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# taz.de -- Rechtsextremismus in Ostdeutschland: Fremdeln mit der Demokratie
> Viele Ostdeutsche wollen einen autoritären Staat. In drei Bundesländern
> sind rechtsextreme Einstellungen besonders verbreitet, laut einer Studie.
Bild: Demonstration gegen Coronamaßnahmen und die Bundesregierung in Chemnitz …
Leipzig/Berlin taz | Viele Menschen in Ostdeutschland wünschen sich einen
autoritären Staat und fremdeln mit der Demokratie. Das ist das Ergebnis
[1][einer repräsentativen Studie] des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts
(EFBI) der Universität Leipzig, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Die Forscher:innen haben die rechtsextreme Einstellung und die
Zufriedenheit mit der Demokratie in Ostdeutschland untersucht. Darüber
hinaus sind sie der Frage nachgegangen, inwiefern eine „ostdeutsche
Gruppenidentität“ und die Erfahrungen der Wende- und Nachwendezeit Einfluss
auf die politische Einstellung in der Gegenwart haben.
„Rechtsextreme Einstellungen sind in den neuen Ländern seit Jahrzehnten in
hohem Maße vorhanden“, sagte Elmar Brähler, einer der Studienleiter bei der
Vorstellung in Berlin. Zugenommen hätte diese aber nicht. Oliver Decker
ergänzte mit Blick auf das derzeitige Umfragehoch der AfD:
„Ausländerfeindlichkeit ist das Bindeglied für rechtsextreme Parteien.“
Sehr viel Potential nach oben sahen die beiden allerdings nicht mehr,
Wähler:innen mit rechten Einstellungen anderer Parteien hätte die AfD
bereits mobilisiert, eine Reserve gebe es höchstens noch bei den
Nichtwähler:innen. Für die Erhebung haben sie auch Fragen zur Einstellung
mit der Sonntagsfrage gekoppelt.
Insbesondere spielten bei der AfD-Wahl Ausländerfeindlichkeit,
Verschwörungsmentalität und Wunsch nach Autorität eine Rolle, sie seien ein
Scharnier in die Mitte der Gesellschaft mit der die AfD Wahlkampf machen
könne. Interessant auch: „Die Einschätzung der eigenen wirtschaftliche Lage
spielt bei rechtsextremen Einstellungen überhaupt keine Rolle“, sagte
Decker.
## 3.500 Studienteilnehmer:innen
Die derzeitige Lage im Osten sei kompliziert: „Wir befinden uns in einem
Schraubstock. Auf der einen Seite ist eine gut organisierte rechte Szene,
wie die Bündnisbewegung der Freien Sachsen, die verschiedene Milieus über
Merkmale wie Ausländerfeindlichkeit ansprechen“, so Decker. „Auf der
anderen Seite kommen jetzt vorhandene ausländerfeindliche und autoritäre
Einstellungen in der Bevölkerung zum Tragen.“ Sie seien relevanter geworden
für die Wahlentscheidung. Davon profitierten rechtsextreme Parteien wie die
AfD.
Um herauszufinden, inwiefern rechtsextreme Einstellungen in den
ostdeutschen Bundesländern verbreitet sind, hat das Forscher:innenteam
den rund 3.500 Studienteilnehmer:innen 18 Aussagen vorgelegt. In
diesen Aussagen geht es um die Befürwortung einer Diktatur, Antisemitismus,
NS-Verharmlosung, Sozialdarwinismus, Ausländerfeindlichkeit und
Chauvinismus. Die Befragten hatten fünf Antwortmöglichkeiten: lehne völlig
ab, lehne überwiegend ab, stimme teils zu/teils nicht zu, stimme
überwiegend zu, stimme voll und ganz zu.
Die Aussagen, in denen eine Diktatur befürwortet wird, finden bei den
Befragten großen Anklang. 26 Prozent glauben, Deutschland brauche nun „eine
starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, ein Viertel
sieht das zum Teil so. 14 Prozent sind der Ansicht, dass es einen „Führer“
brauche, der Deutschland „zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. 19
Prozent stimmten dieser Aussage teilweise zu. 8,6 Prozent halten eine
Diktatur unter bestimmten Umständen für die bessere Staatsform, 22 Prozent
sehen das zum Teil so.
