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# taz.de -- Expertin über häusliche Gewalt: „Gleichstellung hilft gegen Gew…
> Das Lagebild zu häuslicher Gewalt ist alarmierend, sagt Expertin
> Katharina Göpner. Dabei sieht sie auch Handlungsbedarf im Sorge- und
> Umgangsrecht.
Bild: Vielen Betroffenen häuslicher Gewalt wird eine Mitschuld gegeben
taz: Frau Göpner, gegenüber dem Jahr 2021 sind die [1][Meldungen zur
häuslichen Gewalt im vergangenen Jahr um etwa neun Prozent gestiegen].
Haben Sie eine Vermutung, woran das liegen könnte?
Katharina Göpner: Man muss berücksichtigen, dass das das Hellfeld ist. Die
Zahlen sind in den letzten Jahren mit leichten Schwankungen stetig
gestiegen. Sie sind weiter viel zu hoch, aber eben begrenzt aussagekräftig
darüber, wie viel Gewalt es gibt. Es gibt ein [2][sehr großes Dunkelfeld].
Dazu wird es eine neue Dunkelfeldforschung geben, die letzte ist schon alt.
Aber aus der wissen wir, dass etwa jede vierte Frau häusliche Gewalt
erlebt.
Ergebnisse der neuen Studie gibt es noch nicht, [3][sie startete am
Dienstag]. Haben Sie Einblicke, wie sich das in den letzten Jahren
veränderte – auch in Hinblick auf die Corona-Pandemie?
Ja, Klient_innen sind noch immer psychisch stark belastet von einer
jahrelangen Auswirkung der Pandemie. Es sind häufig Fälle, in denen mehrere
Gewaltformen auftreten. Wir nehmen schon länger wahr, dass die
Beratungsanfragen in Beratungsstellen zunehmen, aber das Personal nicht
aufgestockt wird. Dabei werden die Anfragen komplexer. Dazu kommen andere
Problemlagen wie die Wohngungsnot in Großstädten.
Haben Sie ein Beispiel für das Aufeinandertreffen von Gewaltformen?
Wir hatten während der Pandemie häufig die Situation von sexualisierter
Gewalt beim Online-Dating. Da war es bei den ersten Dates nicht möglich,
sich im öffentlichen Raum zu treffen. Dazu nimmt die digitale Gewalt seit
Jahren zu.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordert Frauen dazu auf, Gewalt vermehrt
zu melden. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist eine wichtige Forderung, weil viele Betroffene sich schämen. Weil
sie die Erfahrung machen, dass ihnen eine Mitschuld gegeben wird.
Können Sie denn nachvollziehen, dass manche Betroffenen keine Anzeige
stellen?
Ja, dafür gibt es gute Gründe. Zum Beispiel, wenn die gewaltausübende
Person der eigene Partner ist und man mit ihm gemeinsame Kinder hat. Eine
Anzeige kann auch die Gewaltsituation eskalieren lassen. Und die
Gerichtsprozesse dauern sehr lange und können retraumatisierend sein.
Das Lagebild zeigt, dass die Anzeigen zu [4][sexualisierter Gewalt]
steigen. Warum ist die Anzeigenbereitschaft so hoch, obwohl mutmaßlichen
Opfern oft nicht geglaubt wird, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen?
Die Reform des Sexualstrafrechts hat einiges verändert. Seit der Reform
können Sachen angezeigt werden können, die vorher als nicht strafbar
galten.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn Betroffene Nein gesagt, aber sich nicht körperlich gewehrt haben. Wir
haben außerdem eine kleine Abfrage gemacht bei unseren Beratungsstellen,
als sich die Reform zum fünften Mal jährte: Da haben sie gesagt, dass
[5][#MeToo] und die öffentliche Debatte ein Empowerment für Betroffene
bieten.
Zudem kündigte Faeser an, dass Täter direkt nach dem ersten Übergriff aus
der Wohnung verwiesen werden sollen – falls nötig auch mit Fußfesseln.
Diese Wegweisungen gibt es ja schon. Das Problem ist eher, dass die
Umsetzung nicht kontrolliert wird. Das muss besser kontrolliert werden.
Ende Juni hatten Sie vom bff auch mit der Kampagne
[6][#HilfenachVergewaltigung] auf die mangelnde medizinische Versorgung
aufmerksam gemacht. Welche Reaktionen haben Sie darauf erhalten?
