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# taz.de -- Neuropsychologin über Gehirne und Computer: Signale aus der Schalt…
> Schnittstellen zwischen Computern und Gehirnen sind möglich, aber
> kompliziert. Stefanie Enriquez-Geppert erklärt, wie das geht und wann es
> hilfreich ist.
Bild: An der Bochumer Klinik Bergmannsheil lernen Patienten, ihren Rollstuhl du…
taz: Frau Enriquez-Geppert, ein menschliches Gehirn und einen Computer
zusammenzuschließen, das klingt nach Science-Fiction. Ist es das auch?
Stefanie Enriquez-Geppert: Es ist natürlich extrem faszinierend, wenn man
in Filmen und Büchern sieht oder liest, dass Menschen mit Gedanken etwas
steuern können – zum Beispiel einen Computer oder eine Maschine. Die Frage
ist, was ist Science und was Science-Fiction. Denn wissenschaftlich
betrachtet ist das längst nicht so einfach, wie es häufig dargestellt wird.
In der Praxis ist es schon eine Herausforderung, überhaupt ein Signal aus
dem Gehirn zu detektieren. Und eine noch größere, wenn man diese in
Echtzeit als Steuersignal gebrauchen möchte, zum Beispiel, um einen
Rollstuhl zu lenken.
Woran liegt das?
Die Messgrößen der Signale sind sehr klein, es gibt Rauschsignale in der
Umgebung, und die eigene Muskelaktivität wirkt störend auf die Messungen.
Es ist also schwierig, direkt zu unterscheiden, ob es sich um eine
bestimmte [1][elektrische Aktivität des Gehirns] handelt oder nur um
Netzbrummen oder unbeabsichtigte Muskelaktivität, entstanden durchs
Anspannen der Gesichtsmuskulatur.
Der Kopf hat keinen USB-Anschluss. Wie verbindet man das Gehirn mit einem
Computer?
Wenn wir über Brain-Computer-Interfaces (BCI) sprechen, also
Gehirn-Computer-Schnittstellen, dann gibt es zwei Methoden, eine invasive
und eine nichtinvasive. Die nichtinvasive ist eine, die wir häufig auf
Abbildungen sehen: Da haben Menschen etwas auf dem Kopf, das aussieht wie
eine [2][Badekappe, an der Kabel dranhängen]. Das ist eine Kappe mit
Elektroden für das Elektro-Enzephalogramm, kurz EEG. Der Vorteil ist, dass
man es einfach und schnell anbringen kann. Der Nachteil ist die
Signalqualität, weil man nicht direkt an den Gehirnzellen, sondern etwas
weiter weg vom Gehirn misst. Bei der invasiven Methode werden Elektroden
ins Gehirn eingesetzt, die Messungen werden damit genauer. Aber dafür
braucht es eine Operation.
Beide Methoden werden gerade vor allem im medizinischen Bereich erforscht,
etwa bei Patient:innen mit Schlaganfall. Welches Potenzial sehen Sie
da?
Aktuell sehen wir ein großes Potenzial im assistiven klinischen Bereich,
zum Beispiel bei [3][komplett gelähmten Patient:innen]. Mit einer
Gehirn-Computer-Schnittstelle können sie mittels der Gehirnsignale
kommunizieren, indem sie einen Cursor über ein Alphabet bewegen. Menschen,
denen zum Beispiel eine Hand fehlt, können so eine Prothese steuern. Bei
Schlaganfällen, die durch den Schaden im Gehirn meistens Lähmungen und
Spracheinschränkungen zur Folge haben, hilft eine
Gehirn-Computer-Schnittstelle bei der Rehabilitation.
Die Betroffenen lernen mit der Verbindung von Gehirn und Computer etwa,
gelähmte Körperteile wieder zu bewegen. Ein weiteres Beispiel ist das
Neurofeedback. Das ist eine bestimmte Form von
Computer-Gehirn-Schnittstellen, bei denen man die Gehirnaktivität selbst
reguliert – und damit zum Beispiel das Arbeitsgedächtnis oder die
Aufmerksamkeit.
Wie vielen Patient:innen kann mit dieser Technik geholfen werden?
