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# taz.de -- Bremer Grüne: Jäten nach der schlechten Ernte
> Die Grünen sind die Wahlverlierer in Bremen. Der Landesvorstand tritt
> nicht mehr an und nun gibt es auch den ersten prominenten Parteiaustritt.
Bild: Angeschlagen: Sonnenblume vor düsterem Himmel
Bremen taz | Vier Rückzüge in einer Woche bei den Bremer Grünen: Gleich am
Montag nach der Bürgerschaftswahl hatte [1][die grüne Spitzenkandidatin und
Umweltsenatorin Maike Schaefer] ihren Rücktritt verkündet – zumindest als
Senatorin, ihr Mandat fürs Parlament will sie behalten. Dann, einen Tag
später, kündigten die Landesvorstandsprecher*innen Alexandra Werwath
und Florian Pfeffer an, dass sie bei der nächsten regulären Wahl noch in
diesem Jahr nicht mehr antreten werden. Am Mittwoch, noch bevor das
Endergebnis der Wahl feststand, der nächste Knaller: [2][Bremerhavens
Spitzenkandidatin Sülmez Çolak] tritt aus der Partei aus. Ihr Mandat wolle
sie aber „wahrscheinlich annehmen“.
Der Grund: Die Grünen vergessen Bremerhaven, so lautet Çolaks Vorwurf. Der
taz sagt sie, sie habe den Landessprecher am Montag gefragt, ob auch
Bremerhaven in den kommenden Sondierungsgesprächen vertreten sein werde –
die Antwort sei Nein gewesen. Dieselbe Reaktion auf Çolaks Forderung, dass
Bremerhaven künftig eine stärkere Rolle in der Landespolitik spielen solle.
„Mit einer Stadt, die so viele soziale Probleme hat, geht man nicht so um“,
sagt die gebürtige Bremerhavenerin. Die Wahl – vor allem das starke
Ergebnis der rechten „Bürger in Wut“ – habe gezeigt, dass die Menschen
Sorgen haben, sich nicht verstanden fühlen. „Man muss die Sorgen ernst
nehmen, mit den Leuten ins Gespräch kommen. Es kann nicht sein, dass die
Menschen vor der Politik der Grünen Angst haben, weil sie noch mehr
Probleme fürchten.“ Mit ihrem Austritt wolle sie die Grünen „wachrütteln…
Laut der [3][Analyse zur Wanderung der Wählenden] von Infratest Dimap haben
die Grünen die meisten Wählenden an die SPD verloren – gleich 10.500. Je
3.000 bis 4.000 gingen zur Linken, zur CDU oder blieben der Wahl ganz fern.
Florian Pfeffer habe seine Entscheidung, nicht mehr für die Vorstandswahl
anzutreten, schon vor der Wahl getroffen, sagt er der taz. „Ich glaube, ein
Wechsel ist jetzt eine gute Sache. Es gibt viele junge Talente.“ Der
Wahlausgang habe die Entscheidung dann noch einmal bestätigt. Ein Signal an
andere Menschen in der Partei, ebenfalls ihren Posten zu räumen, sei die
Entscheidung aber „auf keinen Fall“.
Sondierungsgespräche werden Werwath und Pfeffer aber noch für die Grünen
führen. Auch einen Prozess der Aufarbeitung innerhalb des Landesverbandes
möchte man begleiten. „Ich möchte, dass ein neuer Vorstand im Herbst mit
einer sortierten Partei weitermachen kann“, sagt Pfeffer. Es werde daher
Veranstaltungen geben, „in denen es nicht nur darum geht, mal zu reden“.
Vielmehr will Pfeffer die Fragen nach Arbeitsstrukturen und thematischer
Aufstellung stellen. „Was müssen wir tun, um in vier Jahren besser
dazustehen und wie bauen wir neuen Kontakt in die Gesellschaft auf?“ Dafür
werde man sich professionelle Begleitung von außen holen.
## Kritik an der Wahlkampagne
„Das Interesse an einer Aufarbeitung ist groß“, sagt ein Parteimitglied der
taz. Bei einem Parteiratschlag bereits am Montagabend nach der Wahl, sei
das deutlich geworden. Das Treffen sei recht gut besucht gewesen und viele
Mitglieder hätten die Möglichkeit genutzt, kurze Redebeiträge beizusteuern.
„Es haben sich ziemlich lange Schlangen gebildet.“ Die Kritik, die an dem
Abend geäußert worden sei, habe sich vordergründig an den „gesamten Prozess
und die Kampagne“ gerichtet, nicht an die Spitzenkandidatin Schaefer.
