# taz.de -- Vor dem Spitzentreffen im Kanzleramt: Tag der Abrechnung | |
> Länder und Kommunen fordern mehr Geld für die Versorgung Geflüchteter. | |
> Der Bund rechnet im Gegenzug vor, was er schon alles zahlt. | |
Bild: Der Großteil der Geflüchteten in Deutschland kommt aktuell aus der Ukra… | |
BERLIN taz | Am kommenden Mittwoch kommt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) | |
mit den Regierungschef*innen der Bundesländer zusammen, um über die | |
Versorgung Geflüchteter zu sprechen. Oder genauer: zu streiten. Denn dass | |
dieser eigens einberufene Termin kein freundlicher wird, das ist klar. Zu | |
deutlich teilen beide Seiten seit Wochen gegeneinander aus – auch mit nicht | |
ganz lauteren Mitteln. | |
So gut wie jeden Tag formulieren [1][Länder und Kommunen neue Forderungen | |
nach mehr Geld und Unterstützung]. Der Bund lasse sie hängen, heißt es. | |
Dieser kontert nun mit einer minutiösen Auflistung, die zeigen soll: Der | |
Bund übernimmt ohnehin schon jede Menge Kosten, für die eigentlich Länder | |
und Kommunen zuständig wären. Das tut er allerdings nicht per | |
Pressemitteilung – sondern in einem inoffiziellen und vertraulichen Papier, | |
das auf wundersame Weise doch seinen Weg in Journalist*innenkreise | |
gefunden hat. | |
Die Aufnahme und Versorgung Geflüchteter ist Aufgabe der Länder und | |
Kommunen. Der Bund hat aber eine jährliche Unterstützung von 1,25 | |
Milliarden Euro zugesagt. Zusätzlich gibt es 1,5 Milliarden speziell für | |
Menschen aus der Ukraine. | |
Eigentlich aber, und diese Botschaft will die Bundesregierung in der Welt | |
wissen, zahle man sowieso schon viel mehr: allein für dieses Jahr seien es | |
15,6 Milliarden Euro. Fast ein Drittel davon machen Sozialleistungen für | |
Geflüchtete aus der Ukraine aus. Seit vergangenem Juni bekommen diese von | |
Anfang an Bürgergeld, dessen Kosten zum Großteil vom Bund getragen werden. | |
## Klare Worte in alle Richtungen | |
Gleichzeitig habe es eine deutliche Verschiebung der Einnahmen wie auch der | |
Haushaltssituation zwischen Bund und Ländern gegeben. Der Bund habe viele | |
Steuereinnahmen an die Länder abgegeben und bekomme selbst nur noch rund 45 | |
Prozent davon ab. Dabei habe er ein großes finanzielles Defizit, während | |
die Länder im Schnitt Überschüsse machten. | |
Darauf hatte Anfang April bereits Finanzminister Christian Lindner (FDP) | |
hingewiesen und festgestellt: „Insofern müsste eigentlich der Bund die | |
Länder um Unterstützung bitten und nicht umgekehrt.“ Eine Äußerung, die im | |
Gegenzug [2][Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré | |
(Grüne) als „frech“ bezeichnete]. | |
Die Länder kritisieren, mit dem aktuellen System gebe es weder genug Geld | |
noch genug Planungssicherheit bei der Versorgung und Unterbringung | |
Geflüchteter. Zahlreiche Kommunen kämen bereits an ihre Grenzen. Es gebe | |
auch nicht genügend Unterkünfte, Kita- oder Schulplätze. | |
Nicht leichter wird die Diskussion durch den Umstand, dass so manche | |
Akteure die tatsächlich angespannte Lage für parteipolitische Forderungen | |
nutzen. So drängen [3][Landes- und Bundespolitiker*innen der Union] | |
gerade lautstark auf mehr Abschiebungen, mehr Grenzschutz – innerdeutsch | |
wie auch an den EU-Außengrenzen – und auf eine Ausweitung der sicheren | |
Herkunftsländer auf die Länder des Maghreb sowie Georgien und Moldau. | |
Asylanträge aus solchen Ländern werden in der Regel automatisch als | |
unbegründet abgelehnt. | |
## Viele bekommen Schutz | |
Solche Maßnahmen würden wohl nur bedingt etwas an der angespannten Lage | |
ändern: Die Mehrzahl der Menschen, die derzeit in Deutschland Schutz | |
suchen, bekommt ihn auch. Mit etwas mehr als einer Million kommen die | |
meisten von ihnen aus der Ukraine, sie müssen in Deutschland nicht mal ein | |
Asylverfahren durchlaufen. Doch auch unter den anderen Geflüchteten sind | |
die Schutzquoten hoch – die Hauptherkunftsländer sind derzeit Syrien, | |
Afghanistan und die Türkei. | |
Doch der Verschärfungsdiskurs verfängt. Erst vor wenigen Tagen hat | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die [4][deutsche Unterstützung für | |
Asylverfahren an der EU-Außengrenze] und im Zweifel auch für Zäune an eben | |
diesen Grenzen erklärt. | |
Und während die Grünen eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten in den | |
vergangenen Jahren ein ums andere Mal im Bundesrat verhindert hatten, | |
zeigte sich Parteichef Omid Nouripour zuletzt kompromissbereiter: Bei den | |
Maghrebstaaten machten die Grünen nicht mit, so Nouripour. Aber: | |
„EU-Beitrittskandidaten, die weitgehende Reformen bei Rechtsstaatlichkeit | |
und Menschenrechten umsetzen“, müssten anders behandelt werden. | |
Eine Ausweitung des Konzepts auf Moldau und Georgien hatte zuletzt nicht | |
nur die Union ins Spiel gebracht, sondern auch SPD und FDP. Es könnte also | |
durchaus bald ein Vorschlag auf dem Tisch liegen, der sich nur auf diese | |
beiden Länder bezieht. Damit wäre es nach mehreren gescheiterten Versuchen | |
der Großen Koalition letztlich eine Regierung unter Beteiligung der Grünen, | |
die die Liste der sogenannten Sicheren Herkunftsländer erweitert. | |
5 May 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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