# taz.de -- Hirnströme steuern Maschine: Der Flipper im Forschungslabor | |
> Eine Forschergruppe an der TU Berlin entwickelt eine superschnelle | |
> Schnittstelle zwischen Gehirn und einer Maschine. | |
Bild: Eine Probandin mit Sensorkappe vor dem Flipper. | |
BERLIN taz | "Was nützt die Liebe in Gedanken" hieß vor einigen Jahren ein | |
international erfolgreiches deutsches Filmdrama. Bei der Liebe kann man | |
darüber streiten, aber das Flippern in Gedanken bringt mit Sicherheit | |
Nutzen. Dies demonstrierte in diesem Sommer ein Experiment des | |
Forscherteams um Professor Klaus-Robert Müller vom Fachgebiet Maschinelles | |
Lernen der Technischen Universität Berlin. | |
Die Probandin sitzt dabei mit einer durchlöcherten Plastikkopfbedeckung | |
nach Art einer Strähnchenhaube vor einem Flipperautomaten und kickt die | |
Kugel flott umher, ganz ohne ihre Hände zu benutzen, allein durch die Kraft | |
ihrer Gedanken. Aus der Haube ragen Elektroden, die ihre elektrische | |
Hirnaktivität abnehmen. Diese Signale werden an das Brain Computer | |
Interface System (BBCI) weitergeleitet, welches sie dann in Steuersignale | |
für Computer oder andere Maschinen umwandelt. | |
Brain Computer Interface (BCI) nennt man Schnittstellen zwischen dem Gehirn | |
und Rechnern, die einen direkten Dialog zwischen Mensch und Maschine | |
ermöglichen. Mit diesen befassen sich heute in verschiedenen Ländern etwa | |
150 Arbeitsgruppen. Sie profitieren davon, dass die Hirnaktivität nicht nur | |
ein bestimmtes Verhalten, sondern bereits die rein gedankliche Vorstellung | |
davon widerspiegelt. | |
Beim Flippern darf man bekanntlich nicht lange fackeln. Dem Berliner Team, | |
zu dem auch Neurologen von der Universitätsklinik Charité und Forscher vom | |
Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik gehören, | |
gelang gerade in Bezug auf die Schnelligkeit ein Durchbruch. Dies eröffnet | |
der Methode künftig ein breites Feld von Anwendungen. Denn was würde es zum | |
Beispiel einem Behinderten nützen, wenn er seinen Rollstuhl zwar per | |
Gedanken steuern, dabei aber nicht rechtzeitig einem spät erkannten | |
Türrahmen ausweichen könnte? Reaktionsschnelligkeit erfordert auch das | |
Steuern des Cursors auf einem PC, das man Querschnittsgelähmten oder | |
Schlaganfallpatienten ermöglichen könnte. | |
Professor Klaus-Robert Müller war an der Geschwindigkeit auch deshalb | |
interessiert, weil er selbst sein kritischster Proband ist. Er hatte keine | |
Lust mehr, 300 Stunden lang zu trainieren, um - wie bisher notwendig - | |
seine eigenen Hirnströme auf die Erkennungsmuster des Computers | |
abzustimmen. Bei dem Flipper-Experiment muss sich der Proband nicht mehr | |
der Maschine verständlich machen, sondern diese lernt, auf seine Impulse zu | |
reagieren. | |
Gelegenheit dazu hat der Computer, während der Interface-Nutzer sich | |
100-mal vorstellt, die linke Hand zu bewegen und dann 100-mal die rechte. | |
Innerhalb von zwei Minuten hat sich die Maschine die dafür typischen | |
Signale eingeprägt. | |
Das Berliner Modell zeichnet sich auch dadurch aus, dass es am besten das | |
sogenannte Cocktailpartyproblem bewältigt. Ein normal gut hörender Mensch | |
ist in der Regel ohne weiteres in der Lage, sich mit seinem | |
Gesprächspartner auf einer Party zu unterhalten, obgleich sein Gehirn | |
daneben noch viele andere Sprecher und Geräusche in der Nähe registriert. | |
Maschinen haben weit größere Schwierigkeiten, das Geplapper | |
auseinanderzuhalten. | |
Von Haus aus nicht nur Informatiker, sondern auch Physiker, hat Professor | |
Müller besonderen Spaß an interdisziplinärer Arbeit. "Mich interessiert, | |
was die Welt im Innersten zusammenhält", sagt er, "ich möchte aus | |
datenanalytischer Sicht das Denken verstehen." Sein Interesse für die | |
Arbeit mit dem Elektroenzephalogramm (EEG) weckte ein japanischer Kollege. | |
Seit dem Jahr 2003 hat seine Arbeitsgruppe sieben Firmenausgründungen | |
hervorgebracht. Müller selbst wurde Mitbegründer der Firma Idalab | |
Datenanalysekonsulting. Sie macht die Kraft der Gedanken und statistische | |
Verfahren für industrielle Forschungseinrichtungen nutzbar, für | |
Finanzinstitute, den Wellness- und Gesundheitssektor. | |
Mit vereinfachten EEG-Sensoren und preisgünstigen Signalanalyse-Modulen | |
könnten die Hirnstrommuster nämlich in Art eines Neurofeedback eingesetzt | |
werden, um Konzentration und Aufmerksamkeit, aber auch Entspannung und | |
Meditation zu fördern. Zudem kann das BCI als Messgerät dienen, zum | |
Beispiel um die Wirksamkeit von Assistenzsystemen für ermüdende Autofahrer | |
zu ermitteln. | |
Den Flipperautomaten als Versuchsgerät hatte es besonders attraktiv | |
gemacht, dass er die laute, blinkende Welt ins Experiment einbrachte, die | |
aus den Labors normalerweise ausgeschlossen wird. Einer von Müllers | |
ehemaligen Doktoranden gründete, davon inspiriert, die Firma Picoimaging | |
Technologies, welche unter anderem im Jahre 2010 Anwendungen für | |
Nintendo-Spielekonsolen präsentieren will. Die EEG-Kappe soll dann durch | |
eine Art Schweißband mit nur wenigen Hirnstromsensoren ersetzt werden, bei | |
dem dann auch auf ein Leitgel verzichtet werden kann. Heute dauert das | |
Anbringen der Haube mitsamt des Gels noch eine halbe Stunde. | |
In Hinsicht auf die weitere wissenschaftliche Arbeit an seinem Institut | |
betont Klaus-Robert Müller: "Wir wollen ja nicht nur spielen, sondern vor | |
allem Patienten helfen." Neben Querschnittsgelähmten und | |
Schlaganfallpatienten kämen zum Beispiel an amyotropher Lateralsklerose | |
Erkrankte in Betracht, deren Muskelkraft allmählich schwindet. Diese | |
Menschen könnten lernen, das BCI zu nutzen, während sie noch über ihre | |
motorischen Fähigkeiten verfügen. Sind diese dann verloren, bliebe ihnen | |
dieses Kommunikationsmittel. "Aber bis es einmal so weit ist, werden | |
mindestens fünf bis sieben Jahre vergehen", sagt der Wissenschaftler. | |
Zurzeit bemüht er sich in einem neuen Projekt, die genauen Wünsche | |
Behinderter zu erforschen, denen mit Hilfe des BCI schließlich entsprochen | |
werden könnte. "Es gibt da noch viel zu forschen",versichert der Professor | |
erfreut, als riebe er sich die zum Flippern nicht mehr benötigten Hände. | |
21 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
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