# taz.de -- Aiwanger und der Populismus: Der So-isser-halt-Hubsi | |
> Hoch geht es her im bayerischen Landtag: Die Grünen fordern die | |
> Entlassung des populistischen Wirtschaftsministers Aiwanger – vergeblich. | |
Bild: „So isser“: Applaus für Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Plenarsaa… | |
MÜNCHEN taz | Jetzt hat er es zu weit getrieben. Dieser Ansicht sind | |
derzeit nicht wenige in Bayern, wenn es um Hubert Aiwanger und seinen | |
Auftritt am Wochenende auf einer umstrittenen Demo in Erding geht. Nun ist | |
der Chef der Freien Wähler einer, der gern mal Grenzen, auch rote Linien, | |
austestet. Aber als er in Erding rief, die schweigende Mehrheit müsse sich | |
die Demokratie zurückholen, und ankündigte, „die Berliner Chaoten vor sich | |
herzutreiben“, war das etlichen dann doch etwas zu AfD-like – und hatte am | |
Mittwochabend sogar ein Nachspiel im Landtag. | |
Auch aus den Reihen der CSU und sogar der Freien Wähler kam nach dem | |
Auftritt in Erding Kritik. So rügte etwa Landtagspräsidentin Ilse Aigner | |
(CSU) Aiwangers Formulierungen. Und ihr Parteifreund, Staatskanzleichef | |
Florian Herrmann, warnte: „Populismus am rechten Rand ist brandgefährlich | |
und gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ | |
Auch hinter verschlossenen Türen, etwa bei der Ministerratssitzung am | |
Dienstagvormittag, sollen [1][Ministerpräsident Markus Söder (CSU)] und | |
andere Kabinettsmitglieder Aiwanger zu verstehen gegeben haben, was sie von | |
seinen verbalen Fehlgriffen hielten. | |
Sogar bei den Freien Wählern kam es – zumindest vereinzelt – zu | |
verzweifeltem Kopfschütteln über den Parteichef. Petra Bauernfeind | |
beispielsweise, die zweite Bürgermeisterin von Erding, sagte der | |
Süddeutschen Zeitung: „Ich finde die Wortwahl für einen Mann in seiner | |
Stellung unpassend, sowohl Wortwahl als auch Inhalt, soweit man von Inhalt | |
überhaupt reden kann.“ Und Armin Grein, Mitbegründer der Freien Wähler und | |
als deren Chef Aiwangers Vorgänger, meinte ebendort: „Ein Politiker darf | |
sowas nicht machen.“ | |
## „Heranrobben ans verschwörungsideologische Milieu“ | |
Auch andere, die Aiwanger eigentlich nahestehen, haben Schwierigkeiten mit | |
seinem jüngsten Auftritt. So forderte Franz Wacker, der Landesvorsitzende | |
der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB), Aiwanger müsse seine Äußerungen | |
zurücknehmen und sich entschuldigen. „Er muss dabei etwas klarstellen: | |
Steht er weiter im Lager der demokratischen Parteien oder folgt er | |
demokratiefeindlichen Parolen? Das verschreckt uns und seine eigenen Leute, | |
weil es bisherige Grenzen verwischt.“ Aiwanger war früher selbst in der | |
KLJB aktiv. | |
Wenig überraschend, dass die Opposition noch deutlichere Worte fand. „Die | |
verbalen Entgleisungen von Hubert Aiwanger in Erding sind mit | |
demokratischen Prinzipien absolut unvereinbar“, schimpfte Katharina | |
Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Anstatt sich einer inhaltlichen | |
Debatte über die Zukunft unseres Landes zu stellen, zündelt die | |
Söder-Regierung lieber fleißig bei den Rechtspopulisten mit. Das | |
Heranrobben an dieses verschwörungsideologische Milieu stärkt dieses nur | |
und schwächt unsere Demokratie.“ | |
Ludwig Hartmann, ebenfalls Grünen-Fraktionschef, fand: „Der | |
Vize-Ministerpräsident hat am Samstag jeglichen Anstand unter Demokraten | |
mit Füßen getreten. Niemand will hier solche Trump-Methoden.“ Aiwanger sei | |
„eine Schande für unsere Demokratie“. Und SPD-Chef Florian von Brunn | |
bezeichnete Aiwangers Auftritt als primitiv, rüpelhaft und unterstes | |
Niveau. „Das war falsch, das war beschämend, und das hat dem Ansehen des | |
Freistaats Bayern schwer geschadet.“ | |
## Söder und Aiwanger sind aufeinander angewiesen | |
Die Grünen verlangten am Mittwochabend in der Plenarsitzung des Landtags in | |
einem Dringlichkeitsantrag von Söder, dass er Aiwanger als | |
Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten entlasse. Der | |
Antrag trug den Titel „Demokratie gemeinsam stärken statt das Lied der | |
Rechtspopulisten singen!“. Von Brunn seinerseits forderte Aiwanger selbst | |
zum Rücktritt auf. | |
Dass freilich eher die Bierpreise auf dem Oktoberfest fallen, als dass | |
eines der beiden Szenarien eintreten würde, dürfte den | |
Oppositionsfraktionen klar gewesen sein. Schließlich hat der Chef der | |
Freien Wähler mehr als einmal gezeigt, dass seine Bereitschaft zum | |
Nachgeben sich innerhalb sehr enger Grenzen bewegt, zum anderen belässt es | |
