# taz.de -- Schau „Indigo Waves“ zu Afrika und Asien: Und so navigiert man … | |
> „Indigo Waves and Other Stories“ zeigt Verbindungen zwischen Afrika und | |
> Asien. Sie läuft im Gropius Bau und im Savvy Contemporary Berlin. | |
Bild: Adama Delphine Fawundu sucht die Gottheiten des Wassers in „Sopdet Illu… | |
Über den Atriumboden des Berliner Gropius Baus erstreckt sich eine dunkle | |
Fläche. Zahllose kleine Punkte blitzen auf, wenn man darüberläuft, der | |
Himmel spiegelt sich in ihnen. Man könnte die Rauminstallation „Rainbow | |
Serpent“ des australischen indigenen Künstlers Daniel Boyd glatt für einen | |
Teil der Gruppenausstellung „Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating | |
the Afrasian Sea and Notions of Diaspora“ halten, so gut passt sie zum | |
Thema. Die (Re-)Navigation entlang der Küsten des Indischen Ozeans beginnt | |
so schon vor den eigentlichen Türen der Schau. | |
Bahari Hindi, Ziwa Kuu, Swahili-Meer. Der Indische Ozean zwischen Afrika, | |
Asien und Australien hat viele Namen. Forscher und Dokumentarfilmer John | |
Njenga Karugia nennt ihn „Afrasisches Meer“, das sei kosmopolitischer. | |
In seinem ausgestellten Dokumentarfilm „Afrasian Memories from East Africa“ | |
erzählt er hier kaum bekannte Geschichten über Austausch und Verbindungen | |
zwischen Kenia, Oman und Indonesien. Von einem kenianischen Priester etwa, | |
der den Spuren seines Urgroßvaters folgt. Er war Ende des 19. Jahrhunderts | |
erst versklavt und dann von Missionaren in Mumbai zum Pfarrer ausgebildet | |
worden, bevor er zurück nach Mombasa kam. | |
Das Kuratorenteam Natasha Ginwala und [1][Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, | |
der seit März neuer Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt | |
ist], versammelt in dieser Ausstellung 39 Künstler:innen, von denen bislang | |
noch nicht viele in Deutschland zu sehen waren, und sie zeigen | |
zeitgenössische Kunst aus einem Kulturraum um jenes „Afrasische Meer“, der | |
in hiesigen Ausstellungen kaum thematisiert wird. | |
Dabei erstreckt sich die Schau auf zwei Standorte, die [2][großen, | |
abstrakten Malereien von Oscar Murillo] etwa sind auch an einem anderen | |
Teil der Stadt im Savvy Contemporary zu sehen, jenem Kunsthaus, das | |
Bonaventure Soh Bejeng Ndikung bis vor Kurzem leitete. | |
## Perspektiven auf Migration, Kultur und Natur | |
„Indigo Waves and Other Stories“ ist eine ästhetisch leise Schau. Geradezu | |
vorsichtig scheinen sich Ginwala und der neue HKW-Intendant nun im Gropius | |
Bau zu positionieren. Gibt das einen ersten Ausblick darauf, was Ndikung im | |
HKW vorhat? Die beiden möchten Perspektiven nahebringen, menschliche und | |
nichtmenschliche, auf Migration, Kultur und Natur. | |
Um eine Dezentrierung des Blicks geht es ihnen, wie ihn auch die oft | |
zitierte dekoloniale Denkerin Françoise Vergés theoretisiert hat, bisweilen | |
weg vom geografischen Fokus auf den transatlantischen Raum im post- und | |
dekolonialen Diskurs, hin zu anderen ozeanischen Verbindungen in unserer | |
Geschichte. Und dieses Dezentrieren, man spürt es auch räumlich in der | |
Ausstellung, die Kunst fädelt sich sehr sachte durch die Gänge. | |
Im Senegal gesammelt, mit Kupfer überzogen und sorgsam auf einem weißen | |
Podest im Gropius Bau angeordnet, liegen da zum Beispiel hunderte von | |
Sepiaschalen, zerbrechlich und hülsenhaft. In der Arbeit der in Berlin | |
lebenden Künstlerin Jeewi Lee sind die feinen Knochengewebe Träger | |
ozeanischer Erinnerung, Speicher des Meereslebens. | |
## Gase und Erden sprechen | |
Das Motiv des Wassers und der Wasserwege kommt immer wieder vor. Adama | |
Delphine Fawundu beschwört in einer großen Sound- und Videoinstallation die | |
Gottheiten der Gewässer. Clara Jo untersucht derweil in einer teils | |
dokumentarischen, teils animierten Filmarbeit die Bedeutung von Ankunft und | |
Erstkontakt auf der mauritischen Quarantäneinsel Flat Island aus der | |
Vogelperspektive. Bild-Ton-Scheren verfremden das Gezeigte, ist man Vogel, | |
ist man Mensch? In Köken Erguns poppigem Animationsfilm „China, Beijing, I | |
Love You!“ über die maritime Seidenstraße im Indischen Ozean fangen auch | |
die Gase und Erden an zu sprechen. | |
Als internationales Ausstellungsprojekt mit Partnern in Südafrika, Pakistan | |
und Australien wurde „Indigo Waves and Other Stories“ entwickelt, 2022 war | |
es bereits im Seitz MOCCA in Kapstadt zu sehen. Der einzige europäische | |
Ausstellungsstandort Berlin steht dabei zugleich für die europäische | |
Kolonialgeschichte in der Region. Von 1885 bis 1918 waren die Länder | |
Tansania, Burundi und Ruanda die Kolonie Deutsch-Ostafrika. | |
Bis heute bestehende Abhängigkeiten zu Europa skizziert der aus dem | |
französischen Departement La Réunion kommende Jack Beng-Thi in seinen | |
aufwendig gefertigten Buchskulpturen. Sie erzählen vom kulturellen | |
Austausch der Insulaner untereinander und entwerfen eine alternative | |
Kartografie zu der militärischen oder wirtschaftlichen. | |
Die Bezüge bleiben in dieser Schau etwas lose. Und wie stehen die beiden | |
Standorte zueinander? Geht es um die lediglich feinen Linien, wie die | |
Gedichtsbanner, die sich durch die musealen Säle des Gropius Baus bis zu | |
den rohen Betonräumen des Savvy Contemporary weben? „The way return is both | |
homecoming and distant island“, heißt es auf einem der Banner von Tishani | |
Doshi. Und so navigiert man weiter. | |
3 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Amelie Sittenauer | |
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