| # taz.de -- Grüne Fraktionschefs über Opposition: „Wir werden nicht nur dra… | |
| > Bettina Jarasch und Werner Graf über zerstörtes Vertrauen zur SPD und die | |
| > neue Rolle der Grünen in der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus. | |
| Bild: Kaum vertrauen in Schwarz-Rot: Die Grünen Fraktionsvorsitzenden Bettina … | |
| taz: Herr Graf, Sie sind bekanntlich gut befreundet mit dem neuen | |
| Regierenden Bürgermeister Kai Wegner. Aber über dessen Wahl am Donnerstag | |
| möglicherweise [1][nur dank der Stimmen der AfD] waren Sie konsterniert und | |
| haben erklärt, er hätte die Wahl nicht annehmen dürfen. Gehen Sie trotzdem | |
| noch mit Wegner Essen? | |
| Werner Graf: Es fällt mir gerade schwer, mir das vorzustellen. Aber man | |
| sollte immer miteinander sprechen können. Wenn wir aber das nächste mal | |
| Essen gehen, werden wir Tacheles sprechen müssen. Denn ich sehe nicht, wie | |
| die CDU und die SPD das Chaos, das sie angerichtet haben, gerade wieder | |
| heilen wollen. | |
| Das wird auch nie passieren: Die Wahl war geheim. | |
| Jarasch: Dass Wegner – und damit Schwarz-Rot – auf diese Weise ins Amt kam, | |
| ist eine schwere Hypothek für die ganze Stadt. Und es zeigt, wie | |
| zerstritten diese Koalition ist. Die CDU hat Rot-Grün-Rot immer | |
| vorgeworfen, wir würden die Stadt ins Chaos stürzen. Und nun hat die neue | |
| Koalition innerhalb von ein paar Stunden mehr Zerstrittenheit und Chaos | |
| gestiftet als Rot-Grün-Rot in sechs Jahren. | |
| Manche sagen, es stärke bloß die AfD, wenn Sie und andere diesen Verdacht, | |
| dass Wegner mit Ihrer Hilfe gewählt wurde, weiter thematisieren. | |
| Graf: Das ist abstrus, weil damit die Tatsachen verdreht werden. Nicht | |
| derjenige, der ein Problem anspricht, ist das Problem, sondern jene, die | |
| uns dieses Problem eingebrockt haben. Sie haben bis heute nicht bewiesen; | |
| eine eigene Mehrheit zu haben – so gesehen haben wir eine | |
| Minderheitsregierung in dieser Stadt. | |
| Das wäre doch für die größte Oppositionsfraktion ein Grund zum Jubeln. Und | |
| statt einer stabilen Regierung könnten Sie deren Rücktritt fordern. | |
| Graf: Wir haben immer gesagt, dass wir bereit sind; Verantwortung zu | |
| übernehmen. Wir können stabile Mehrheiten garantieren. SPD und CDU haben | |
| sich aber anders entschieden. Jetzt steht nicht das Wohl der Grünen an | |
| erster Stelle, sondern das Wohl Berlins. Dieses Desaster muss schnell | |
| behoben werden, damit nicht weiter spekuliert wird, welchen Einfluss die | |
| AfD auf die Wahl hatte. | |
| Jarasch: Und ganz am Rande: Schwarz-Grün wäre schwierig geworden – keine | |
| Frage. Aber wenn die Partei dem letztlich zugestimmt hätte, dann wären wir | |
| das Ganze mit der gebotenen Verantwortung angegangen. Ein solches Debakel | |
| hätte es bei uns nicht gegeben. Da können Sie sicher sein. | |
| Werden Sie diesen AfD-Makel jetzt in jeder Sitzung des Parlament – „ceterum | |
| censeo“ – thematisieren? | |
| Graf: Es darf uns nicht um die AfD gehen. Diese Regierung muss beweisen, | |
| dass sie eine eigene Mehrheit hat, schließlich stehen jetzt die wichtigen | |
| Haushaltsverhandlungen an. Ein anderes Beispiel: Die Koalition will das | |
| Wahlalter auf 16 senken, wie Rot-Grün-Rot zuvor auch. | |
| Dazu braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Verfassung zu | |
