# taz.de -- Nachruf auf Harry Belafonte: Sie nannten ihn Mr. Calypso | |
> Harry Belafonte war Sänger, Schauspieler, Bürgerrechtler. Ein Sozialist | |
> ohne falsche Geste vor den Thronen. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben. | |
Bild: Harry Belafonte bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten am 10. … | |
Es liegt kein falscher Zungenschlag in der Feststellung, dass dieser Mann, | |
eine Ikone sowohl des kulturellen wie politischen Lebens (beileibe nicht | |
nur) in den USA, im Alter ein auskömmliches, ja, wohlhabend bürgerliches | |
Leben führen konnte: Er hatte, mit seinen Mitteln, viele Jahre für seinen | |
Erfolg gearbeitet und Jahrzehnte daran gearbeitet, dass dieser Platz an der | |
Sonne ihm nicht wieder genommen wird. | |
Harry Belafonte, den mögen Jüngere allenfalls durch eilige Zugriffe ins | |
Internet kennen, Mittelalte indes immerhin aus seiner Zeit in der | |
europäischen Friedensbewegung, als er in den frühen Achtzigern | |
prominentester Teil des Line-ups vom Friedenskonzert gegen die | |
Nato-Nachrüstung im Hamburger Millerntorstadion war, als er zur gleichen | |
Zeit vor der FDJ der DDR performte und dieses Event veredelte: Belafonte | |
war ein Star dieser Bewegung, denn er kannte keine Scheu, dass mit der | |
Kritik an hochmilitärischer Nachrüstung auch sein Heimatland, die USA, | |
gemeint war. | |
Belafonte, der war ein Weltbürger, wie er selbst sagte, zuhause in erster | |
Linie unter seinen Freundinnen*, ob in der Bundesrepublik, Südafrika, | |
Nigeria, Japan, der Sowjetunion, Kanada oder eben den USA. | |
Er war zeitlebens ein Fellow der Demokratischen Partei in den USA, und er | |
verabscheute zugleich mit jeder Faser, so sagte er es in einem Telefonat | |
vor 25 Jahren, Politikerinnen* der Republikaner, hießen sie nun Bush sr., | |
Bush jr., Trump, den sowieso, oder andere mehr oder weniger verkappte | |
Rassistinnen*. | |
## Ein nachgerade krasser Ehrgeiz | |
In einer seiner letzten Filmrollen, in Emilio Estevez' „Bobby“ (2006), der | |
die Ermordung des heißen Präsidentschaftskandidaten Bobby Kennedy Ende der | |
sechziger Jahre zum Thema hatte, spielt der gebürtige New Yorker einen sehr | |
altersweisen, fast lakonischen Schachspieler … als ob er es selbst wäre: | |
Ein Mann, der seinen Teil dazu beigetragen hatte, Rassismus, | |
Ungerechtigkeit und Diskriminierung von Schwächeren (in welcher Weise | |
gedemütigt, geschwächt auch immer) nicht zu verschweigen – und hofft, dass | |
eben Bobby Kennedy Präsident der USA, der gute Hirte des Landes werden | |
würde. | |
Belafonte, im März 1927 geboren, fast vaterlos großgeworden in New York, | |
zeitweise bei Verwandten in Jamaika in Pflegschaft, muss über einen | |
nachgerade krassen Ehrgeiz früh verfügt haben, um seinen Weg aus den | |
Wohnvierteln der armen Schwarzen herausgehen zu können. Eine gute High | |
School, Schauspielunterricht, Kontakt auch zu einem deutschen Regisseur (im | |
Exil) wie Erwin Piscator, Kontakt zu Kollegen wie Marlon Brando, Tony | |
Curtis oder Walter Matthau. | |
Erste Erfolge auf der Bühne hatte Belafonte weniger am Theater oder beim | |
Film, vielmehr mit Musik – mit Varianten karibischer Musik, die er durch | |
seine Interpretationen buchstäblich zu Welterfolgen machte: „[1][Jamaica | |
Farewell]“, „[2][Mary’s Boy Child]“, „[3][Banana Boat Song]“, „[4… | |
Look at Bubu]“, „[5][Cocoanut Woman]“ oder die unverwüstliche Schnulze | |
„[6][Island in the Sun]“ – alles Chartkracher der fünfziger Jahre, die | |
ästhetischen Spitzenangebote jenseits des wachsenden Einflusses des Rock, | |
später des Beat. | |