„Maike wurde mit dem Applaus noch mal der Respekt gezollt für ihre Arbeit
sowie die Entscheidung, die Verantwortung auch zu übernehmen.“
Kritik habe sich bislang fast ausschließlich über Schaefer ergossen, sagt
Matthias Güldner, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Grünen. Unter
anderem, weil Finanzsenator Dietmar Strehl und Sozialsenatorin Anja
Stahmann „im Wahlkampf und während der gesamten Legislatur unsichtbar
geblieben“ seien. Das monierte er gegenüber der taz.
Von alten Größen ist bislang noch Stahmann übrig. Sie bremste kürzlich in
der Frage der Regierungsbildung. Eine erneute Beteiligung der Grünen sei
noch nicht ausgemacht, sagte sie dem Medienhaus Table Media. „Eine
Koalition um jeden Preis und ohne die zentralen Grünen-Inhalte wollen und
können wir nicht mitmachen.“
Stahmann sprach auch von Versäumnissen im Wahlkampf. „Es ist uns nicht gut
gelungen, die notwendigen und unausweichlichen Maßnahmen zum Abwenden der
Klimakatastrophe mit der sozialen Frage zu verbinden.“ Die Grünen seien
davon ausgegangen, dass die Bevölkerung die Notwendigkeit der Maßnahmen
uneingeschränkt anerkenne und bereit sei, auch Opfer zu bringen.
„Vielleicht war das ein bisschen naiv. Daran müssen wir dringend arbeiten.“
Ähnlich hatte auch die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag die Niederlage
eingeordnet: Britta Haßelmann sprach am Dienstag im „ZDF-Morgenmagazin“ von
Defiziten bei der Vermittlung der Klimapolitik der Partei. Als Fehler
benannte sie auch das Gesetz zum Heizungstausch und die Affäre um Robert
Habecks Staatssekretär Patrick Graichen. Den hat Habeck inzwischen
fallenlassen.
Wie es mit Stahmann selbst weitergeht, ist auch noch unklar. Beim
Parteiratschlag habe sie den Eindruck vermittelt, dass sie das auch noch
nicht wisse, aber zur Verfügung stehe, „abhängig davon, ob die Partei sie
möchte und braucht“. So erzählt es ein Parteimitglied. Stahmann habe das
Thema von sich aus aufgebracht, als sie sich wie alle hinten anstellte in
die Schlange für die Redebeiträge.
Und sollte sie bleiben – wird in einer etwaigen Neuauflage der Regierung
überhaupt Platz für Stahmann sein?
## Sondierungsgespräche am Freitag
In der vergangenen Legislaturperiode stellten die Grünen in der Koalition
drei Senator*innen. Finanzsenator Dietmar Strehl, Sozialsenatorin Anja
Stahmann und Umweltsenatorin Maike Schaefer. Mit dem jetzigen Ergebnis
werden sie nur zwei Ressorts besetzen können. Strehl hatte schon vor der
Wahl angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen; er wird in wenigen
Tagen 67 Jahre alt. Einfach an die SPD abgeben können die Grünen das
Finanzressort aber auch nicht: Zu unausgeglichen wäre das Machtverhältnis
innerhalb der Koalition, wenn die größte Partei das Rathaus und das
Finanzressort besetzt. Wahrscheinlicher ist es, dass die SPD „Soziales“
übernimmt – derzeit besetzt von Stahmann.
Bevor das weiter thematisiert wird, müsse erst einmal eine Regierung
gebildet werden, meint auch Noch-Vorstand Pfeffer: „Die Frage stellen wir
ein paar Wochen zu früh.“ Klar sei jedoch auch: „Mit dem Weggang von Maike
ist eine potenzielle Lücke entstanden.“ Sie habe schließlich das grüne
„Kernthema“ im Senat besetzt.
Sondierungsgespräche stehen nun an, das amtliche Endergebnis der Wahl steht
seit Himmelfahrt fest. Der alte und neue SPD-Bürgermeister Andreas
Bovenschulte hatte bislang offen gelassen, mit wem er koalieren will.
Rechnerisch würde es nicht nur für Rot-Grün-Rot reichen, sondern auch für
eine Große Koalition mit der CDU. Zunächst will die SPD heute mit den alten
Koalitionspartnern Grünen und Linkspartei sprechen. Am Samstag schließt
sich ein Gespräch mit der bislang oppositionellen CDU an, teilte die
Landesgeschäftsführung am Donnerstag mit.
18 May 2023
## LINKS
[1] /Gruenes-Ergebnis-bei-Wahl-in-Bremen/!5931826
[2] /Spitzenkandidatin-verlaesst-die-Partei/!5935371
[3] https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-bremen-102.html
## AUTOREN
Alina Götz
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