Schlaganfälle sind weltweit die drittgrößte Ursache dafür, dass Menschen
mit körperlichen Einschränkungen leben. Und in einer alternden
Gesellschaft, in der es zunehmend darum geht, dass Menschen lange gesund
und bewegungsfähig bleiben wollen, ist die Therapie von derartigen
Erkrankungen ein wichtiges Thema. Auch [4][psychische Erkrankungen] sind
ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem. Das Gehirn ist die Steuerzentrale
von allem, was wir wissen und können, es bestimmt, wie wir denken und
unseren Körper steuern. Je besser wir es verstehen, desto größer ist die
Chance, verbesserte Therapien zu entwickeln und Prävention zu betreiben und
damit Menschen besser helfen zu können.
Können Sie einen konkreten Fall schildern, bei dem eine
Gehirn-Computer-Schnittstelle geholfen hat?
Bei uns in den Niederlanden gibt es da zum Beispiel den spektakulären Fall
einer Patientin mit Amyotropher Lateralsklerose, der vor einigen Jahren
sehr bekannt geworden ist. ALS ist eine [5][unheilbare Nervenerkrankung],
die nach und nach den gesamten Körper befällt und lähmt. Die Patientin
wusste daher sehr genau, dass sie irgendwann nicht einmal mehr in der Lage
sein wird, über Augenbewegungen zu kommunizieren. Sie hat sich für ein
Implantat im Gehirn entschieden.
Also für eine Operation.
Ja, für mich als Forscherin ist es überraschend, dass Patientinnen und
Patienten das Implantat in Erwägung ziehen, statt einer nichtinvasiven
Methode. Aber die Betroffenen sagen häufig: Ich sitze jetzt schon im
Rollstuhl, dann will ich nicht etwas, das noch mehr Aufmerksamkeit auf mich
lenkt. Jedenfalls: Die Operation ist gut verlaufen. Dann ging es erst
einmal ans Lernen. wie man eine Gehirn-Computer-Schnittstelle bedient und
die Buchstaben mit einer Buchstabiermaschine verlässlich und schnell für
eine Unterhaltung auswählt.
Wie funktioniert dieses Lernen?
Ganz grob gibt es mindestens drei Schritte: Die Patientin musste zunächst
erst einmal lernen, wie sie überhaupt ein Signal auslösen kann, das der
Computer dekodieren kann, also quasi versteht. In ihrem Fall ging es darum,
den Motorcortex zu aktivieren. Das ist der Teil des Gehirns, der
verantwortlich dafür ist, Bewegungen zu steuern. Sie hat das mittels eines
Computerspiels getan und versucht, die gelähmte Hand zu bewegen.
Allein der Versuch, die Hand zu bewegen, führt zur Aktivität des
Motorcortex und ist besonders geeignet, um von einem Computer erkannt zu
werden. Vom Computer müssen die gemessenen Signale in Echtzeit
vorverarbeitet werden und von Störsignalen getrennt werden. Erst dann
können Algorithmen verlässlich lernen, wie ein Signal aussieht, das vom
Motorcortex generiert wurde. Die Algorithmen können dabei mittels
maschinellem Lernen, also einer Form der künstlichen Intelligenz, speziell
auf [6][die Gehirnsignale der Patientin trainiert werden]. Denn bei jedem
Menschen sehen diese Signale etwas unterschiedlich aus.
Und dann?
Nachdem ein Nutzer einer Gehirn-Computer-Schnittstelle gelernt hat, eine
bestimmte Gehirnaktivität auszulösen, nachdem das Signal vorverarbeitet und
vom Computer erkannt wird, geht es daran, mit den Signalen gezielt
Buchstaben von einem Computerdisplay auszuwählen. Am Ende des Trainings
konnte die Patientin so mit ihrer Familie kommunizieren.
Wie lange hat das Training gedauert?
Bei dem beschriebenen Beispiel 167 Tage.
Entsteht damit eine dauerhafte Veränderung im Gehirn?