Harry Belafonte, den sie „Mr. Calypso“ nannten, war ein Star geworden: Er | |
sah vorzüglich aus, aus jenen Jahren wird überliefert, dass er, ein | |
formidabler Tänzer, als Wunschkandidat sehr, sehr vieler Zuschauerinnen für | |
sehr vieles galt. | |
## Engagiert an der Seite von Martin Luther King | |
Dass er deshalb seinen Mund zu halten wusste, ist nicht das, was ihn | |
auszeichnete. Belafonte wusste sehr wohl, dass er ein ebenso guter | |
Schauspieler wie hellsthäutige Kollegen war – aber für gewisse Rollen nie | |
infrage kommen würde. Politisch engagierte er sich an der Seite der | |
Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, hielt sich in der öffentlichen | |
Rede wider Rassismus, Segregation und Gewalt gegen Schwarze Menschen nicht | |
zurück. Er habe selbst so viel Niedertracht durch andere erlebt, dass man | |
ihm keine Würde mehr nehmen könnte – er wisse, was seine Dignität ausmache, | |
und die könne ihm niemand absprechen, da lache er doch nur. | |
In den sechziger Jahren sah man ihn auch im bundesdeutschen Fernsehen, | |
damals, als die ARD noch wusste, dass internationale Entertainer ihr | |
Publikum auch hierzulande haben können: Nina Simone, [7][Miriam Makeba], | |
Esther & Abi Ofarim, [8][Caterina Valente], Nana Mouskouri, Nina & Frederik | |
– und auch Harry Belafonte waren die ästhetischen Signaturen einer | |
TV-Kultur, die noch nicht nur im eigenen deutschen Saft zu schmoren | |
beliebte. | |
## Konzerte waren eilends ausverkauft | |
Konzerte mit Harry Belafonte verhießen frühes Anstehen für Tickets, denn | |
sie waren, nicht nur hierzulande, eilends ausverkauft. Dass die Linken und | |
Friedensbewegten ihn besonders liebten, weil er deren faktischen | |
Antiamerikanismus mit bediente, störte weder diese noch den Sänger selbst. | |
Er hatte Gründe, sein Heimatland nicht bruchlos für „God’s own country“… | |
halten, sondern vielerorts für den Vorhof zur Hölle. | |
So lobte er Kuba (und dessen damaligen Chef [9][Fidel Castro]), sagte: „Es | |
dürfte schwer sein, ein Land zu finden, das mehr Wert legt auf die Kultur | |
seiner Menschen und die Entwicklung dieser Kultur als Kuba.“ | |
Oder er nannte Colin Powell, den Außenminister George W. Bushs, | |
„Haussklaven“ des Präsidenten, weil er die entscheidende Lüge wider das | |
irakische Saddam-Regime vor der UN formulierte. | |
## Sein liebstes Hobby | |
2006 wurde Belafonte gefragt: „Sie sind ein überzeugter Gegner des | |
Irakkrieges, kämpfen offensiv gegen George W. Bush.“ Woraufhin der | |
Entertainer, keineswegs altersmilde geworden, erwiderte: „Das ist mein | |
liebstes Hobby. Wer gibt uns das Recht, die Menschen im Irak zu töten? Bush | |
behauptet, dass Amerika zum ersten Mal Terroristen jagt – dabei ist | |
Terrorismus ein Teil des amerikanischen Systems. Amerika hat ein ganzes | |
Volk vernichtet, die Indianer. Das ist Terror.“ | |
Dass ihn die Republikaner hassten, verstand sich von allein. Belafonte, der | |
Sänger, der für einen „Hamlet“ oder andere weiße Paraderollen immer | |
übersehen wurde, der Schauspieler, der sich trotzdem weitschweifenden | |
Partys und Liebesaffären hingab, ein Hedonist, wie es sich nur ziemte, ist | |
am 25. April in der Upper West Side, New York City, gestorben – ein Mann, | |
ohne den es die Bewegungen gegen Rassismus, ohne den es #BLM, Black Lives | |
Matter, so nicht hätte geben können. | |
25 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/j_mK1MyDntc | |
[2] https://youtu.be/8N8aNhbnP-Y | |
[3] https://youtu.be/lZABxj718uA | |
[4] https://youtu.be/l7K2QmrYqnw | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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