# taz.de -- Affäre um Nazi-Pamphlet: Söder bestellt Aiwanger ein | |
> Ministerpräsident Söder genügt die dürre Erklärung Aiwangers in Sachen | |
> Nazi-Flugblatt nicht. Jetzt muss der sich im Koalitionsausschuss | |
> rechtfertigen. | |
Bild: Der Mann zu seiner Rechten wird für Markus Söder zum Problem | |
MÜNCHEN taz | Karl Freller ist nicht irgendwer. Der CSU-Politiker ist nicht | |
nur Vizepräsident des Bayerischen Landtags, sondern auch Direktor der | |
Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Wenn sich Freller als einer der wenigen | |
CSU-Politiker bisher in aller Ausführlichkeit zur Causa Aiwanger äußert, | |
hat dies also ein gewisses Gewicht. Und gibt vielleicht ein bisschen einen | |
Vorgeschmack auf die Stimmung, auf die der stellvertretende | |
[1][Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger] an diesem | |
Dienstagvormittag im Koalitionsausschuss treffen dürfte. | |
Ministerpräsident Markus Söder bestellte die Freien Wähler am Montag zu der | |
Sondersitzung des Ausschusses ein, wie sein Staatskanzleichef Florian | |
Herrmann mitteilte. Bei dem Treffen soll der Freie-Wähler-Chef offene | |
Fragen [2][zu der Affäre um das Nazi-Flugblatt beantworten], das in den | |
achtziger Jahren in seiner Schultasche gefunden worden war. | |
In dem Pamphlet waren Holocaust-Opfer auf widerwärtige Art verhöhnt worden. | |
Nachdem die Süddeutsche Zeitung über die mutmaßliche Urheberschaft | |
Aiwangers berichtet hatte, bekannte sich am Wochenende dessen Bruder | |
Helmut, das Flugblatt verfasst zu haben. Der Minister selbst räumte ein, es | |
bei sich getragen und möglicherweise weitergegeben zu haben. | |
## Urheberschaft muss zweifelsfrei geklärt werden | |
Freller nun also sagte am Montag [3][im Interview mit dem Deutschlandfunk], | |
das Pamphlet sei „so unsäglich und widerwärtig, dass man nicht mehr von | |
einem Dummenjungenstreich sprechen kann“. Es sei bewusst antisemitisch | |
formuliert worden und nicht entschuldbar. Deshalb müsse die Urheberschaft | |
zweifelsfrei geklärt werden. „Dieses Bekenntnis seines Bruders, er habe es | |
geschrieben, das löst noch ziemlich viele Fragen aus.“ | |
Helmut Aiwanger meldete sich indes am Montag erneut in der Mediengruppe | |
Bayern zu Wort: Er sei sich nicht mehr ganz sicher, aber er glaube, dass | |
sein Bruder die Flugblätter eingesammelt habe, „um zu deeskalieren“. Das | |
würde erklären, warum sich Kopien des Pamphlets in dessen Schultasche | |
fanden. Nicht aber, warum der Politiker dies nicht selbst zur Entlastung | |
angeführt hat – nicht in seinem schriftlichen Statement und offenbar auch | |
nicht damals, als er von der Schule zur Rechenschaft gezogen wurde. Zudem | |
hatte er erklärt, er wisse nicht, ob er auch Flugblätter weitergegeben | |
habe. | |
Bruder Helmut sagte nun auch aus, er habe mit dem Flugblatt seine Lehrer | |
provozieren wollen. „Ich habe das Schriftstück nicht erstellt, um Nazis zu | |
verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren.“ | |
Die Pamphlete bezeichnete er als „stark überspitze Form der Satire“ und | |
„Jugendsünde“. Er schäme sich für seine Tat und bitte vor allem seinen | |
Bruder um Verzeihung für die damit verursachten Schwierigkeiten. | |
Aus Sicht Frellers hängt ohnehin nicht alles nur an der Frage, wer der | |
Verfasser ist. „Verteilen ist nahe am Verfassen“, so der Politiker. „Auch | |
das ist nicht ohne. Wenn ich ein solches Flugblatt unter Leute bringe, dann | |
muss ich es nicht unbedingt gleich selbst verfasst haben.“ Er wolle noch | |
keinen Stab über Aiwanger brechen und die weitere Klärung der Angelegenheit | |
abwarten. Freller sagte jedoch auch: „Die Freien Wähler sind in einer | |
Situation, wo sie möglicherweise auch sagen müssen, es geht so nicht mehr | |
weiter.“ | |
## SPD fordert Sondersitzung des Landtags | |
Allein die Vorstellung, die Freien Wähler könnten sich von ihrem Chef | |
trennen, war bis zu diesem Wochenende völlig undenkbar. Schließlich ist der | |
Landesverband weitgehend eine One-Man-Show. Die Freien Wähler ohne Aiwanger | |
– das würde nicht nur den Wahlkampf auf den Kopf stellen, sondern auch | |
künftige Regierungsoptionen müssten völlig neu sortiert werden. [4][In | |
Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt.] Bislang galt eine | |
Fortsetzung der Koalition aus CSU und Freien Wählern als bei weitem | |
wahrscheinlichste Option. | |
Söder selbst hatte sich bislang nur knapp zu der Affäre geäußert. Am | |
Samstag nannte er das Pamphlet „geradezu eklig“ und forderte weitere | |
Aufklärung von Aiwanger. Punkt. Staatskanzleichef Herrmann ergänzte nun, | |
man habe Aiwangers schriftliche Erklärung, er sei nicht der Verfasser des | |
Flugblatts, zur Kenntnis genommen. „Aber es bleiben viele Fragen offen. | |
Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten. Wir erwarten, dass | |
dies zeitnah geschieht.“ Die Vorwürfe seien zu ernst, als dass sich ein | |
stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich dazu äußere und | |
entscheidende Fragen unbeantwortet lasse. „Es geht um das Ansehen Bayerns.“ | |
Die bayerische Ampel-Opposition fordert ihrerseits eine sofortige | |
Stellungnahme Söders, die SPD auch eine Sondersitzung des Landtags. In | |
dieser will Parteichef Florian von Brunn die Entlassung Aiwangers auf die | |
Tagesordnung setzen lassen. Um eine Sondersitzung zu beantragen, bräuchte | |
die SPD-Fraktion allerdings die Unterstützung der beiden anderen | |
Fraktionen. Diese halten sich die Entscheidung noch offen. Zuerst solle | |
sich Söder in der Sache äußern. | |
28 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Hubert-Aiwanger/!t5544061 | |
[2] /Antisemitismus-Vorwurf-gegen-Aiwanger/!5953031 | |
[3] https://www.deutschlandfunk.de/aiwanger-noch-fragen-offen-interview-mit-kar… | |
[4] /Markus-Soeder-im-Wahlkampf/!5947595 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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