# taz.de -- Neuer Vorstand wird gewählt: Bremens Grüne wollen attraktiv werden | |
> Nach der schlechten Landtagswahl wählt die Partei einen neuen Vorstand. | |
> Eine Meeresforscherin und ein Drehbuchautor aus Tschechien wollen | |
> übernehmen. | |
Bild: Neustart: Franziska Tell will, gemeinsam mit Marek Helsner, Grünen-Chefi… | |
BREMEN taz | Für die Bremer Grünen ist es ein Teil des angestrebten | |
Neustarts: Am Samstag wählt der Landesparteitag einen neuen Vorstand. | |
Alexandra Werwath und Florian Pfeffer, die das Amt derzeit bekleiden, | |
treten nicht mehr an. [1][Das hatten sie zwei Tage nach der | |
Bürgerschaftswahl im Mai verkündet.] Nach dem Rücktritt von | |
Spitzenkandidatin und Verkehrssenatorin Maike Schaefer war dies eine | |
weitere Folge des desaströsen Ergebnisses. Die Grünen hatten 11,7 Prozent | |
erreicht – knapp sechs Prozent weniger als vor vier Jahren. | |
Für die zwei Führungspositionen im grünen Landesvorstand gibt es genau zwei | |
Kandidat*innen: Franziska Tell, 28-jährige, frisch gewählte | |
Bürgerschaftsabgeordnete und Meeres- und Klimaforscherin, und Marek | |
Helsner, 54, Drehbuchautor und Mitglied im Beirat Schwachhausen, einem eher | |
gut situierten Bremer Stadtteil. | |
Die beiden werden, wenn sie wie erwartet am Samstag gewählt werden, vor | |
einer großen Aufgabe stehen: Sie sollen die Bremer Grünen wieder attraktiv | |
machen, nach dem Absturz bei der vergangenen Wahl und trotz schlingender | |
Ampel-Regierung im Bund. | |
In Bremen konnte sich die Partei zwar in der Regierung mit SPD und Linken | |
halten. Doch ihre Fraktion ist geschrumpft, das Sozialressort haben sie | |
abgeben müssen. Neben Finanzen blieb Umwelt, Klima, Energie und | |
Wissenschaft in grüner Hand. Das klingt zwar alles typisch grün, bietet | |
ohne Mobilität, Bau und Stadtentwicklung jedoch [2][deutlich weniger | |
Gestaltungsmacht]. Die Bereiche hat nun die SPD. | |
## Abgeordnete mit vielen Aufgaben | |
Franziska Tell ist eine von zehn Abgeordneten der Partei in der | |
Bürgerschaft. Sie ist zuständig für die Politikfelder Bildung, | |
Wissenschaft, Kinder, Datenschutz, Digitales und Medien – notgedrungen ganz | |
schön viel. „Damit bin ich schon ganz gut ausgelastet“, sagt Tell. Auch | |
deswegen habe sie sich die Entscheidung zu kandidieren nicht leicht | |
gemacht. „Ich sage mal so: Ich hätte mich nicht dafür entschieden, wenn es | |
andere Personen gegeben hätte.“ | |
Die Trennung vom Amt und Mandat hat bei den Grünen Tradition. Sie ist aber | |
längst nicht mehr so strikt wie früher, in Bremen ist das zudem gar nicht | |
fest geregelt. „Es ist prinzipiell gut, Aufgaben auf verschiedene Schultern | |
zu verteilen. Solange man in der Lage ist, das zu tun“, sagt Tell dazu. | |
Doch sie hat Bock auf die Arbeit, zusätzlich zu der als Abgeordnete: „Als | |
Partei hat man ganz andere Spielräume“, sagt sie. Zum Beispiel durch die | |
Zusammenarbeit mit anderen Ländern und dem Bund, auch könnten größere | |
Themen bespielt werden. Vor allem will Tell aber den Kontakt zur | |
Bevölkerung stärken – welcher der Partei zuletzt verloren gegangen schien. | |
Das hatte auch Anja Stahmann, Bremens langjährige Sozialsenatorin, im | |
taz-Interview kritisiert. „Ich glaube, in der Vermittlung unserer Politik | |
haben wir Fehler gemacht. Wir haben die Leute oft vor den Kopf gestoßen und | |
einen Klassenkampf ums Auto losgetreten.“ Stahmann war nach der | |
Bürgerschaftswahl von Amt und Mandat zurückgetreten. Schaefer ist dagegen | |
immer noch Mitglied der Bürgerschaftsfraktion. | |
## Lebensqualität statt Einschnitte | |
Wie soll Klimaschutz also in Zukunft vermittelt werden? „Wir müssen den | |