Söder bei solchen Gelegenheiten gern bei ein paar mahnenden Worten in | |
Richtung seines Stellvertreters. Die beiden wissen, dass sie aufeinander | |
angewiesen sind. Würde Söder Aiwanger abservieren, wäre dies das Ende der | |
Koalition. Alternativen zu der aktuellen Koalition dagegen sind | |
unwahrscheinlich. Etwa eine absolute Mehrheit oder eine schwarz-gelbe | |
Mehrheit oder, bei der CSU höchst unbeliebt: Schwarz-Grün. | |
Dazu kommt: Söder ist in der Sache selbst nicht ganz unangreifbar. Zwar war | |
seine Wortwahl auf der Demo in Erding weit entfernt von der Aiwangers und | |
er distanzierte sich trotz Pfiffen und Buh-Rufen unmissverständlich von AfD | |
und Antidemokraten; aber er war dort und wollte die Plattform, die ihm die | |
in rechten Kreisen beliebte Kabarettistin Monika Gruber bot, genauso wie | |
Aiwanger für einen starken populistischen Aufschlag im Wahlkampf nutzen. | |
## Will der nur spielen? | |
Aiwanger, der die zuvor vor allem im Kommunalen verankerten Freien Wähler | |
erst zu einer auf Landesebene ernstzunehmenden Größe gemacht und | |
schließlich sogar in die Regierungsverantwortung geführt hat, hat eine | |
eigenartige Stellung in der bayerischen Politik. In seiner Partei | |
unangefochten, umweht ihn sonst oft eine gewisse Aura der Narrenfreiheit. | |
„Mei, der Hubsi“, heißt es dann. Und: „So isser halt.“ Was wohl so viel | |
heißen soll wie: Der will doch nur spielen. Oder: Der bellt nur, der beißt | |
nicht. Impliziert aber, dass Aiwanger halt auch ein Hund ist – was in | |
Bayern durchaus anerkennend gemeint ist. | |
Söder wiederum lässt Aiwanger an der langen Leine. Er weiß, dass er auf ihn | |
angewiesen ist. Und sachpolitisch haben sich die Freien Wähler in den | |
vergangenen Jahren unterm Strich doch als sehr pflegeleichter | |
Koalitionspartner erwiesen. Immer wieder lobt Söder daher die gute | |
Zusammenarbeit, ohne sich zu sehr mit Aiwanger gemein zu machen. Kleine | |
Spötteleien über den Hubsi kann er sich oft nicht verkneifen und versucht | |
ansonsten das Bild des Erwachsenen zu vermitteln, der dafür sorgt, dass der | |
allzu ungestüme Bub schon nichts anstellt. | |
Das Problem nur: Der Bub stellt dann doch immer wieder was an. Und anders | |
als die CSU-Minister lässt er sich nur sehr bedingt im Zaum halten. Während | |
Söder in der Pandemiebekämpfung eine Zeit lang das „Team Vorsicht“ | |
ausgerufen hatte, [2][weigerte sich Aiwanger – sicher nicht ganz ohne eine | |
bestimmte Klientel im Blick – lange Zeit, sich impfen zu lassen], und | |
riskierte so den Koalitionsfrieden. | |
## CSU wirft Grünen Doppelmoral vor | |
Nicht aber die Koalition. Und so scheint es auch diesmal wieder zu laufen. | |
In der Debatte am Mittwochabend ging es hoch her. Schon bevor der | |
Dringlichkeitsantrag aufgerufen wurde, war Aiwangers Populismus immer | |
wieder Thema. Schulze nannte ihn einen „astreinen Rechtspopulisten“, Brunn | |
verglich ihn mit dem Diktator von Belarus, Alexander Lukaschenko, was | |
wiederum den Freien-Wähler-Abgeordneten Fabian Mehring sehr aufbrachte. | |
Als der Grünen-Abgeordnete Thomas Gehring den Antrag begründete, schlug ihm | |
nicht nur Widerstand aus den Reihen der Freien-Wähler-Fraktion entgegen, | |
sondern auch von CSU und AfD. Man nahm die Diskussion zum Anlass, die | |
Doppelmoral der Grünen zu geißeln, anstatt über Aiwanger zu sprechen. | |
Warum, wurde Gehring gefragt, distanziere er sich nicht von | |
linksextremistischen Organisationen, mit denen die Grünen etwa gemeinsam in | |
einem Bündnis [3][gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz] säßen. Und | |
warum fordere er nicht den Rücktritt Schulzes, die Aiwanger mit ihrer | |
Bezeichnung als „astreinen Rechtspopulisten“ beleidigt habe. Die Diskussion | |
war, obwohl es schon nach 22 Uhr war, hitzig. Einmal drohte der | |
stellvertretende Landtagspräsident Markus Rinderspacher einem | |
AfD-Abgeordneten: „Ich schmeiß’ Sie jetzt raus.“ | |
Am Ende wurde der Antrag der Grünen erwartungsgemäß abgelehnt – mit den | |
Stimmen von CSU und Freien Wählern. Aiwanger war zu der Zeit längst schon | |
nicht mehr im Plenum. Am Nachmittag hatte er noch eine Regierungserklärung | |
abgegeben, in der er einmal mehr kräftig austeilte, der Ampel in Berlin | |
eine „Deindustrialisierungspolitik“ und einen „beschränkten Horizont“ | |
bescheinigte. Der Applaus bei der CSU war groß. Die Reihen scheinen wieder | |
geschlossen zu sein. | |
15 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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