| # taz.de -- Lernende Maschinen: Entscheiden muss der Mensch | |
| > Noch kratzen Forscher:innen bei der Künstlichen Intelligenz an der | |
| > Oberfläche. Vieles ist bisher nur Wunsch und Utopie. | |
| Bild: Erste Anwendungen aus der Welt des Maschinellen Lernens sind bereits im A… | |
| [1][Elon Musk] ist nicht nur ein geschäftstüchtiger Pionier in der | |
| Autoindustrie. Er hat auch Visionen im Bereich der Künstlichen Intelligenz | |
| (KI). 2016 gründete er das Neurotechnologie-Unternehmen Neuralink | |
| mit dem Ziel, die Vernetzung von menschlichem Gehirn und Computer | |
| entscheidend voranzutreiben. Das Unternehmen wirbt mit Neuroprothesen, die | |
| es ermöglichen sollen, mittels im Gehirn implantierter Elektroden etwa | |
| Symptome der Parkinson- oder Alzheimer-Krankheit zu lindern. Am Ende jedoch | |
| steht Musks Idee einer posthumanistischen Verschmelzung von Mensch und | |
| Maschine. | |
| Nicht alles, was sich selbst ernannte Utopisten ausdenken, ist derzeit auch | |
| schon machbar. Deepart, eine Plattform für kreative Bildintelligenz, oder | |
| die selbst trainierende Spieleplattform AlphaZero, mit der man beim | |
| Go-Spiel inzwischen als Verlierer hervorgehen kann, weisen zwar in eine | |
| spielerisch-leichtsinnige Zukunft, aber noch, sagt der Tübinger Spezialist | |
| für Adaptive Intelligenz, Matthias Bethge, funktioniere das maschinelle | |
| Lernen weitgehend nach dem Prinzip Input-Output. Bisher seien Maschinen | |
| nicht in der Lage, eigenständig Modelle zu bilden, also eben das, was | |
| wissensbasierte Intelligenz ausmacht. | |
| Doch schon der Begriff Intelligenz wirft eine Menge Fragen auf, wie Ende | |
| Februar eine Anhörung des Deutschen Ethikrats zum Thema „Künstliche | |
| Intelligenz und Mensch-Maschinen-Schnittstelle“ erkundete. Bethge | |
| umschreibt sie als Fähigkeit, erfahrungsgesättigt mit Situationen | |
| umzugehen, die sich von anderen unterscheiden und daraus Generalisierungen | |
| abzuleiten. | |
| So gesehen ist eine intelligente Maschine zwar in der Lage, Muster zu | |
| erkennen und neu zu komponieren, jedoch ohne tieferes Verständnis dessen, | |
| was sie hervorbringt. Kreativität und Empathie, aber auch „divergentes“, | |
| querständiges Denken als exklusiver „Überschuss“ menschlicher Intelligenz | |
| sind die immer wieder umkreisten abgrenzenden Begriffe. | |
| Die in Tübingen lehrende Informatikerin Ulrike von Luxburg spricht deshalb | |
| vorläufig auch lieber nur von Maschinellem Lernen als von KI und bricht das | |
| Vorhaben auf eine Bastelwerkstatt herunter: große Datenmengen plus | |
| Optimierung und Statistik, „nichts Mysteriöses, jeder kann es, der mal | |
| Informatik studiert hat“. | |
| ## Abgreifen der Gehirnaktivitäten | |
| Erholsames Understatement war überhaupt ein Grundzug dieser ausgesprochen | |
| selbstreflexiven und kritischen Expert:innenrunde. Die Bremer | |
| Informatikerin Tanja Schultz etwa, die auf dem Feld akustischer Signale | |
| arbeitet, führte sehr anschaulich in die aktuellen Entwicklungen kognitiver | |
| Systeme ein. Mittlerweile demonstrieren uns die | |
| [2][Amazon-Spracherkennungs-App Alexa] oder das Apple-Pendant Siri im | |
| täglichen Alltag, wie mühelos Maschinen durch integrierte, teilweise schon | |
| unter die Haut implantierbare Kleinstmikrofone Sprache erkennen und | |
| verarbeiten. Überraschend und auch verstörend ist jedoch die sich | |
| abzeichnende Möglichkeit, durch die [3][Abbildung von Gehirnaktivitäten] | |
| „lautlose“, also im Gehirn gebildete Sprache zu „übersetzen“. „Wir k… | |
| dem Gehirn beim Sprechen zuschauen“, so Tanja Schultz. Wie lange sind dann | |
| die Gedanken noch frei? | |
| In faszinierenden Gehirnwindungen ist auch der Magdeburger | |
| Neurowissenschaftler Stefan Remy unterwegs. Der Flaschenhals der | |
| Hirnforschung seien heutzutage nicht mehr die Daten, sondern das Aufspüren | |
| und die Identifizierung von verborgenen Datenstrukturen im Gehirn, die uns | |
