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# taz.de -- Italiens Rechte wettern gegen die Justiz: Im Geiste Berlusconis
> Die Justiz ermittelt gegen Mitglieder der Regierung. Die geißeln das als
> „politische Attacke“. Wie einst Berlusconi sehen sie sich als
> Justizopfer.
Bild: Sind unabhängige Justizermittlungen eine „politische Attacke“? Melon…
Rom taz | Einen „Angriff ins Herz der Justiz“ beklagte am Samstag Italiens
Richterbund – und meinte damit nicht irgendwelche subversiven Kräfte,
sondern Italiens Rechtsregierung unter Ministerpräsidentin [1][Giorgia
Meloni]. Das überrascht nicht, denn die Regierungschefin gibt mittlerweile
den Berlusconi: Bis zu seinem Tod vor knapp einem Monat war es dessen
Hauptsport gewesen, sich selbst immer wieder als Opfer „roter Roben“ – der
Justiz – zu inszenieren, die ihn angeblich politisch verfolgten.
[2][Berlusconi ist tot], doch sein Geist lebt weiter, wie die letzten Tage
zeigten: Am Donnerstag vergangener Woche spielte die Regierung den Medien
eine Notiz zu, in der es hieß, „Quellen aus dem Palazzo Chigi“, dem Amt der
Ministerpräsidentin, stellten sich „die legitime Frage“, ob ein Teil der
Justiz beschlossen habe, „eine aktive Oppositionsrolle zu spielen und schon
jetzt den Europawahlkampf zu eröffnen“.
Derzeit sind gleich zwei Regierungsmitglieder im Fadenkreuz der Justiz.
Etwa die Tourismusministerin Daniela Santanchè – prominent wurde die
Politikerin aus den Reihen der Partei Melonis in den letzten 20 Jahren als
Hetzerin gegen den Islam, zum Beispiel als sie versuchte, muslimischen
Frauen den Schleier vom Kopf zu reißen. Zugleich legte sie eine
Parallelkarriere als Unternehmerin hin, war etwa Geschäftspartnerin des
Sportmanagers [3][Flavio Briatore].
Ärger hat sie aber jetzt wegen zweier anderer Unternehmen. Vor Jahren hatte
sie die Firma Visibilia gegründet, die sich zunächst um die Werbeakquise
für Zeitungen kümmerte und dann selbst in den Zeitschriftenmarkt einstieg,
zudem hatte sie die Bio-Handelsgruppe KI übernommen. Beide Unternehmen sind
mittlerweile heillos überschuldet.
## Ein Staatssekretär gab geheime Akten weiter
Doch während Santanchè sich selbst und ihren aufeinanderfolgenden
Lebensgefährten Managergehälter in Millionenhöhe auszahlte, wurden
Lieferanten und Beschäftigte nicht bezahlt, sowie Steuerschulden nicht
beglichen. Deshalb ermittelt die Mailänder Staatsanwaltschaft seit November
2022 wegen Bilanzfälschung und Bankrott gegen Santanchè.
Eine „politische Attacke“ also? In [4][Berlusconi-Land] allemal. Da
interessieren nicht so sehr die Angestellten, die in einzelnen Fällen noch
auf über 70.000 Euro warten, nicht die Lieferfirmen, denen Santanchè das
freundliche Angebot machte, sie könne ja 20 Prozent ihrer
Millionenforderungen begleichen. Da interessiert auch nicht, dass die
Ministerin in Covid-Zeiten 2,7 Millionen Euro an Staatskrediten abgegriffen
hatte, jetzt aber freundlich darum nachsucht, deren Rückzahlung möge ihr
erlassen werden, um ihre Firmen zu retten.
Skandalös findet Italiens regierende Rechte auch die in Rom laufenden
Ermittlungen gegen den Justiz-Staatssekretär Andrea Delmastro. Der hatte
seinem Parteifreund bei den Fratelli d'Italia, dem Abgeordneten Giovanni
Donzelli, geheime Abhörunterlagen aus dem Justizministerium zugespielt.
Belauscht worden war der Besuch einiger Parlamentarier*innen der
[5][linken Oppositionspartei Partito Democratico (PD)] bei dem Anarchisten
Alfredo Cospito, der wegen einiger Bombenanschläge im Hochsicherheitstrakt
einsitzt, unter Haftbedingungen, wie sie sonst nur Mafiabossen vorbehalten
sind.
Und Donzelli hatte nichts Besseres zu tun, als die PD-Abgeordneten
polemisch zu fragen, ob sie „auf Seiten des Staates oder aber auf Seiten
der Terroristen“ stünden. Dass er auf ihm zugespielte Geheimakten
zurückgriff, ist für die Rechte kein Thema, ganz so, als handele es sich um
ein Kavaliersdelikt. Das echte Delikt begeht angeblich dagegen jener
Untersuchungsrichter, der die Anklageerhebung gegen Donzellis Parteifreund
Delmastro verfügt hat.
„Justiz mit dem Timer“, schreit jetzt die gesamte Rechtskoalition,
angeblich sollen so die Europawahlen beeinflusst werden, auch wenn die erst
in elf Monaten stattfinden. Silvio Berlusconi würde sich freuen über seine
politischen Erb*innen.
10 Jul 2023
## LINKS
[1] /Giorgia-Meloni-zu-Besuch-bei-Olaf-Scholz/!5913506
[2] /Macht-und-Medien-nach-Berlusconis-Tod/!5938646
[3] /Buch-ueber-Reichtum/!5028265
[4] /Nach-dem-Tod-von-Berlusconi/!5938665
[5] /Verkehrswende-in-Bologna/!5945366
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
Giorgia Meloni
Politische Justiz
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Verkehrswende
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