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# taz.de -- Wahlen in den Niederlanden: Der Senkrechtstarter
> Bei der Wahl zum niederländischen Parlament führt kein Weg an Pieter
> Omtzigt und seinem Nieuw Sociaal Contract vorbei. Was das Phänomen
> ausmacht.
Bild: Könnte aus dem Stand die Wahl gewinnen: Pieter Omtzigt
Amsterdam taz | Gut 13 Millionen Niederländer*innen sind am Mittwoch
aufgerufen, über die künftige Zusammensetzung des Parlaments in Den Haag
abzustimmen. Knapp 40 Prozent davon werden sich wohl erst im letzten Moment
entscheiden.
Drei Parteien liegen seit Wochen Kopf an Kopf an der Spitze der Umfragen:
auf der Rechten die marktliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie
(VVD) des nach 13 Jahren [1][scheidenden Premiers Mark Rutte], links folgt
mit geringem Abstand das rot-grüne Bündnis der sozialdemokratischen Partij
van de Arbeid (PvdA) mit GroenLinks. Dazwischen, gleichauf mit der VVD,
eine erst im August gegründete Partei: der Nieuw Sociaal Contract (NSC).
Mit Protestparteien, die plötzlich auftauchen und schnell in ungekannte
Höhen aufsteigen, kennt man sich aus in den Niederlanden. Erst im März, bei
den [2][Wahlen in den zwölf Provinzen], hatte die konservative
BauernBürgerBewegung (BBB) einen Erdrutschsieg gelandet.
Dass aber eine Partei wie der NSC quasi von der Gründung an die Umfragen
dominiert und große Chancen hat, stärkste Partei im neuen Parlament zu
werden, ist selbst hierzulande ein Novum. Dahinter steckt ein Phänomen, das
die Niederlande schon seit längerem in Atem hält: der Abgeordnete Pieter
Omtzigt.
## Kein rechtspopulistischer Polterer
Der 49-jährige ehemalige Christdemokrat ist in diesem Wahlkampf, der
freilich stark vom Nahost-Krieg überschattet wurde, die Figur, um die sich
alles dreht. Er zieht Wähler*innen von der Rechten, die auf seinen
Anti-Establishment-Diskurs und die Forderung nach einer Art Obergrenze des
Migrationssaldos reagieren.
Im christdemokratischen Elektorat gilt er ohnehin als eine Art Erlöser,
Linke springen auf seine Forderung nach „Existenzsicherheit“ an, wonach
jedem Menschen eine bezahlbare Wohnung, Energie und gesundes Essen
garantiert sein soll. Nebenher dürfte sich Omtzigt das Gros jener Stimmen
einverleiben, die im Frühjahr für den kometenhaften Aufstieg der BBB
sorgten.
Der Ökonom Omtzigt, seit 20 Jahren Abgeordneter und 2021 im Streit aus der
christdemokratischen CDA ausgeschieden, kommt dabei nicht als
rechtspopulistischer Polterer daher. Seine Migrationsgrenze ist eher ein
volkswirtschaftlicher Wert als Herrenmenschentum, und wenn er den
Neoliberalismus kritisiert, geschieht dies nicht aus einer linken
Perspektive, sondern beeinflusst von der katholischen Soziallehre. Der NSC
will die Verwaltung reformieren, um das Vertrauen zwischen Staat und
Bürger*innen wieder aufzubauen, 350.000 neue Wohnungen bauen und die
Rente sichern.
Das Programm ist eine Kombination der beiden Rollen, die Omtzigt in seiner
bisherigen politischen Laufbahn vereint. Er ist ein unbequemer
Abgeordneter, der weder die eigene christdemokratische Partei schonte noch
die Mitte-rechts-Koalition, an der diese in den letzten Jahren teilnahm.
Und ein Anwalt jener, die Opfer einer Bürokratie geworden sind, die er
einst „seelenlos“ nannte und die vermeintlich den Kontakt zur Wirklichkeit
großer Bevölkerungs-Teile verloren hat.
## Omtzigt trifft den Zeitgeist
Diese Eigenschaften prädestinieren ihn als Gegenmodell zu Premier Rutte, an
dem jahrelang zahlreiche Affären einfach abprallten. Rutte gilt vielen als
Synonym für ein marodes System, von dem sich mehr und mehr Menschen nicht
mehr repräsentiert fühlen. Omtzigt dagegen erscheint nicht nur als
Herausforderer, sondern auch Opfer dieses Systems, seit ihn die letzte von
Rutte geführte Koalition 2021 auf einen Ministerposten wegloben wollte.
Dass Omtzigt nun, nach Ruttes Abschied mit einer miserablen Reputation, das
Maß aller Dinge ist, lässt beide wie auf einer Wippe sitzend wirken: je
mehr diese einen nach unten befördert, steigt der andere empor.
Nicht unerheblich für den Aufschwung Omtzigts ist zudem ein weiterer Punkt:
Er trifft den Zeitgeist einer Gesellschaft, die nach 30 neoliberalen
Jahren, einer Pandemie und Energiekrise schwer verunsichert ist. Wohl
deshalb kann ein simples Wort wie „Existenzsicherheit“ so verfangen.
Gefährlich werden könnte Omtzigt freilich das lange Zögern über seine
künftige Rolle: Erst am Wochenende gab er an, im Fall eines Wahlsiegs auch
tatsächlich als Premier zur Verfügung zu stehen. Davon könnten nun
[3][Geert Wilders] und seine Partij voor de Vrijheid (PVV) profitieren, die
in den letzten Wochen zu den führenden Parteien aufschließen konnte. In
einer Umfrage hat sie den NSC sogar passiert.
22 Nov 2023
## LINKS
[1] /Regierungskrise-in-den-Niederlanden/!5943352
[2] /Provinzwahlen-in-den-Niederlanden/!5922426
[3] /Streit-um-Fluechtlingspolitik/!5943321
## AUTOREN
Tobias Müller
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