| das Denken ermöglichen und unser Gedächtnis ordnen. „Wir kratzen dabei noch | |
| ganz an der Oberfläche“, erklärt er demütig und setzt sich explizit von den | |
| Human Enhancement-Projekten eines Elon Musk ab. | |
| Remy sieht die Gefahr, dass die möglichen medizinischen | |
| Einsatzmöglichkeiten des Computer Brain Interface technologische | |
| Entwicklungen rechtfertigen, die nur einer Nutzerschicht zugute kämen. Jede | |
| Intervention in die Plastizität des Gehirns berge jedoch die Gefahr nicht | |
| auslotbarer Veränderungen. | |
| Das medizinische Potenzial dieser Forschung ist andererseits | |
| elektrisierend, wie die diesbezüglichen Nachfragen des Altersforschers und | |
| Ethikrats Andreas Kruse zeigten. Könnte man mittels derartiger | |
| Interventionen nicht Ordnung in die Gedächtniswelt von Alzheimer-Patienten | |
| bringen oder durch Tiefenstimulation bewegungsgestörten Menschen helfen? | |
| Die Anwendungsgebiete sind vielfältig und könnten das Leben von | |
| Betroffenen, Angehörigen und Pfleger:innen erleichtern, etwa, wenn | |
| dadurch eine bessere Kommunikation möglich werden kann. Doch was, wenn | |
| intelligente Maschinen Entscheidungen übernehmen, etwa ob ein Straffälliger | |
| aus der Haft entlassen oder ein Kredit vergeben wird? Können sie moralisch | |
| entscheiden? | |
| Die Philosophin Janina Loh hat in ihrem Buch „Roboterethik“ nachdrücklich | |
| auf die Herausforderungen beim Bau von Robotern aufmerksam gemacht und die | |
| Vorgängigkeit der menschlichen Bewertungen und auf Vorurteile, die in die | |
| Systeme eingehen, hingewiesen. | |
| Die Bias, also die kognitiven Verzerrungen von KI-Systemen, bringt auch | |
| Luxburg in Anschlag. „KI ist nicht neutral, und es gibt keine technischen | |
| Lösungen, die die Biases korrigieren könnten.“ Neben der Fairness, etwa bei | |
| den oben genannten Vorentscheidungen, stellt sich für Luxburg auch das | |
| Problem der Erklärbarkeit, denn beim Maschinellen Lernen handle es sich um | |
| eine Black Box. | |
| ## Wer ist verantwortlich? | |
| Loh erklärt das am Beispiel des [4][autonomen Fahrens]: Warum sollte ein | |
| System sich nicht dafür entscheiden können, gegen eine Wand zu fahren? Im | |
| menschlichen Kontext nennt man das Probehandeln, mit der immer inhärenten | |
| Möglichkeit, Fehler zu machen. Aber wie ist das bei einer lernfähigen | |
| Maschine? Ist sie verantwortlich für das, was sie tut? | |
| Keinen Zweifel lassen die Befragten aber daran, dass nicht die Künstliche | |
| Intelligenz, sondern der Mensch der Schlüssel für die künftige | |
| Entwicklungen ist. „Wie wollen wir den Weg weiter gestalten, wenn Facebook | |
| und Google die Entwicklung weiter in der Hand hat?“, gibt Schultz zu | |
| bedenken und konstatiert: „Wir haben schon viel Boden verloren.“ | |
| Luxburg findet es dabei weniger wichtig, „wie die Ethik in die KI kommt“, | |
| sondern dass wir für ausreichend Transparenz und angemessene Regulierungen | |
| sorgen. Wenn sie an autonome Waffen, Überwachung oder Polizeiarbeit denke, | |
| so ihr Auftakt, drehe sich ihr persönlich der Magen um. | |
| Und Bethge wiederholt mehrmals seine Hoffnung, dass sich nicht der Mensch | |
| an die Maschine anzupassen habe, sondern diese umgekehrt an Natur, Umwelt | |
| und Mensch. Die Welt, die wir erfinden wollen, müsse auch in Afrika Bestand | |
| haben. Der Kontinent sei mittels KI-Technologien in einen Zustand zu | |
| versetzen, der die Menschen ermutige, dort zu bleiben. | |
| Im Silicon Valley, wo Elon Musk und die vielen anderen Brain-Visionäre | |
| unterwegs sind, geht es allerdings um ein ganz anderes Projekt, die | |
| Optimierung und perspektivisch unendliche Ausweitung der Lebenszeit der | |
| Privilegierten, und um die Kontrolle all der anderen, die mittels | |
| Künstlicher Intelligenz besser arbeiten und mehr konsumieren sollen. | |
| 20 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Baureithel | |
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