Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regierungskrise in den Niederlanden: „Teflon-Mark“ zieht die Re…
> Nach dem Bruch seiner Mitte-rechts-Koalition will der niederländische
> Premier Rutte bei Neuwahlen nicht mehr antreten. Viele Wähler begrüßen
> das.
Bild: Mark Rutte hat fertig und verlässt die Politik
Amsterdam taz | Die Woche nach dem Sturz der niederländischen Regierung
begann mit einem Paukenschlag: „Gestern Morgen habe ich die Entscheidung
getroffen, dass ich nicht mehr als Spitzenkandidat der VVD zur Verfügung
stehe“- mit diesen Worten eröffnete [1][der zurückgetretene Regierungschef
Mark Rutte] am Montag seine Erklärung an das Parlament.
„Beim Antritt eines neuen Kabinetts nach den Wahlen werde ich die Politik
verlassen“, sagte er. Rutte, der bereits seit 2010 im Amt ist, betonte, die
Niederlande seien das einzige, was ihn motiviere, seine eigene Position sei
dem allen dabei völlig untergeordnet.
Unmittelbar nach dem Zerbrechen seiner Mitte-rechts-Koalition hatte er noch
angekündigt, erneut kandidieren zu wollen. Den Staffelstab nun
weiterzugeben, fühle sich gut an, so der 56-jährige Rutte. Bis zur
Vereidigung einer neue Regierung will er das Amt weiter kommissarisch
ausüben. Da Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden meist komplex und
langwierig sind, dürfte der endgültige Abschied nicht vor dem Frühjahr
anstehen. Die Neuwahlen sollen im November stattfinden.
Als unmittelbare Folge von Ruttes Erklärung zog die Opposition den
eigentlich geplanten Misstrauensantrag gegen ihn zurück. Damit wollten
Sozialdemokrat*innen und Links-Grüne in einer Parlamentsdebatte über
den Sturz der Regierung einen sofortigen Abschied Ruttes erwirken. Nach
seinem freiwilligen Rückzug ließen sie verlauten, eine „neue Zeit“ sei
angebrochen. Die PvdA-Fraktionsvorsitzende Attje Kuiken sprach von
„frischer Luft“.
## Krasser Widerspruch
Die Anerkennung, die Rutte in der Folge selbst von schärfsten politischen
Rivalen wie Geert Wilders bekam, hatte etwas Versöhnliches. Sie steht
jedoch im krassen Widerspruch zu einer Umfrage des TV-Magazins „EenVandaag“
am vergangenen Wochenende: Demnach sind drei Viertel der Befragten dagegen,
dass Rutte nach den Neuwahlen ein fünftes Mal als Premierminister antritt.
Dieses Ergebnis spiegelt eine weitverbreitete Stimmung im Land wider.
Spätestens seit Ruttes Vorgängerregierung 2021 wegen des Kindergeldskandals
zurücktrat, stößt er bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Abneigung.
Dass er danach mit einer identischen Koalition ins Amt zurückkehrte,
verstärkte dieses Unbehagen. Mehrfach balancierte er in Parlamentsdebatten
am Rande des Abgrunds, [2][Misstrauensanträge häuften sich]. „Teflon-Mark�…
wie man ihn seit jeher nannte, überstand sie alle.
Der Aura, dass vermeintlich nichts an ihm kleben bleibe und ihm etwas
anhaben könne, wurde dabei jedoch immer mehr vom Bild eines
Premierministers untergraben, der an seinem Amt klebt und sich durch einen
flexiblen Umgang mit der Wahrheit aus der Bedrängnis zu retten versucht.
Der Ausdruck, er habe an bestimmte Situationen „keine aktive Erinnerung“,
wurde zu einem geflügelten Wort.
Dass einem gewieften Politik-Profi wie Rutte sein Instinkt abhanden kommt
und er den Zeitpunkt zum Rückzug derart offensichtlich verpasst, zeigt: die
Teflon-Schicht ist ab. Das Ende der Regierung und sein nun verkündeter
Abschied sind das späte Eingeständnis dieser Erkenntnis.
## Ambivalentes Vermächtnis
Zurückbleiben wird ein ambivalentes Vermächtnis. Rutte hat in seinen
Amtszeiten das Land durch Eurokrise und Coronapandemie gelotst, freilich
zum Preis brettharter Austerität, der Verarmung vieler Bürger*innen
sowie einer bisweilen erratischen Virusbekämpfung. Er ist aber auch der
Premier des Kindergeldskandals und der Ignoranz gegenüber der Groninger
Bevölkerung, die wegen der durch die Erdgasförderung ausgelösten Erdbeben
um ihre Sicherheit fürchtete.
Rutte ist das erklärte Feindbild einer nach rechts offenen Protestbewegung,
die seit Jahren durch das Land schwappt und mit dem Slogan „Oprutte!“ (in
Anspielung an „oprotten“ – „sich verpissen“) seinen Abschied fordert.
Zugleich war er – selbst am Tag, als er seinen Rückzug verkündete, sah er
noch harmlos wie ein Konfirmand aus – bemüht, einem wachsenden Populismus
mit barschen Aussagen gegen weitere europäische Integration oder
Zuwanderung das Wort zu reden. Das hat nun zum Ende seiner politischen
Laufbahn geführt.
10 Jul 2023
## LINKS
[1] /Streit-um-Fluechtlingspolitik/!5943321
[2] /Politische-Krise-in-den-Niederlanden/!5763985
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Regierung
Niederlande
Mark Rutte
Wahlen NIederlande
Schwerpunkt Klimawandel
Niederlande
Regierung
Amsterdam
Niederlande
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wahlen in den Niederlanden: Der Senkrechtstarter
Bei der Wahl zum niederländischen Parlament führt kein Weg an Pieter
Omtzigt und seinem Nieuw Sociaal Contract vorbei. Was das Phänomen
ausmacht.
Extinction Rebellion in Den Haag: Die letzte Blockade
Die Gruppe Extinction Rebellion besetzt in Den Haag seit einer Woche
täglich einen Autobahn-Zubringer. Der Streit um fossile Subventionen nimmt
zu.
Wahlkampf in den Niederlanden: Rot-grüner Messias sucht Mehrheit
Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans kehrt als Retter der Linken in die
Niederlande zurück. Sozialdemokrat*innen und Grüne sind euphorisch.
Streit um Flüchtlingspolitik: Zerruttung in den Niederlanden
Nach dem Rücktritt der Regierung bringen sich die Parteien für Neuwahlen im
November in Stellung. Droht ein weiterer Rechtsruck?
Neuwahlen in den Niederlanden: Holland steht an einer Weggabelung
Nicht noch eine Amtszeit von Regierungschef Mark Rutte ist eine schöne
Aussicht. Ob es nach ihm besser werden würde, bleibt jedoch fraglich.
Regierung in den Niederlanden: Premier Rutte tritt ab
Die niederländische Koalition zerbricht an einem Streit über die
Asylpolitik. Im November könnte es Neuwahlen geben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.