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# taz.de -- Regierung in den Niederlanden: Premier Rutte tritt ab
> Die niederländische Koalition zerbricht an einem Streit über die
> Asylpolitik. Im November könnte es Neuwahlen geben.
Bild: Beendet vorzeitig seine vierte Legislaturperiode: Mark Rutte
Amsterdam taz | Die niederländische Mitte-Rechts-Regierung ist am Freitag
Abend gefallen. In drei Tage dauernden Verhandlungen war es zuvor nicht
gelungen, einen internen Konflikt um die künftige Asylpolitik beizulegen.
Die [1][Volkspartij voor Vrijheid en Democratie] (VVD) von Premier Mark
Rutte wollte den Familiennachzug von Asylbewerber*innen deutlich
erschweren. Die Koalitionspartnerinnen Democraten66 (D66) und vor allem die
calvinistische ChristenUnie (CU), die sich stark über Ethik und
Mitmenschlichkeit definiert, standen dem entgegen.
Nach [2][anderthalb Jahren kommt damit ein schnelles Ende] der vierten
Legislaturperiode Ruttes und der Regierungskoalition, die von der
christdemokratischen Partei CDA komplettiert wird. Die
Meinungsverschiedenheiten untereinander seien „leider unüberbrückbar“
gewesen, so der seit 2010 regierende Premier auf einer Pressekonferenz. Die
verschiedenen Standpunkte seien kein Geheimnis. Das Ende nannte Rutte „sehr
bedauerlich, aber eine politische Tatsache“. Beschlossen hätten es alle
Koalitionsparteien einvernehmlich. Damit widersprach er Gerüchten, die
Juniorpartnerin ChristenUnie hätte das Handtuch geworfen.
Rutte kündigte an, am gleichen Abend dem König schriftlich den Rücktritt
seiner Regierung mitzuteilen. Das Kabinett befindet sich damit wie schon
2021 in einem Übergangs-Status, in dem es die laufenden Geschäfte
kommissarisch leitet. Willem-Alexander kommt aus dem Urlaub zurück, um am
heutigen Samstag mit Rutte die Lage zu besprechen. Am Montag wird das
Parlament in Den Haag voraussichtlich über das Ende der Koalition
debattieren. Eigentlich haben die Abgeordneten seit Freitag Sommerferien.
Die VVD hatte der Regierung ein Ultimatum gestellt, bis zum Ferienbeginn
eine Lösung der asylpolitischen Streitigkeiten zu finden.
## Defizite bei der Versorgung von Asylsuchenden
Mit der Forderung, den Familiennachzug deutlich zu beschränken, stieß die
VVD besonders bei der ChristenUnie auf Widerstand. CU-Vizepremier Carola
Schouten betonte nach den gescheiterten Verhandlungen, dass es für die
Partei sehr wichtig sei, dass „jemand, der aus einer Kriegssituation kommt,
auch seine Kinder hierherbringen kann“. Die VVD hingegen will mittels eines
stark eingeschränkten Familiennachzugs den Zustrom von
Asylbewerber*innen senken.
Derzeit geht man in den Niederlanden von 70.000 Anfragen im laufenden Jahr
aus – ein Viertel mehr, als noch Ende 2022 einkalkuliert. Zuletzt hatten
die vier Koalitionsparteien einen sogenannten „Notbremsen“-Mechanismus
diskutiert, der den Familiennachzug situationsabhängig einschränken sollte.
Dass man sich auch über diesen Vorschlag nicht einig wurde, zeigt, wie
angespannt die asylpolitische Lage in den Niederlanden seit einem Jahr ist.
Bereits im vergangenen Sommer fehlten dem staatlichen System der
Unterbringung von Asylbewerber*innen zahlreiche Unterkünfte. Vor dem
zentralen Anmeldungszentrum Ter Apel in der Provinz Groningen mussten immer
wieder Menschen, die auf ihre Registrierung warteten, auf der Straße
schlafen. Im Spätsommer waren es mehrere Hundert. Die hygienischen
Verhältnisse führten dazu, dass erstmals die Hilfsorganisation Ärzte ohne
Grenzen im Land aktiv war. Für den Sommer wird eine Wiederholung dieser
Zustände befürchtet.
## Zwei Drittel der Bevölkerung für Asyl-Stop
Die niederländische Gesellschaft reagierte 2022 äußerst gespalten:
Bestürzung und Scham über die Lage in Ter Apel stand die zunehmende
Weigerung von Kommunen gegenüber, auf ihrem Gebiet zusätzliche Unterkünfte
für Asylbewerber*innen zu errichten. Der Plan, diese per Gesetz über
das gesamte Land zu verteilen, stößt bis heute vielerorts auf Ablehnung. In
einer Umfrage sprachen sich letzten Spätsommer mehr als zwei Drittel für
einen „vorübergehenden Asyl-Stop“ aus. Nicht zuletzt in der VVD gibt es
dafür zahlreiche Stimmen.
Offenbar will sich die stärkste Partei der letzten vier Parlamentswahlen
nun beim Thema Asylpolitik deutlich profilieren. Vizepremierministerin
Sigrid Kaag (D66) sprach im Nachhinein von „unnötigen Spannungen“. Der Kurs
der VVD jedoch passt zum jüngsten europäischen Macherimage Ruttes, der auf
EU-Ebene gemeinsam mit Giorgia Meloni an einem Flüchtlings-Deal mit
Tunesien bastelt. Bei den Neuwahlen, die nach derzeitigem Stand Mitte
November stattfinden könnten, dürfte das Thema in den Fokus rücken.
8 Jul 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Tobias Müller
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