| # taz.de -- Reform des Straßenverkehrsgesetzes: Runter von der Autospur | |
| > Das Bundeskabinett will eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes | |
| > beschließen. Umweltverbände vermissen aber noch konkrete Schritte. | |
| Bild: Mehr Platz für Radler:innen, weniger für Autofahrende: Das könnte die … | |
| Freiburg will eine soziale Verkehrswende: Wie viel Geld Bürger:innen für | |
| ihren Anwohnerparkausweis zahlen, soll von deren Einkommen abhängen. Das | |
| ist ein neuer Ansatz. Doch innovativ dürfen Kommunen bei ihrer | |
| Verkehrspolitik nach derzeitiger Rechtslage nicht sein. Die | |
| Richter:innen des Bundesverwaltungsgerichts kassierten die Idee. „Eine | |
| Bemessung der Gebühren nach sozialen Zwecken hat der Gesetzgeber nicht | |
| vorgesehen“, urteilten sie. | |
| Ob neue Rad- oder Fußgänger:innenwege, verkehrsberuhigte Zonen, Tempo 30 | |
| oder Parkgebühren – bislang haben die Kommunen kaum einen Spielraum, ihre | |
| öffentlichen Räume umzugestalten und Autos zurückzudrängen. Die derzeitige | |
| Gesetzeslage sichert die Privilegien der Autofahrenden in den Kommunen. „Im | |
| Zweifel fahren Autos überall 50 und parken, wo sie wollen“, fasst der | |
| Jurist Roman Ringwald die Rechtslage zusammen. | |
| Er berät Kommunen in Fragen der Verkehrswende. Wollen Städte und Gemeinden | |
| Tempo-30-Zonen einrichten oder Parkgebühren erheben, müssen sie nachweisen, | |
| dass das wirklich nötig ist. Das kostet Zeit und Geld. Verzichten sie | |
| darauf, riskieren sie eine Klage, etwa von Anwohner:innen. | |
| Das soll sich ändern. Am Mittwoch will das Bundeskabinett einen | |
| Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) | |
| verabschieden, der die Möglichkeit eröffnet, dass Kommunen sehr viel | |
| größere Spielräume bekommen. Die vorgesehene Änderung wirkt unscheinbar, | |
| hat aber weitreichende Folgen. Im Straßengesetz soll es eine Veränderung | |
| geben: Derzeit wird dort allein die Leichtigkeit und Sicherheit des | |
| Verkehrs als Ziel bezeichnet – wobei damit im allgemeinen Autoverkehr | |
| gemeint ist. Neu hinzukommen als weitere Ziele sind der Klima- und | |
| Umweltschutz, die Gesundheit und die städtebauliche Entwicklung. | |
| ## Entscheidend ist die StVO | |
| Die Änderung des Straßengesetzes ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen | |
| und FDP vereinbart worden. Am vergangenen Donnerstag verschickte das | |
| Bundesverkehrsministerium den Gesetzentwurf an Verbände zur Stellungnahme. | |
| Am Mittwoch soll das Gesetz ins Bundeskabinett. | |
| Hat der Bundestag das Gesetz verabschiedet, kann aber noch nicht von einem | |
| Ende die Rede sein: Entscheidend ist, dass im Anschluss die | |
| [1][Straßenverkehrsordnung] (StVO) angepasst wird. Denn die Privilegien für | |
| den Autoverkehr sind hier verankert. Besonders Paragraf 45 ist | |
| reformbedürftig. Dort ist festgeschrieben, dass Beschränkungen und Verbote | |
| für den Autoverkehr nur erlaubt sind, „wenn aufgrund der besonderen | |
| örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht“. | |
| Gerade die Anforderung, diese Gefahrenlage nachzuweisen, macht Änderungen | |
| für Kommunen so schwer, dass sie es oft lieber lassen. Teilweise ist es | |
