Berlusconis Tod: Fernsehen, das das Hirn vern… | |
| > Mit seinen TV-Sendern hat Silvio Berlusconi die Menschen entpolitisiert. | |
| > Wie wird sich das Medienimperium nach dem Tod des "Cavaliere" entwickeln? | |
| Bild: Silvio Berlusconi informiert sich 1984 noch ganz traditionell | |
| Ob Silvio das gefallen hätte? Am letzten Montag, an dem Berlusconi | |
| verstarb, liefen gleich zwei seiner drei TV-Sender den ganzen Tag mit einem | |
| Sonderprogramm, das nur ein Thema hatte: die Großtaten des prominenten | |
| Toten. Dagegen hätte der von der eigenen Größe tief Überzeugte wohl kaum | |
| etwas einzuwenden gehabt – womöglich aber dagegen, dass die | |
| Endlos-Sondersendung völlig werbefrei ausgestrahlt wurde. Berlusconi-Sender | |
| ohne Werbung: Das hatte es in der langen Geschichte des Medienimperiums | |
| noch nie gegeben. | |
| Schließlich hatte er, der ursprünglich als Baulöwe gestartet war, sich Ende | |
| der Siebzigerjahre vor allem deshalb aufs Privat-TV geworfen, weil er in | |
| ihm, dank der Werbung, eine gigantische Geldmaschine ahnte. In jenen Jahren | |
| gingen in Italien die ersten Privaten an den Markt, um dem Staatssender RAI | |
| mit seinen drei Wellen Konkurrenz zu machen, und Berlusconi war sofort | |
| dabei. 1976 übernahm er den kleinen Sender Telemilano5, den er später in | |
| Canale 5 umtaufen sollte – und drehte schnell ein großes Rad. | |
| So warb er mit Mike Bongiorno den damals wohl prominentesten italienischen | |
| Showmaster von der RAI ab, und so sicherte er sich 1981 die Rechte am | |
| US-Serien-Blockbuster Dallas. Da war Canale 5 schon längst kein Mailänder | |
| Lokalfernsehen mehr; der frisch gebackene Medienmogul hatte sich | |
| Sendemasten im ganzen Land besorgt, über die er das Canale 5-Programm | |
| ausstrahlen ließ. | |
| Und er kaufte zwei weitere, von Konkurrenten aufgebaute Sender dazu, Rete 4 | |
| und Italia 1 – und war schon 1984 der weitaus größte private TV-Unternehmer | |
| im Land. Mit Politik hatten seine Kanäle nichts am Hut: Es gab weder | |
| Nachrichtensendungen noch Informationsprogramme, stattdessen liefen | |
| US-Serien wie Dallas und Denver oder seichte Shows, gerne auch anzüglich, | |
| dank der Dauerpräsenz halbnackter junger Mädchen. | |
| ## Hirn vernebelt | |
| Eben dies sei Berlusconis schweres Vergehen in den Achtzigern gewesen, | |
| warfen und werfen ihm Kulturkritiker*innen bis heute vor: dass er das | |
| Hirn der Menschen mit seiner hirnlosen TV-Unterhaltung systematisch | |
| vernebelt und [1][sie so entpolitisiert habe]. Doch so unpolitisch seine | |
| Sender rüberkamen, so sehr brauchte doch ihr Eigner seinerseits die | |
| Politik. | |
| Denn er strahlte nationale Programme aus, obwohl das Verfassungsgericht | |
| vorher nur lokales Fernsehen zugelassen hatte. Mit einem Trick hatte | |
| Berlusconi das Hindernis zu umgehen gesucht: Formal waren für ihn bloß | |
| lokale Sender am Start, die zwar das gleiche Programm boten, es aber von | |
| Region zu Region leicht zeitversetzt ausstrahlten. Auf diesen billigen | |
| Trick wollten sich jedoch diverse Gerichte nicht einlassen – und stoppten | |
| den Sendebetrieb. | |
| Doch Berlusconi genoss höchste politische Protektion: Der damalige | |
| Ministerpräsident und Chef der Sozialistischen Partei Bettino Craxi erließ | |
| im Oktober 1984 umgehend ein Gesetzesdekret, das die richterlichen | |
| Verfügungen außer Kraft setzte. Von Stund an war Berlusconi, durch | |
| juristische Fallstricke nicht weiter gehindert, der einzige wirkliche | |
| Player des italienischen Privatfernsehens, konnte er am Ende des Jahrzehnts | |
| Einschaltquoten von 45 Prozent verbuchen und lag damit fast gleichauf mit | |
| der staatlichen RAI. | |
