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# taz.de -- Kunstkollektiv aus Haiti in Karlsruhe: Zwischen Lebenden und Toten
> Im Badischen Kunstverein überwindet The Living and the Dead aus Haiti
> Grenzen der bildenden Kunst und schafft Perspektiven auf sein gebeuteltes
> Land.
Bild: Um den Film „Ouverture“ spannen sich verschiedene Formen des Erzähle…
„Ich sah Seelen zerfallen“, sagt eine junge Frau und blickt herab auf eines
der Armenviertel der Hauptstadt Port-au-Prince in Haiti. Sie ist Mitglied
der Theatergruppe The Living and the Dead Ensemble. Die Szene ist Teil der
Video-Installation „The Wake“, die neben anderen Produktionen des
Kollektivs im Badischen Kunstverein Karlsruhe zu sehen ist. Die
ungewöhnliche Ausstellung „Lanjelis“ erzählt vom Aufbegehren gegen Armut,
Korruption und koloniale Strukturen. Sie speist sich aus diversen Quellen
und bedient sich der Mittel von Sprache, der Poesie und des Theaters.
Dieser Ansatz, der auch politische und traditionelle Praktiken einbindet,
entstand im ärmsten Land in der Region Karibik, Nord- und Südamerika. Haiti
litt seit seiner Revolution, die [1][früh zur Unabhängigkeit führte,]
bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter den von Frankreich
aufgezwungenen horrenden Reparationen für die Plantagenbesitzer der
ehemaligen Kolonie. Das Land konnte sich nie stabilisieren.
Naturkatastrophen, wie auch Korruption, Drogenhandel und ein Braindrain von
gut ausgebildeten Menschen taten ihr Übriges.
Die Gruppe startete 2017 mit dem Plan, das Theaterstück „Monsieur
Toussaint“ des auf Martinique geborenen Schriftstellers und [2][Philosophen
Edouard Glissant] aus dem Französischen ins haitianische Kreol zu
übersetzen. In Kooperation mit dem Pariser Autor und Kurator Olivier
Marboeuf und dem britischen Filmemacher Louis Henderson entstand der
vielbeachtete Film „Ouvertures“, der 2020 bei der Berlinale uraufgeführt
wurde.
Film, Theater? Wozu braucht es da noch eine Ausstellung? Das Ensemble The
Living and the Dead erforscht unterschiedliche Darstellungsformen des
Erzählens – Theater und Film sind nur zwei von vielen. Selbst der mehr als
zweistündige Film, der sich um den haitianischen Unabhängigkeitshelden
Toussaint Louverture dreht, bewegt sich unmerklich zwischen Raum und Zeit,
findet immer neue Bilder, Variationen über das Thema.
In den Filmen „Ouvertures“ und „These lowest depth, these deeps“ steht …
Blau des Meeres für den Geist Toussaints, für Transformation, Migration und
die Grauzone zwischen den Lebenden und den Toten. In der Ausstellung
hingegen wecken die indigoblau gestrichenen Wände Assoziationen an den
Kolonialismus. Indigo gehörte neben Zuckerrohr, Kaffee, Kakao und Baumwolle
zu den Anbauprodukten der Kolonisten. Dies erzählt eine in weißer Kreide
auf indigoblauem Grund angefertigte Wandzeichnung zur verwobenen Geschichte
Haitis mit Europa.
Die Ausstellung macht erstmals die prozesshafte Arbeit des Ensembles The
Living and the Dead deutlich. Die Kunst liegt in der Vielfalt des
Erzählens. Dieses Motiv wiederholte sich auch in der etwa einstündigen
Theaterproduktion „The Wake“, eine berührende Mischung aus nächtlicher
Protestaktion, persönlichen Bekenntnissen und gemeinsamer
Selbstvergewisserung im Schutz der Nacht.
Ähnlich der Debatten um die documenta fifteen werden kollektiv entstandene,
postkoloniale Kunstwerke einem „bürgerlichen Kunstbegriff“
gegenübergestellt, der auf universelle Gültigkeit von Werken Einzelner
hinzielen würde. Beim Ensemble The Living and the Dead ist diese Dichotomie
zumindest löcherig geworden. Die Durchlässigkeit ihrer Erzählungen, ihr
poetisches Spiel mit materiellen Anmutungen und zahllose Querverbindungen
auf sprachlicher Ebene schaffen zeitgemäße Universalität.
28 Aug 2022
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## AUTOREN
Carmela Thiele
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Bildende Kunst
Performance
Film
Ausstellung
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Schwerpunkt Rassismus
Antisemitismus
Haiti
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