# taz.de -- Umweltorganisation über das StVG: „Das ist ein solides Fundament… | |
> Mit dem neuen Straßenverkehrsgesetz hätten Kommunen mehr Spielraum, sagt | |
> Janna Aljets von der Agora Verkehrswende. | |
Bild: Mehr Platz für Radfahrende? Die Reform des StVG könnte die Planung von … | |
taz: Frau Aljets, am Mittwoch soll die Reform des Straßenverkehrsgesetzes | |
vom Bundeskabinett beschlossen werden. Die Regierung hat im | |
Koalitionsvertrag mehr Raum für Kommunen bei der Verkehrsgestaltung | |
versprochen. Hält sie das ein? | |
Janna Aljets: Die Bundesregierung macht zumindest den ersten notwendigen | |
Schritt in diese Richtung. Mit der Reform sollen Klimaschutz, Umweltschutz, | |
Gesundheit und städtebauliche Entwicklung als Ziele ins | |
Straßenverkehrsgesetz aufgenommen werden. Sie sollen gleichberechtigt neben | |
die Ziele Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs gesetzt werden, die | |
bislang allein im Gesetz stehen. Die bisherige Zielsetzung führt dazu, dass | |
das Auto faktisch privilegiert wird. | |
Was kommt nach dem ersten Schritt? | |
Was folgen muss, ist eine umfassende Reform der | |
[1][Straßenverkehrsordnung], der StVO. Dort ist sehr restriktiv geregelt, | |
wann zum Beispiel die Leichtigkeit des Verkehrs, also in der Praxis oft | |
umgesetzt als das Vorrecht des Autos, eingeschränkt werden kann. Das sind | |
die Verkehrsregeln, nach denen wir uns alle richten. Das sind auch die | |
Regeln, nach denen Kommunen Verkehrsplanung machen müssen. Erst wenn auch | |
die StVO an den neuen Zielen des StVG ausgerichtet ist, kann sich auf den | |
Straßen spürbar etwas ändern. | |
Welche Folgen hat es bislang, dass das Straßengesetz dem Auto Privilegien | |
einräumt? | |
Für Kommunen ist es zum Beispiel schwierig, eine Auto- oder Parkspur | |
wegzunehmen und stattdessen eine Radspur einzurichten. Denn dadurch würde | |
die Leichtigkeit des Autoverkehrs einschränkt. Deswegen sind gegen solche | |
Maßnahmen Klagen möglich. Die Klagefreudigkeit ist in Deutschland sehr | |
groß. In München zum Beispiel wurde in den vergangenen zweieinhalb Jahren | |
so viel geklagt wie in den zehn Jahren davor nicht. Auch wenn die Stadt | |
meistens gewinnt, ist der damit verbundene Aufwand unverhältnismäßig. | |
Wie gehen Städte damit um? | |
Wir sehen mutige Vorreiterinnen, die sagen: Man kann das Gesetz auch so und | |
so auslegen. Manche andere probieren etwas, werden dann beklagt und müssen | |
Maßnahmen wieder zurücknehmen. Wir haben aber auch viele Kommunen, die sich | |
von vornherein nicht trauen, weil sie wissen, dass im Zweifelsfall der | |
Radweg oder der [2][Fußgängerüberweg] kassiert wird. Deshalb braucht es | |
diese Reform des Straßenverkehrsgesetzes, um Rechtssicherheit herzustellen | |
Können Städte nach der Reform sofort mit der Verkehrswende loslegen? | |
Im aktuellen Gesetzentwurf ist nicht eindeutig geregelt, wie groß die | |
Handlungsspielräume und die Möglichkeiten der Kommunen sind. Das müsste | |
deutlicher geregelt werden. Aber beim Beispiel [3][Parken] wäre | |
vorstellbar, dass Kommunen ein flächendeckendes Parkraummanagement | |
einführen können und nicht mehr Straßenzug für Straßenzug einzeln | |
nachweisen müssen. Denn bisher läuft es so: Hier besteht Parkdruck, hier | |
fangen wir an, Gebühren zu erheben. Dann verlagert sich der Druck auf die | |
Nebenstraße, dann zieht die Kommune nach. Wenn die StVO entsprechend | |
