# taz.de -- Radweg-Ausbau verhindert: Auto-Lobby rettet Bäume vor Radweg | |
> In Flensburg haben CDU und SSW einen Velorouten-Ausbau in letzter Sekunde | |
> gestoppt. Sie wollen keine mehrmonatige Unterbrechung des Autoverkehrs. | |
Bild: Bäume am Straßenrand: Spenden viel Schatten, stehen der Verkehrswende a… | |
RENDSBURG taz | „Jeder Baum zählt“: Unter diesem Motto kämpft eine | |
Bürgerinitiative in Flensburg [1][gegen den Beschluss der Stadt, auf Kosten | |
von Grünstreifen eine Veloroute auszubauen.] Kurz vor Beginn der | |
Bauarbeiten stellten sich auch die CDU und die Minderheitenpartei SSW gegen | |
den Beschluss – allerdings nicht, um Bäume zu retten, sondern um den | |
Autoverkehr vor einer mehrmonatigen Straßensperrung zu bewahren. | |
Seit Donnerstag steht fest: Die Radweg-Verbreitung kommt nicht. Dadurch | |
frei werdende Fördermittel fließen nun möglicherweise in | |
Auto-Infrastruktur. | |
Eigentlich sollten in diesen Tagen die ersten Bäume an der Straße „Zur Exe�… | |
fallen. Doch „jetzt ist Stopp“, sagte Thomas Dethleffsen (CDU) bei der | |
jüngsten Sitzung des Finanzausschusses, berichtet das Flensburger | |
Tageblatt. Der Grund für die Kehrtwende war die Ankündigung des städtischen | |
Technikbetriebs, dass der Ausbau der Radwege rund 18 Monate dauern werde. | |
In dieser Zeit bliebe die Ein- und Ausfallroute ins Zentrum der Fördestadt, | |
auf der täglich rund 20.000 Wagen rollen, gesperrt. Autos umleiten für | |
Räder? „Verkehrswahnsinn!“, fiel Dethleffsen dazu ein, und Martin Lorenzen | |
(SSW) sprang ihm bei: „Unzumutbar“. Gemeinsam verfügen beide Fraktionen | |
über eine Mehrheit im Rat. | |
## 23 Bäume hätten weichen müssen | |
Eigentlich müsste Ende November ein Planungsausschuss entscheiden. Doch um | |
den Schwebezustand nicht zu verlängern, beschloss nun der Finanzausschuss | |
das Aus für die Radweg-Verbreiterung, trotz der Proteste von SPD und | |
Grünen. Sozialdemokrat Justus Klebe sprach von einer „Schädigung für die | |
Stadt“, der Grüne Leon Bossen hält die Entscheidung gar für den | |
„verkehrspolitischen Super-GAU“. | |
Denn an der „Exe“ treffen laut dem Velorouten-Konzept der Stadt zwei | |
innerstädtische Rad-Schnellstrecken zusammen. An dieser Stelle sollte mehr | |
Platz für E-Bikes, Renn- und Lastenräder geschaffen werden – doch dafür | |
hätten 23 Bäume weichen müssen. | |
„Der Preis ist zu hoch“, sagt Sabine Scholl, Sprecherin der | |
Bürgerinitiative (BI) „Jeder Baum zählt“. Der gehörten „ganz normale L… | |
an, die sich noch nie irgendwo zu Wort gemeldet haben“, berichtet Scholl. | |
Aber angesichts des spürbaren Klimawandels – Flensburg war kürzlich von | |
einer Jahrhundert-Sturmflut betroffen – „haben viele den Eindruck, dass es | |
so nicht weitergehen kann“. | |
Um die Hitze in der Stadt zu senken, [2][müssten auch kleine Biotope | |
erhalten werden,] das sage sogar die Stadt in einem Konzept zur | |
Klimawandel-Anpassung. „Aber es wird weiter gebaut und versiegelt. Biotop- | |
und Naturschutz haben in Flensburg keine Lobby.“ Die BI hatte einen | |
Alternativvorschlag vorgelegt, bei dem ein kleineres Stück Radweg hätte | |
ausgebaut werden sollen, um so die Mehrzahl der Bäume zu retten. | |
## Zwei Millionen Euro Förderung sind wohl weg | |
Auch Ralph Müller, ehrenamtlicher Naturschutzbeauftragter der Stadt, hält | |
den Ausbau an der „Exe“ für nicht vordringlich: „Ich freue mich über je… | |
Radweg, ich bin schließlich selbst Radfahrer. Aber wenn die Stadt baut, | |
greift sie immer in die wenigen Grünflächen ein, nie in den Autoverkehr.“ | |
Es gebe eine ganze Reihe von Straßen in der Stadt, die bisher gar keine | |
Radwege haben: „Mit dem Geld, das für einen Kilometer an der Exe geplant | |
ist, könnte man vieles andere in der Stadt tun.“ | |
Doch das widerspricht der Förderlogik. Die Stadt hatte beim Land einen | |
Zuschuss für den 3,3 Millionen Euro teuren Ausbau der Velo-Route gestellt | |
und sollte zwei Millionen erhalten. In einer Pressemitteilung lobte der | |
parteilose Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen das Projekt als „wichtiges | |
Signal für die Stärkung des Radverkehrs“. | |
Die Mitteilung wurde verschickt, während parallel in Flensburg CDU und SSW | |
ihren Rückzug von den früheren Beschlüssen ankündigten. Offiziell weiß das | |
Ministerium noch nichts von der Entscheidung des Flensburger Ausschusses. | |
Doch „wenn es so käme, wäre das bedauerlich“, sagte Madsen der taz. | |
Verzichtet die Stadt endgültig auf das Projekt, bleiben die Fördermittel im | |
Etat-Topf für kommunale Verkehrsprojekte aller Art – das Geld für die | |
Flensburger Veloroute könnte nun in einer anderen Gemeinde Parkplätze oder | |
Ladesäulen finanzieren. | |
„Grotesk“ sei es, dass ausgerechnet Radwege als „neuer Feind des | |
Umweltschutzes“ gelten, meint die Ortsgruppe des Fahrradclubs ADFC. Würden | |
mehr Personen aufs Rad umsteigen, sei der [3][positive Effekt der Bäume] | |
rasch ausgeglichen. Und es sei „absehbar, dass eine bessere Infrastruktur | |
dazu führt, dass mehr Menschen vom Pkw aufs Fahrrad umsteigen“. Ähnlich | |
argumentieren die Grünen. | |
Ralph Müller bezweifelt das: „Breitere Wege allein sorgen nicht für mehr | |
Verkehr, da sind viele Gründe beteiligt.“ Er nennt die Entwicklung von | |
E-Bikes, neues Gesundheitsbewusstsein und Lifestyle. Entscheidend sei ein | |
anderer Punkt: „Auch wenn immer mehr Menschen Rad fahren, wir haben es | |
bisher nicht geschafft, die Emissionen zu senken.“ | |
Für Sabine Scholl und ihre Mitstreiter*innen in der BI ist „erst mal | |
die Hauptsache, dass die Bäume gerettet sind“. Dass die Entscheidung aus | |
den falschen Gründen fiel, sei ein Zeichen, wie viel noch zu tun sei. Daher | |
werde die BI weitermachen: „Denn jeder Baum zählt, nicht nur an der Exe.“ | |
13 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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