| ändern. | |
| Graf: Wir stehen dafür bereit, so wie ich die Linksfraktion kenne, steht | |
| diese auch zu ihrem Wort. Das können wir also sofort umsetzen. Aber stehen | |
| SPD und vor allem die CDU noch dazu? Bringen sie genug Stimmen oder weichen | |
| wieder relevante Teile ab? Wir sind verhandlungsfähig, aber ist das auch | |
| die Gegenseite? Das wissen wir gerade nicht. | |
| Was ist spontan der größte Unterschied zwischen Regierung und Opposition? | |
| Jarasch: In der Regierung gestaltet man direkt; in der Opposition muss man | |
| die Regierung manchmal von den besseren Lösungen überzeugen. Das ist unser | |
| Anspruch als Opposition. Wir werden nicht nur draufhauen, das wäre die | |
| billige Nummer. | |
| Vor uns sitzen die beiden Klima- und Verkehrsexpert*innen der | |
| Fraktion. [2][Die Koalition hat ein milliardenschweres Sondervermögen für | |
| den Klimaschutz aufgelegt] – was wollen Sie da besser machen? | |
| Graf: Erstmal muss die Regierung beweisen, wofür dieses Sondervermögen | |
| wirklich benutzt werden soll. Das ist ja eine bekannte Taktik der SPD: Sie | |
| stellt eine Summe in den Raum, ohne zu wissen, was sie damit genau machen | |
| will, nur um zu suggerieren, dass man was tut. Dem Klima hilft aber keine | |
| Show-Politik sondern wir brauchen Taten. Wenn ich mir den Nahverkehrsplan | |
| anschaue, dann sind die angekündigten 5 bis 10 Milliarden Euro schnell | |
| ausgegeben – ohne dass es zusätzliche Mittel gäbe zu dem, was Rot-Grün-Rot | |
| beim Klimaschutz ohnehin schon beschlossen hat. Wir wissen auch noch nicht, | |
| ob das Geld nicht einfach aus dem regulären Haushalt in den Sondertopf | |
| verschoben wird. Dann wäre das Sondervermögen einfach eine Mogelpackung. | |
| Immerhin war es ein Vorstoß, der der grünen Klientel gefallen dürfte. | |
| Jarasch: Jeder Euro, der wirklich für Klimaschutz zusätzlich investiert | |
| wird, wird den Berliner*innen zu Gute kommen. Meine Sorge ist, dass die | |
| Koalition in der Umsetzung nicht weit kommen wird, auch weil viele der | |
| möglichen kurzfristigen Veränderungen von uns schon umgesetzt wurden und | |
| weil sich nicht alle Probleme einfach mit Geld lösen lassen. | |
| Seit mehr als einer Woche versucht die Gruppe [3][Letzte Generation mit | |
| zahlreichen Straßenblockaden], die Stadt „stillzulegen“, wie sie selbst | |
| sagen. Frau Jarasch, Sie haben in der Regierung immer gesagt, als Grüne | |
| brauchen Sie diesen Druck von der Straße. Gilt das auch für die Opposition? | |
| Jarasch: Die neue Regierung braucht diesen Druck und zwar dringend, wenn | |
| mehr Klimaschutz umgesetzt werden soll. Ich glaube nicht, dass die | |
| Aktivistinnen und Aktivisten hauptsächlich auf die Opposition im | |
| Abgeordnetenhaus schauen. | |
| Halten Sie die Aktionen für zielführend? | |
| Jarasch: Darüber haben wir schon viele Diskussionen geführt – und das ist | |
| ein Teil des Problems. Das sind Menschen, die mit einer gewissen | |
| Verzweiflung darauf aufmerksam machen, dass uns die Zeit wegläuft. Aber | |
| durch die Aktionsform diskutieren wir am Ende nur über die Staus auf der | |
| Straße – und nicht über Klimaschutz. Genau diese Debatte bräuchten wir | |
| allerdings, damit wir klären, wie wir gemeinsam vorankommen. | |