Die Zustimmung zu den Aussagen, die den Nationalsozialismus verharmlosen,
ist etwas schwächer ausgeprägt, aber immer noch erschreckend hoch. Je sechs
Prozent gaben an, dass der Nationalsozialismus „auch seine guten Seiten“
gehabt habe und dessen Verbrechen „in der Geschichtsschreibung weit
übertrieben worden“ seien. Diesen beiden Aussagen stimmten 17
beziehungsweise 14 Prozent teilweise zu.
## Antisemitischen Aussagen wird zugestimmt
Deutlich stärker wiederum ist die Zustimmung zu sozialdarwinistischen
Aussagen. Jede:r zehnte Befragte bejahte, Deutsche seien „anderen
Völkern von Natur aus überlegen“. Wiederum jede:r Zehnte gab an, dass es
„wertvolles und unwertes Leben“ gebe. Der Anteil derer, die diesen Aussagen
teils zustimmten, liegt bei 20 Prozent.
Die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen ist ebenfalls weit verbreitet.
Neun Prozent der Studienteilnehmer:innen sind der Ansicht, Juden
arbeiteten „mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen,
was sie wollen“. 19 Prozent sehen das zum Teil so. Der Aussage „Auch heute
noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ stimmten knapp 24 Prozent
teilweise oder voll zu. Die soziale Sanktion gegen Antisemitismus werde in
Ostdeutschland schwächer empfunden als in Westdeutschland und die Abwertung
offener gezeigt, schreiben die Autor:innen.
Noch stärker ist die Zustimmung zu den chauvinistischen und
ausländerfeindlichen Aussagen. Knapp 27 Prozent finden, „wir sollten
endlich wieder mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl“ haben. 27,5
Prozent wünschen sich ein „hartes Durchsetzen deutscher Interessen“. Rund
30 Prozent stimmten den beiden Aussagen zum Teil zu.
## Sachsen-Anhalt: Viele mit geschlossen rechtsextremem Weltbild
Mehr als 40 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass „die Ausländer“
nur deswegen hierherkämen, um den Sozialstaat „auszunutzen“, fast 30
Prozent sehen das teilweise so. Knapp 37 Prozent glauben, Deutschland sei
„durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Ein
Viertel stimmte dieser Aussage zum Teil zu. Dass man „Ausländer wieder in
ihre Heimat zurückschicken sollte“, sobald die Arbeitsplätze in Deutschland
knapp würden, finden knapp 30 Prozent. 23 Prozent teilen diese Ansicht zum
Teil. Gerade die Ausländerfeindlichkeit, schreiben die Autor:innen, sei
eine der großen Herausforderungen für die demokratische Gesellschaft in
Ostdeutschland.
Vergleicht man die ostdeutschen Bundesländer miteinander, fällt auf, dass
rechtsextreme Einstellungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
besonders verbreitet sind. „Hier ist damit das Potenzial für extrem-rechte
und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch“, teilte
Studienautor Elmar Brähler mit.
Sieben Prozent der Befragten weisen der Studie zufolge ein geschlossen
rechtsextremes Weltbild auf. Als geschlossen rechtsextrem gelten jene
Menschen, die durchschnittlich allen 18 Aussagen des Fragebogens
zustimmten. Mit 11,6 Prozent ist der Anteil der geschlossen Rechtsextremen
in Sachsen-Anhalt mit Abstand am höchsten. Zum Vergleich: In Thüringen sind
knapp sieben Prozent der Befragten geschlossen rechtsextrem, in Sachsen,
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg rund sechs Prozent, in Ost-Berlin
fünf Prozent.
Die Forscher:innen haben außerdem untersucht, inwiefern die Menschen in
Ostdeutschland mit der Demokratie zufrieden sind. Zwar könne sich eine
deutliche Mehrheit der Befragten mit der Demokratie als Idee
identifizieren, heißt es in der Studie. Allerdings sei nicht einmal die
Hälfte zufrieden mit der Demokratie, die sie im Alltag erlebe. Eine
„überwältigende Mehrheit“ fühle sich politisch einflusslos. „Wir beoba…
ein ausgeprägtes Fremdeln mit der Demokratie“, sagte der Studienautor und
Direktor des EFBI, Johannes Kiess.