| ihnen auch kaum möglich, die bislang geforderten Nachweise zu erbringen. | |
| Bevor etwa eine Bus- oder Radspur eingerichtet werden darf, muss eine | |
| bestimmte Nutzung nachgewiesen werden – aber die Nachfrage kommt erst in | |
| Gang, wenn die Spur da ist. | |
| Kommunen können heute auch keine speziellen Regeln für E-Autos oder | |
| [2][Carsharing] erlassen, um Anreize für ihre Nutzung zu schaffen. „Wir | |
| warten auf die Novelle“, sagt Thomas Kiel d’Aragon, Verkehrsreferent des | |
| Deutschen Städtetags. Allerdings sehen die Kommunen auch | |
| Nachbesserungsbedarf. Sie wollen eine Erprobungsklausel. „Unser Wunsch ist, | |
| dass wir in die Innovation kommen, damit wir in Änderungsprozesse kommen, | |
| die uns voranbringen“, sagt er. | |
| ## Deutsche Umwelthilfe spricht von Nebelkerze | |
| Für die Denkfabrik Agora Verkehrswende ist die Novelle ein wichtiger | |
| Schritt in die richtige Richtung. „Sie wird das Beste sein, was wir in | |
| dieser Legislaturperiode bekommen“, ist Christian Hochfeld überzeugt, | |
| Direktor von Agora Verkehrswende. Mit der Reform der Straßenverkehrsordnung | |
| könne ein Paradigmenwechsel eingeleitet und ein Modernisierungsschub im | |
| städtischen Verkehr ausgelöst werden. | |
| Nicht alle teilen diese Einschätzung. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht | |
| in der Novellierung den „Versuch der Festschreibung des Primats einer | |
| autofreundlichen Stadt“ und spricht von einer „Nebelkerze“. „Eine wirkl… | |
| Reform des Straßenverkehrsgesetzes ist nicht vorgesehen“, sagt | |
| Geschäftsführer Jürgen Resch. Die Organisation kritisiert, dass das Gesetz | |
| selbst keine konkreten Schritte und eben keine Änderung der | |
| Straßenverkehrsordnung vorsieht – obwohl das nach Auffassung der DUH durch | |
| eine kleine Änderung in der Novelle möglich wäre. „Wir brauchen auch für | |
| die kostendeckende und den ÖPNV mitfinanzierende Parkraumbewirtschaftung | |
| mehr Rechte für die Stadt“, fordert Resch. „Und auch die Umwidmung von | |
| Straßenflächen in geschützte Radwege und Busspuren muss bereits im | |
| Straßenverkehrsgesetz geregelt werden.“ | |
| Die Verband [3][Changing Cities] ist gnädiger. Er sieht „viel Gutes, aber | |
| wenig Konkretes“ in dem Entwurf. Die Radaktivist:innen ärgert, dass | |
| das Ministerium den Verbänden nur 24 Stunden Zeit für eine Stellungnahme | |
| gegeben hat. „Zivilgesellschaftliche Beteiligung nur über ein so kurzes | |
| Zeitfenster zu ermöglichen, lässt mutmaßen, dass eine wirkliche | |
| demokratische Beteiligung vom Ministerium gar nicht erwünscht ist oder | |
| nicht priorisiert wird“, heißt es in einer Stellungnahme. | |
| Allerdings müssen Kommunen Handlungsspielräume auch nutzen wollen. Das ist | |
| keineswegs überall der Fall. In Berlin etwa will die neue Regierung aus CDU | |
| und SPD zurückdrehen, was die rot-rot-grüne Koalition an Verbesserungen für | |
| Radler:innen auf den Weg gebracht hat. Die neue Verkehrssenatorin Manja | |
| Schreiner (CDU) hat geplante Radwegprojekte auf Eis gelegt. Sie will | |
| Projekte kippen, wenn nur ein einziger Parkplatz dafür weichen muss. | |
| 20 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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