| FDP-Bundesverkehrsminister Wissing hat am Dienstag mit der Initiative | |
| gesprochen. Sollte Kai Wegner auch mit ihr reden? | |
| Graf: Miteinander reden ist immer besser als nicht miteinander zu reden. | |
| Der Bürgermeister von Hannover hat das auch getan. Sich nur zu verweigern, | |
| weil man die Art und Weise des Protests nicht so gemütlich findet, finde | |
| ich ein komisches Herangehen. | |
| Sie fordern also, Kai Wegner sollte mit den Aktivist*innen reden? | |
| Jarasch: Bei der Gelegenheit könnte er auch aufzeigen, was mit der CDU in | |
| Berlin in Sachen Klimaschutz passiert. Dann würden wir alle mehr wissen als | |
| wir es jetzt tun. | |
| Wegner könnte kontern: Warum hat eine Klimaschutzsenatorin Jarasch nie | |
| offiziell mit den Aktivist*innen geredet. | |
| Jarasch: Ich war immer mit Initiativen im Gespräch, auch mit Extinction | |
| Rebellion und der Letzten Generation. Ich habe mit ihnen über Strategien | |
| diskutiert – und das gleiche gesagt wie gerade eben. Aber die Forderungen | |
| wie das 9-Euro-Ticket wenden sich ja an die Bundesregierung. | |
| Kommen wir mal zur Friedrichstraße: Meinen Sie, jetzt da der Frühling kommt | |
| und die Straße begrünt wird, ist diese autofreie Zone zu retten? | |
| Jarasch: Einzelhandel und Gastronomie haben in der Friedrichstraße seit | |
| vielen Jahren zu kämpfen. Wer die Geschäfte in der Straße retten will, | |
| braucht eine schön gestaltete Fußgängerzone. Aber als Symbol für die | |
| Verkehrswende taugt die Friedrichstraße nicht. Ein geschützter Radweg ist | |
| das bessere Symbol. | |
| Im Wahlkampf wirkte das auch von Ihrer Seite ganz anders. | |
| Graf: Wir haben die Friedrichstraße nicht ständig angesprochen, das wirkte | |
| viel mehr so, denn es kam ständig von anderer Seite, wie CDU, SPD, FDP und | |
| AfD. | |
| Jarasch: Für uns ist die Friedrichstraße tatsächlich nur eins von vielen, | |
| vielen Projekten gewesen. Ich habe meiner Nachfolgerin… | |
| …der CDU-Vizechefin Manja Schreiner… | |
| …einen dicken Ordner an begonnenen und laufenden Projekten übergeben. Darin | |
| macht die Friedrichstraße zwei Absätze aus. | |
| Zum künftigen Selbstverständnis der Fraktion in der Opposition hat der | |
| Vorstand ein Papier beschlossen. Das ist manchen schon zu links, ihrem | |
| Fraktionskollegen Vasili Franco hingegen zu lasch: Wo es bislang im Text | |
| heißt, man wolle künftig alle Berliner ansprechen und in ihrer | |
| Lebenwirklichkeit wahrnehmen, will er das per Änderungsantrag auf mehr | |
| Berliner beschränken. | |
| Graf: Wir sind zum Glück eine diskussionsfreudige Fraktion, und ich glaube | |
| jetzt nicht, dass das was mit zu links oder nicht zu links zu tun hat. Da | |
| geht es eben auch ums Werben für Wörter und die Debatte was wir wie genau | |
| meinen. Das gilt auch bei dem, was Sie ansprechen: Kann man überhaupt eine | |
| Politik machen, die allen gefällt? | |
| Kai Wegner hat auf einem Wahlplakat gesagt: „Meine Politik muss nicht allen | |
| gefallen. Aber für alle funktionieren.“ | |
| Graf: Aber trotzdem gibt es in der Politik doch immer große verschiedene | |
| Ansichten und auch Weltansichten und Veränderungen, und sonst gäbe es ja | |
| auch nicht verschiedene Parteien. | |
| Jarasch: Dieses Papier der Fraktion zeigt vor allem eines: Wir führen | |
| gerade sehr offen die Diskussion darüber, wie wir uns als Opposition bis | |