## Wunsch nach autoritärer Unterwerfung
Zwar sei die Identifikation mit der DDR und als Ostdeutsche:r weit
verbreitet – zwei Drittel sehnen sich sogar nach der DDR zurück, ein
Drittel zählt sich zu den Wendeverlierer:innen. Doch diese Identifikation
habe nur einen geringen Einfluss auf die rechtsextreme Einstellung der
Menschen, schreiben die Autor:innen. Am besten erklären lasse sich der
weitverbreitete Rechtsextremismus mit einer Verschwörungsmentalität und dem
Wunsch nach autoritärer Unterwerfung.
„Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den
[2][ostdeutschen Bundesländern] nicht mehr demokratische Teilhabe und
Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare
Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit“, erklärte Studienleiter Oliver
Decker.
## Landtagswahlen in Ostdeutschland seien mögliche Kipppunkte
Die Ergebnisse verdeutlichten, dass extrem rechte Parteien mit ihren
ideologischen Angeboten zahlreiche Anknüpfungspunkte in der breiten
Bevölkerung hätten, schreiben die Autor:innen. Auch wenn die AfD ihr
Potenzial unter den Anhänger:innen der demokratischen Parteien nahezu
ausgeschöpft habe, gebe es unter den Unentschiedenen und
Nichtwähler:innen „immer noch eine große Zahl“ an Adressat:innen.
Mit Blick auf die Zukunft sehen die Autor:innen „deutliche Anzeichen“
dafür, dass die seit zwei Jahrzehnten voranschreitende Polarisierung der
Gesellschaft in den nächsten Jahren „in einer weitergehenden
Radikalisierungsspirale mündet“. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen
und Brandenburg im Herbst 2024 bezeichnen die Studienautor:innen als
„Kipppunkte“.
Für die Studie „Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der
Demokratie“ hat das Forscherteam im Sommer 2022 mehr als 3.500 Menschen in
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und
Ost-Berlin befragt.
Aufgrund der großen Stichprobe konnten erstmals Aussagen zu rechtsextremen
Einstellungen in [3][einzelnen ostdeutschen Bundesländern] getroffen und
Vergleiche zwischen den Ländern gezogen werden. Einen Teil der Fragen haben
die Proband:innen in persönlichen Interviews beantwortet, einen Teil
schriftlich. So wollten die Forscher:innen verhindern, dass sie ihre
Antworten zu stark an sozialer Erwünschtheit ausrichten.
## Sesselmann nicht überbewerten
Den kürzlich z[4][um ersten AfD-Landrat in Sonneberg] gewählte Robert
Sesselmann wollten die Studienautor:innen nicht überbewerten. Derzeit
führt die Rechtsaufsicht in Thüringen eine Einzelfallprüfung durch, ob
dieser überhaupt amtstauglich sei und als Mitglied der als rechtsextrem
eingestuften AfD auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung stehe.
Decker warnte vor einer möglichen Abberufung gewählter Vertreter:innen:
„Wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht über eine Auseinandersetzung
mit der AfD demokratische Möglichkeiten delegitimieren.“ Seine Stimme
abzugeben sei Kernelement der Demokratie, das dürfe nicht durch die
Überprüfung von Personen nach der Wahl abgewertet werden – sonst käme es
irgendwann vielleicht einmal umgekehrt zum Einsatz.
Mit Blick auf andere Landratswahlen und die 2024 anstehenden Landtagswahlen
in Thüringen, Sachsen und Brandenburg warnte Brähler [5][vor allem die
CDU], die bereits ihre rechten Wähler:innen an die AfD verloren habe,
vor einem Rechtskurs: „Sie dürfen nicht auch noch ihre liberalen Wähler
verlieren. Parteien sollten nicht gegen Sündenböcke hetzen, sondern ihre
Hausaufgaben machen.“ Im europäischen Ausland habe dies
christlich-konservative Parteien zerrissen.
28 Jun 2023
## LINKS
[1] https://efbi.de/details/efbi-policy-paper-2023-2-autoritaere-dynamiken-und-…
[2] /AfD-stellt-erstmals-Landrat/!5942885
[3] /AfD-in-Thueringen/!5936477
[4] /Nach-dem-AfD-Sieg-in-Sonneberg/!5940175
[5] /Gruene-reagieren-auf-CDU-Angriff/!5943918
## AUTOREN
Gareth Joswig
Rieke Wiemann
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