Leuten zeigen, dass Klimaschutz und -anpassung Veränderung bedeuten, aber | |
eben nichts Schlechtes“, sagt Tell und spricht von „mehr Grün in den | |
Stadtteilen“ und „Lebensqualität“. Dass das auch sozial gerecht geht, ha… | |
man bereits im Wahlkampf gesagt, man sei damit aber nicht durchgekommen. | |
Helfen sollen „noch mehr Kommunikation und Gespräche vor Ort, auch | |
außerhalb vom Wahlkampf, wo alles so aufgeheizt ist“. | |
Dass die 28-jährige Tell vor allem bei jungen Menschen gut ankommen dürfte, | |
legen die gut 2.300 Personenstimmen, die sie bei der Wahl bekommen hat, und | |
ihre Arbeit im Vorstand der Grünen Jugend Bremen nahe. | |
Franziska Tell und Marek Helsner kennen sich: Sie kommen aus dem gleichen | |
Kreisverband, haben in diesem Jahr gemeinsam Wahlkampf gemacht. Man | |
verstehe und ergänze sich gut, sagen beide. Auch aufgrund der sehr | |
unterschiedlichen Lebensrealitäten. | |
Helsner ist 1977 erstmals in Bremen angekommen, als er acht Jahre alt war. | |
Damals hatte er eine Flucht aus der Tschechoslowakei hinter sich, über | |
verschiedene Orte in Deutschland. „In Bremen wurden wir aufgenommen“, | |
erzählt Helsner. „Hier waren Menschen, die entscheidend geholfen haben, | |
ohne die meine Familie ihren Weg nie hätte gehen können.“ | |
Nach 30-jähriger Abwesenheit ist Helsner vor vier Jahren erneut | |
hergekommen, mit Frau und Kindern. Er wurde Parteimitglied und begann sich | |
einzubringen. Klimakrise sowie „Rechtspopulismus, destruktives Gebrüll und | |
die Verbreitung von Unwahrheiten“ hätten ihn motiviert, sagt er. Inzwischen | |
ist er Mitglied im Beirat Schwachhausen. Jetzt folgt die Kandidatur für den | |
grünen Parteivorsitz. „Wir hatten ein schlechtes Wahlergebnis, da müssen | |
wir nix schönreden. Die Notwendigkeit, grüne Politik zu machen, hat sich | |
dadurch aber ja nicht verändert“, sagt er. | |
## Innerparteilich ist seit der Wahl schon viel passiert | |
Wie Tell will auch Helsner auf Menschen zugehen, „aufsuchende | |
Politikarbeit“ nennt er das. Aus dem Beirat kennt er den direkten Kontakt | |
zur Bevölkerung. Den Job will er, auch wenn er am Samstag gewählt wird, | |
weitermachen. Derzeit arbeitet Helsner, der Film studiert hat, auch als | |
Drehbuchautor, zum Beispiel für die Krimiserie „Soko Wismar“ oder | |
Fernsehfilme in der ARD. | |
Innerparteilich sei in den Monaten nach der Wahl bereits viel aufgearbeitet | |
worden, erzählen beide Kandidat*innen. Helsner sieht „Motivation und | |
positive Energie, in Bremen und in Bremerhaven“. | |
Auf die Kommunikationsprobleme von Ex-Senatorin Maike Schaefer im Bereich | |
Verkehrspolitik angesprochen, sagt er: „Ich möchte nach vorne blicken“, | |
Kompetenz und Kreativität innerhalb der Partei besser fördern und nutzen. | |
Einer der vermeintlichen Fehler der damaligen Verkehrssenatorin Schaefer, | |
die „Brötchentaste“ an den Parkuhren kurz vor der Wahl abzuschaffen, wurde | |
inzwischen von der SPD korrigiert. Das kurzzeitige Umsonst-Parken für | |
kleine Erledigungen kommt also wieder. | |
Und wenn es doch darum geht, der breiten Masse Einschnitte zu vermitteln, | |
am besten, ohne dass sie als solche wahrgenommen werden, will er weder eine | |
positive Verpackung noch den erhobenen Zeigefinger. „Mir ist wichtig, dass | |
wir als Grüne klarmachen: Wir wissen es nicht besser. Wir wollen Angebote | |
machen und Lösungswege aufzeigen.“ | |
Er hält es wie Tell: wissenschaftliche Fakten nennen und klar machen, dass | |
eine klimagerechte Umgestaltung der Stadt letztlich keine Einschränkung ist | |
– und dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. | |
5 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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