Wir haben vor allem von Betroffenen Rückmeldungen erhalten, die ihre
Erfahrungen schilderten: dass sie auf den Kosten sitzen blieben oder nur
männliche Ärzte im Krankenhaus anzutreffen waren. Wir haben leider keine
Rückmeldung von der Gesundheitsministerkonferenz bekommen.
Was hätten Sie von dieser erwartet?
Es wird ja oft nur über die vertrauliche Spurensicherung gesprochen. Wir
sagen, dass eine gute medizinische Versorgung wichtig ist. Damit Betroffene
erst klären können: Bin ich schwanger? Habe ich eine Krankheit? Und danach
entscheiden können, ob sie eine Spurensicherung machen, um dann im nächsten
Schritt zu sagen: Ich mache eine Anzeige. Damit schließt sich der Kreis.
In Ihrer Kampagne machten Sie auch auf das schlechtmöglichste Szenario
aufmerksam: dass es Fälle von Menschen gibt, die nach einer Vergewaltigung
von Kliniken abgewiesen werden. Was empfehlen Sie Betroffenen hierbei?
Das ist wirklich das schlechtmöglichste Szenario. Wir würden sie ermutigen,
dass sie sich woanders hinwenden. Wohlwissend, dass es extrem demotivierend
ist, abgewiesen worden zu sein. Beratungsstellen können Unterstützung
anbieten, sie sind gut vernetzt mit Kliniken.
Sie haben die Dunkelfeldstudie schon angesprochen, die Anhaltspunkte geben
soll, welche Maßnahmen umgesetzt werden. Gibt es Mittel, die schon jetzt
von der Politik ergriffen werden sollten?
Was wir immer wieder fordern: Die [7][Istanbul-Konvention] muss umgesetzt
werden. In Deutschland ist sie ratifiziert, aber es hapert an einigen
Stellen. Wir brauchen einen Ausbau von Beratungsstellen, es muss mehr Geld
in Unterstützungssysteme fließen. Die Istanbul-Konvention gibt auch noch
andere sehr gute Empfehlungen, zum Beispiel bei Hochrisikofällen.
Woran ist ein Hochrisikofall zu erkennen?
Das sind Fälle, in denen der Täter zum Beispiel Waffen besitzt oder es
schon vorher zu Gewalt kam. Sie enden noch viel zu oft in Femiziden. Hier
müssen Institutionen besser arbeiten, um gemeinsam mit betroffenen Personen
einen Plan zu machen. Wobei wir sagen, dass alle Fälle von
partnerschaftlicher Gewalt Hochrisikofälle werden können.
Nun haben wir viel über Maßnahmen gesprochen, die greifen, wenn die Gewalt
schon passiert ist. Haben Sie Ideen, wie [8][häusliche Gewalt effizienter
verhindert] werden könnte?
Es braucht mehr Präventionsprojekte und Projekte, die sich mehr mit
[9][Männlichkeit beschäftigen]. Es braucht mehr Kampagnen, die potenziell
gewaltausübende Personen adressieren. Letztendlich sind alle Maßnahmen für
mehr Gleichberechtigung sinnvoll. Es gibt einen Zusammenhang zwischen
Gleichstellung und geschlechtsspezifischer Gewalt. Das klingt jetzt sehr
abstrakt …
… was wäre denn ein gutes Beispiel dafür?
Es ist schwer für Frauen, gewaltvolle Situationen zu verlassen, wenn sie
finanziell vom Täter abhängig sind. Ein anderer großer Handlungsbedarf ist
das [10][Sorge- und Umgangsrecht]: Häusliche Gewalt sollte sich darauf
auswirken. Das geschieht im Moment nicht. Da haben wir viel zu tun.
11 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2023/la…
[2] /Tag-gegen-Gewalt-an-Frauen/!5893769
[3] https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Forschung/ForschungsprojekteUndErgebni…
[4] /Sexueller-Missbrauch/!5812589
[5] /metoo
[6] https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/aktionen-themen/kampagnen/hilfenachve…
[7] /Gewalt-gegen-Frauen-in-der-Tuerkei/!5916099
[8] /Fuenf-Jahre-Istanbul-Konvention/!5912016
[9] /Umfrage-zu-Maennlichkeit-und-Gewalt/!5935281
[10] /Haeusliche-Gewalt-und-Kindeswohl/!5943594
## AUTOREN
Nicole Opitz
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