angepasst wird, kann zum Beispiel dieser Parkdrucknachweis gelockert werden | |
oder wegfallen, einfach weil Parkraumbewirtschaftung aus städtebaulicher | |
Sicht sinnvoll ist. | |
Eine von Agora Verkehrswende unterstütze Initiative von mittlerweile 742 | |
Kommunen fordert die Möglichkeit, Tempo 30 einzuführen. Warum ist Tempo 30 | |
so wichtig? | |
Der Verkehr wird mit Tempo 30 nachweislich sicherer. Wenn die Kommune gut | |
plant, kann der Verkehrsfluss gleichbleibend gut sein. Wir haben massive | |
Verbesserungen für Lärmschutz, für Lärmminderung und für | |
Emissionsminderungen. Es geht um die Verbesserung der Lebensqualität vor | |
Ort für alle Verkehrsteilnehmenden und für die Anwohner:innen. | |
Könnten die Kommunen nach der Reform flächendeckend Tempo 30 durchsetzen? | |
Das kommt darauf an, wie die StVO angepasst wird. Mit den neuen Zielen im | |
StVG wäre es jedenfalls möglich, die StVO so anzupassen, dass Kommunen auch | |
großräumig Verkehrsberuhigungen anordnen können, eben weil dies zum | |
Beispiel dem Umweltschutz und der Sicherheit von Fußgänger:innen und | |
Radfahrer:innen dient. | |
Wie gut stehen die Chancen, dass die StVO angepasst wird? | |
Wir hören, dass das schon in der Vorbereitung ist. An der Reform der StVO | |
ist auch der Bundesrat beteiligt. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder | |
hat schon sehr konkrete Änderungen eingefordert, die auch Tempo 30 in den | |
Kommunen einschließt. Aus den Ländern gibt es daher positive Signale, denn | |
sie sind ja oft noch näher an den Kommunen als das | |
Bundesverkehrsministerium. | |
Einige Verbände üben sehr harsche Kritik an dem Entwurf für das neue | |
Straßenverkehrsgesetz, weil sie es für zu autofreundlich halten. | |
Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht perfekt. Da ist sicher handwerklich | |
noch etwas zu verbessern. Wir müssen aber auch sehen, was in der aktuellen | |
Regierungskoalition möglich ist. Was jetzt vorliegt, ist ein guter | |
Kompromiss und ein solides Fundament. Auf diesem Fundament ist es möglich, | |
die Mobilitätswende weiter aufzubauen. Wir haben monatelang befürchtet, | |
dass die neuen Ziele entweder gar nicht oder als nachrangige Ziele | |
aufgenommen werden. Damit wäre der Status quo tatsächlich zementiert oder | |
sogar verschlechtert worden. | |
Wo müsste handwerklich nachgebessert werden? | |
Es bedarf einer Klarstellung, was die Handlungsspielräume der Kommunen | |
angeht. Das ist uneindeutig und könnte klarer formuliert sein. Außerdem | |
sollte eine Erprobungsklausel in das Gesetz aufgenommen werden, damit | |
Kommunen vor Ort auch Dinge ausprobieren können, die jetzt nicht vorgesehen | |
sind, und sie diese verstetigen können, wenn sie funktionieren. Das ist | |
auch der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände. | |
Einschränkungen für Autofahrende führen regelmäßig zu Empörungswellen. Wie | |
können die Bürger:innen bei der Verkehrswende mitgenommen werden? | |
Änderungen im Verkehr betreffen die Menschen viel direkter als andere | |
Änderungen, etwa bei der Energiewende. Auch wenn am Ende vieles besser | |
wird, scheuen viele am Anfang die Veränderung. Deshalb müssen wir mutiger | |
werden,mehr wagen und dabei den Dialog suchen. Wenn Verbesserungen für alle | |
spürbar werden, wird das auch die überzeugen, die erst noch unentschieden | |
oder skeptisch waren | |
21 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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