| Ein den privaten TV-Sektor regelndes Mediengesetz erhielt Italien erst im | |
| Jahr 1990. Wieder taten die regierenden Christdemokraten und | |
| Craxi-Sozialisten alles, um Berlusconis Vormachtstellung abzusichern: Ohne | |
| Probleme durfte er seine drei TV-Sender und damit seine Monopolstellung | |
| halten. Allerdings wurde er auch dazu verpflichtet, Nachrichtensendungen | |
| einzuführen – die wenig überraschend äußerst freundlich über | |
| Christdemokraten und Sozialisten, über Andreotti und Craxi berichteten. | |
| ## Plötzlich ohne Protektion | |
| So hätte es immer weitergehen können, hätte die Staatsanwaltschaft Mailand | |
| nicht 1992 mit ihren Korruptionsverfahren Berlusconis politische Paten | |
| weggefegt. Plötzlich stand er ohne Protektion da – und beschloss kühn, sein | |
| eigener politischer Schutzherr zu werden. | |
| Beim Aufbau seiner Partei Forza Italia halfen die dank der ununterbrochen | |
| sprudelnden Werbeeinnahmen angehäuften Milliarden ebenso wie die mediale | |
| Feuerkraft seiner Sender: 1994 gewann der Magnat die Parlamentswahlen aus | |
| dem Stand. | |
| Seither – und bis zu seinem Tod – war Berlusconi im Doppelberuf tätig, als | |
| Politiker, der insgesamt neun Jahre lang italienische Regierungen anführte, | |
| ebenso wie als Unternehmer, dessen Medien immer ein gutes Wort für den | |
| Politiker Berlusconi hatten. Allein seine TV-Holding Mediaset, an der seine | |
| Familie heute 50 Prozent hält, kapitalisierte im Jahr 2000 gut 20 | |
| Milliarden Euro an der Börse; außerdem hatte Berlusconi noch | |
| Bankbeteiligungen, besaß er den größten italienischen Buch- und | |
| Zeitschriftenverlag ebenso wie den Fußballclub AC Mailand. | |
| Doch sein politischer Abstieg – Forza Italia holte bei den letzten | |
| Parlamentswahlen nur noch 8 Prozent – verlief im Gleichschritt mit | |
| unternehmerischem Niedergang. Vor sechs Jahren hatte Mediaset noch einen | |
| Börsenwert von 10 Milliarden Euro, doch mittlerweile ist sie auf nur noch | |
| 1,7 Milliarden abgestürzt. Und wurde die Mediaset-Aktie im Sommer 2021 noch | |
| mit 3 Euro notiert, so war sie unmittelbar vor Berlusconis Tod nur noch 65 | |
| Cent wert. Dabei liegen die Einschaltquoten immer noch bei rund 35 Prozent, | |
| fließen auch genügend Werbeeinnahmen, um Gewinne zu sichern. | |
| ## Anschluss verloren | |
| Die drei Berlusconi-Sender müssen jedoch damit fertig werden, dass sie den | |
| Anschluss an die großen Umbrüche des TV-Markts verschlafen haben, dass ihr | |
| Modell des analogen Free-TV heute als Auslaufmodell gilt: Sky, Disney, | |
| Apple, Netflix oder Prime haben sie nichts entgegenzusetzen. In | |
| MediaForEurope hatte sich Mediaset im Jahr 2021 umgetauft, um den Anspruch | |
| geltend zu machen, sich europäisch aufzustellen und so der internationalen | |
| Konkurrenz die Stirn zu bieten – doch weiterhin gehören bloß Mediaset | |
| España und ein 25-Prozent-Anteil an ProSiebenSat.1 zum Imperium. | |
| Berlusconis fünf Kinder werden sich deshalb schon bald ebenso fragen, ob | |
| sie weiter Geld in Vaters Partei Forza Italia stecken wollen und ob sie an | |
| den in die Jahre gekommenen TV-Sendern festhalten sollten. Chef der | |
| Fernsehsparte ist Pier Silvio Berlusconi, und der sicherte den | |
| Beschäftigten jetzt in einem Brief „ungebrochene Kontinuität“ zu. Daran | |
| glaubt die Börse jedoch nicht: Kaum war Berlusconi verstorben, brannte sie | |
| ein wahres Kursfeuerwerk der Mediaset-Aktie ab; sie stieg an nur einem Tag | |
| um 13 Prozent, getragen von der Hoffnung, die Berlusconi-Erben könnten die | |
| TV-Sparte schnell verkaufen. | |
| 18 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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