| zur nächsten Wahl 2026 aufstellen wollen. Und das bedeutet auch, dass wir | |
| noch stärker als bisher raus gehen werden und uns mit unterschiedlichen | |
| Lebenssituationen beschäftigen. | |
| Sprechen wir mal über die SPD. Sind Sie noch sauer auf die? | |
| Jarasch: Ich hätte mir gewünscht, dass die SPD-Führung einfach dazu | |
| gestanden hätte, dass sie lieber Schwarz-Rot machen wollte. Stattdessen | |
| haben sie den Schwenk zur CDU versucht als zwingend hinzustellen, indem sie | |
| einen Kübel Dreck über ihre ehemaligen Koalitionspartner ausgeschüttet | |
| haben. Das ist unfair und schlecht für Berlin. Sie hatten nicht den Mumm, | |
| einfach zu sagen, wir wollen lieber mit der CDU. | |
| Das heißt, auch hier ist das mit dem gemeinsam Kaffeetrinken und Essengehen | |
| erstmal schwierig. | |
| Graf: Ich werde auch weiter Kaffee trinken gehen, und ich finde, Emotionen | |
| sollten in der Politik keine große Rolle spielen. Wir machen hier Politik | |
| für die Berlinerinnen und Berliner und nicht, damit wir ein schönes Leben | |
| haben – das schöne Leben habe ich mit meinem Mann. Was mich umtreibt, ist, | |
| wenn auf einmal mit haarsträubenden Unwahrheiten versucht wird, Mehrheiten | |
| in der Partei zu gewinnen und zu begründen. Das ist demokratiegefährdend. | |
| Okay, wie sieht es mit den Linken aus: Gibt es da Gespräche? | |
| Jarasch: Ja. Wir werden zusammenarbeiten wo es sich anbietet… | |
| …in Ihrem Papier heißt es „punktuelle Zusammenarbeit“… | |
| …aber auch keine Koalition in der Opposition schmieden. | |
| Die Frage ist bloß: Wo positionieren Sie sich strategisch? Richtung Mitte, | |
| um CDU und SPD Konkurrenz zu machen? Aber dann würden Sie alles links davon | |
| der Linksfraktion überlassen. | |
| Jarasch: Ich glaube, diese Art von Überlegungen interessieren draußen die | |
| Leute relativ wenig. Die wollen, dass wir für konkrete Probleme konkrete | |
| Lösungen anbieten, und die fragen sich dann nicht, ob wir jetzt näher bei | |
| der Linkspartei oder eher in der Mitte angesiedelt sind. | |
| Wäre es vom Vertrauen in die Demokratie nicht das Beste für Berlin, dass | |
| die Koalition bis 2026 durchhält? Bald nochmal Neuwahlen, nach Wahlpannen, | |
| Gerichtsurteil, Wahlkampf, Koalitionsgezerre? Das lässt einen doch | |
| schaudern. | |
| Graf: Ich traue Schwarz-Rot halt gar nicht zu, dass sie gut und verlässlich | |
| regieren können. Und miteinander scheint es dort auch nicht zu | |
| funktionieren. | |
| Sie meinen, Kai Wegners Koalition hält nicht bis 2026 durch? | |
| Jarasch: Das müssen Sie Schwarz-Rot fragen, wie sie es hinkriegen wollen, | |
| doch noch stabil zu regieren. Die haben in ihren Koalitionsvertrag | |
| wahnsinnig viele Versprechungen reingeschrieben und dafür nur drei Jahre | |
| Zeit. Das heißt, sie sind wirklich zum Erfolg verdammt, und dafür braucht | |
| es eine stabile Basis. | |
| „Wir sind zum Erfolg verdammt“, hat schon SPD-Fraktionschef Raed Saleh – … | |
| Dezember 2016 zum Start der rot-rot-grünen Koalition. | |
| Jarasch: Wir haben auch wirklich gut und stabil regiert, und unsere | |
| Koalition hatte immer eine Mehrheit. Für die jetzige Koalition galt das bei | |
| der Wahl des Regierenden Bürgermeisters offensichtlich nicht. | |
| 4 May 2023 | |
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