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# taz.de -- Ausstellung von Rajkamal Kahlon in Wien: Sekretärin kraxelt die Pa…
> Malerin Rajkamal Kahlon übt in der Kunsthalle Wien dekoloniale Bildkritik
> und holt uns schmunzelnd in eine surreale, auch postmigrantische
> Bildwelt.
Bild: Ausstellungsansicht (Detail): Rajkamal Kahlon. Which Side Are You On?, Ku…
Am 5. Februar 1872 setzt der Brite Lord Mayo, damals Generalgouverneur von
Indien, Kurs auf die Andamanen. Miserable Lebensumstände und Aufstände auf
der Inselkette im Golf von Bengalen, die eine Strafkolonie für Verurteilte
des indischen Subkontinents war, brachten die britische Regierung in
Bedrängnis. Drei Tage später wird er am Hafen der Südinsel ermordet. Ein
Bild in „Castell’s Illustrated History of India“ von 1875 illustriert das
Attentat: Im Hintergrund die königliche Fregatte, im Vordergrund Lord Mayo,
als er von seinem mit Muskeln bepackten und einem Turban bekleideten
Angreifer niedergestochen wird.
Malerin Rajkamal Kahlon greift in der [1][Kunsthalle Wien] ein in diese
Illustration britischer Kolonialgeschichte, mit irritierendem Leichtmut.
Sie legt das Bild hinter einen rosa Vorhang, lässt Bluttropfen wie Bonbons
vom Himmel fallen, legt die Gewaltszene vor einen zuckerwattig-süßen,
pinkfarbenen Grund. Kahlon malt direkt auf die schwarzweißen Buchseiten,
die sie aus einer bei Sotheby’s ersteigerten Ausgabe von „Castell’s
Illustrated History of India“ herausgelöst hat. Ein unbequemer Kontrast
entsteht zwischen der Farbenfreude und dem düsteren Motiv.
Historische Zeugnisse europäischer Kolonialherrschaft bilden buchstäblich
den Hintergrund für Rajkamal Kahlons Malerei. In ihrer Einzelausstellung in
der Kunsthalle Wien zeigt die in Berlin lebende Künstlerin, Jahrgang 1974,
Arbeiten der letzten 20 Jahre. Kahlon beginnt dafür meist in Antiquariaten
und Archiven, wo sie Bücher wie „Die Völker dieser Erde“ von 1902 ausfind…
macht. Diese nimmt sie mit einer feinen, äußerst präzisen Malkunst
auseinander – ohne Scheu vor einem juvenilen Humor.
Erigierte Glieder mokieren sich über die Porträts von Offizieren und
Entdeckern. Schwerter ragen über den Bildrand hinaus. Menschen, die
ursprünglich als ethnografische Studienobjekte entblößt dargestellt wurden,
kleidet Kahlon wieder an, in elegante Stoffe und in edlen Schmuck, aber
auch in Tops mit flashy Mustern oder ein Shirt der Thrash-Metal-Band
Slayer. Einen geflochtenen Haarzopf frisiert Kahlon zum Emo-Schnitt, die
Abbildung einer indigenen Frau wirkt plötzlich wie der Schnappschuss von
einem gelangweilten Teenager.
## Traumähnliche, irritierende Welt
Kahlons subversive Eingriffe kehren nicht nur die Machtverhältnisse im Bild
um, sie halten ihnen auch eine traumähnliche, irritierende Welt entgegen –
und holen uns zugleich mit einem veristischen Schmunzeln in eine
postmigrantische Gegenwart. Das ist erfrischend in einer Ausstellung, die
sich mit dem europäischen Kolonialismus auseinandersetzt. Kahlon beschränkt
sich nicht auf die Anklage. Sie, geboren in Kalifornien als Tochter
indischer Einwander*innen, überblendet die schwierigen Bildzeugnisse der
Geschichte mit einer ästhetischen Form des Widerstands, mit einem Wir.
„Which Side Are You On?“ ist daher der Titel der Ausstellung. Florence
Reece hatte 1931 den gleichnamigen Protestong für die US-amerikanische
Arbeiter*innenbewegung geschrieben. Kahlon stellte für die Wiener
Schau eine Playlist zusammen, die Reeces Song und [2][andere Protestlieder]
mit indischer Gebetsmusik verbindet.
An den hohen Wänden der Kunsthalle Wien drohen Rajkamal Kahlons Malereien
im zumeist kleinen Format der Buchseiten unterzugehen. Daher bevölkern
lebensgroße Figuren auf bemaltem Holz die Räume. Die Cut-outs sind Kahlons
Neuinterpretation populärer Motive aus der europäischen Malerei, ebenso wie
die kolonialer Fotografien. Da kraxelt nun eine Sekretärin in rotem
Kostümchen mit Absatzschuhen die Wand hoch, die originale Abbildung hatte
einmal „die einheimische Art des Kletterns auf Kakaopalmen in Ceylon“
illustriert.
Der Titel „Which Side Are You On?“ könnte derzeit übrigens nicht passender
sein für ein Projekt in der Kunsthalle unter der Leitung von What, How &
For Whom / WHW. Ihr Vertrag soll nach 2024 nicht verlängert werden. In Wien
wird seither von allen Seiten über das Für und Wider dieser
kulturpolitischen Entscheidung diskutiert.
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version entstand
fälschlicherweise der Eindruck, die Künstlerische Leitung von What, How &
For Whom / WHW für die Kunsthalle Wien würde bereits nach der hier
besprochenen Ausstellung enden.
1 Feb 2023
## LINKS
[1] /Ydessa-Hendeles-in-der-Kunsthalle-Wien/!5490590
[2] /Bob-Mould-ueber-Protestsongs/!5718480
## AUTOREN
Leonie Huber
## TAGS
Bildende Kunst
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