Das ist eine der großen Fragen, auf die wir noch keine abschließende
Antwort haben. Vieles deutet darauf hin, dass die Neuroplastizität eine
große Rolle spielt, also die [7][Fähigkeit des Gehirns], sich zu verändern
und zum Beispiel neue Synapsen zu bilden. Kollegen aus Österreich haben in
einer Studie zeigen können, dass ein Neurofeedback-Training mit einer
nichtinvasiven Methode nicht nur dazu führt, dass [8][Patienten mit
Multipler Sklerose] eine bestimmte Gehirnaktivität besser regulieren
konnten. Es minderte auch kognitive Denkprobleme. Entsprechend veränderte
sich auch die Mikrostruktur der Gehirnregionen, die diesen Denkleistungen
unterliegen, sie zeigten eine erhöhte Verbindung untereinander.
Was ist mit Anwendungen im nichtmedizinischen Bereich, die Unternehmen wie
Elon Musks Neuralink im Blick haben?
Das wird auf alle Fälle kommen – die Frage ist nur, in welcher
Größenordnung. Solche Entwicklungen können als irrelevant im Sande
verlaufen, für Computerspiele genutzt werden oder auch in der Anwendung in
bestimmten Situationen tatsächlich helfen. Wir können abseits der Medizin
weitere Bereiche unterscheiden: Der eine ist das Monitoring der
Gehirnaktivität, da geht es beispielsweise darum, das Ausmaß der
Konzentrationsfähigkeit oder die Ermüdungszustände einer Person in einem
ganz bestimmten Moment zu bestimmen. So könnte es zum Beispiel beim
Autofahren hilfreich sein, festzustellen, wenn das Gehirn so erschöpft ist,
dass ein Sekundenschlaf bevorsteht.
Wird so etwas schon erprobt?
Ja. Mit Kolleg:innen aus Frankreich arbeiten wir gerade in einem
Projekt, in dem es darum geht, die Denkprozesse bei einer Personengruppe zu
verbessern, die eigentlich schon sehr fit ist: bei Pilotinnen und Piloten.
Denn obwohl diese eigentlich eine überdurchschnittlich gute kognitive
Fähigkeit haben, geht sie auch bei ihnen zurück, wenn sie zu wenig
geschlafen haben oder es Stress gibt. Wir wollen also daran arbeiten,
dass das Gehirn auch in solchen Situationen leistungsfähig bleibt.
Was ist mit dem Lifestyle-Bereich?
Klar, ich kann mir auch vorstellen, dass es hier eine Nachfrage geben wird
– zum Beispiel beim Gaming. Wenn man also für die Steuerung von Figuren in
Computerspielen keinen Controller mehr braucht, sondern das direkt im
Gehirn machen kann. Im Entertainmentbereich könnten
Gehirn-Computer-Schnittstellen dazu genutzt werden, die Gemütsstimmung
eines Anwenders zu erfassen, um [9][passende Musikvorschläge durch
Audio-Streaming-Dienste] zu geben. Da gibt es ja noch mehr Szenarien: Musik
nicht mehr über Boxen hören, sondern direkt im Gehirn verarbeiten. Oder
Smart-Home-Geräte steuern. Aber braucht man für solche Anwendungen
tatsächlich eine EEG-Kappe auf dem Kopf oder will man sich etwas ins Gehirn
implantieren lassen, wenn man sich eigentlich selbstständig bewegen kann?
Abgesehen von den Risiken.
Zum Beispiel?
Gerade bei invasiven Methoden, also bei den Implantaten, kann man die
Gefahren noch nicht gut einschätzen. Zum Beispiel zu Risiken der Infektion
und von Einblutungen, die durch Implantate ausgelöst werden können. Es gibt
auch ungelöste Fragen zur Biokompatibilität, wie Elektroden mit dem
Gehirngewebe interagieren und wie es zur pathologischen Neuroplastizität
kommen kann, also möglicherweise zu Krampfanfällen. Letztendlich müssen wir
uns als Gesellschaft auch Gedanken zum Datenschutz machen, etwa darüber,
wie ein Implantat vor Hacking geschützt wird oder ungewollte drahtlose
Hirndatenübetragung vermieden werden kann.
23 Jun 2023
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## AUTOREN
Svenja Bergt
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