| # taz.de -- Autorin über digitale Bildkultur: „Plötzlich bist du eine Katze… | |
| > Fotofilter spiegeln unsere Gesellschaft, sagt Autorin Berit Glanz. Ein | |
| > Gespräch über medienkritische Wachsamkeit und das Spielerische an Bildern | |
| > von uns im Web. | |
| Bild: Welches Bild dieser junge Mensch wohl gerade von sich auf dem Handybildsc… | |
| taz: Frau Glanz, unlängst sorgte der Tiktok-Filter „Bold Glamour“ für | |
| Aufregung im Netz. Er lässt unsere Haut unter anderem ebenmäßiger | |
| erscheinen und macht einen so vermeintlich schöner. Was passiert da mit | |
| unseren Sehgewohnheiten? | |
| Berit Glanz: Eine verbreitete These ist: so ein Filter sorge dafür, dass | |
| wir uns im realen Raum alle hässlich fühlen, weil wir uns virtuell schöner | |
| begegnen. Ich würde eher sagen, solche Filter bringen uns bei, zu | |
| verstehen, dass im virtuellen Raum alles gefiltert ist – also genau durch | |
| diesen massiven Kontrast. | |
| Also glauben Sie nicht, dass Filter wie diese eine negative Auswirkung auf | |
| unser Selbstbild haben? | |
| Ich weiß schon, eine gängige Annahme ist, Filter wie der „Bold Glamour“ | |
| sorgten dafür, dass man sich nach Benutzung selbst nicht mehr mag und dann | |
| mit Botoxspritzen oder Schönheitsoperationen nachhelfen will. Ich würde | |
| nicht sagen, dass das zwingend so ist. Gerade bei Tiktok geschieht der | |
| Einsatz von Filtern eher spielerisch. Besonders junge Menschen haben ja | |
| eine ganz andere Medienkompetenz, sie sind schließlich mit dem Internet | |
| groß geworden. | |
| Wie ich auch bei mir selbst feststellen konnte, funktionieren Filter wie | |
| der „Bold Glamour“ nicht bei allen Menschen gleich gut. Während manche | |
| schön werden, sehen andere seltsam aus. Woran liegt das? | |
| Der Filter sorgt bei allen Gesichtern für größere Augen, vollere Lippen und | |
| glattere Haut. Außerdem modifiziert er Kinn- und Wangenpartie. Das | |
| funktioniert nicht bei allen Gesichtern gleich gut, weil nicht alle | |
| Gesichter mit aufgeplusterten Lippen oder einer definierten Kinnpartie | |
| besser aussehen. Menschen sind halt sehr verschieden und dementsprechend | |
| wirken auch die Verfahren dieser Filter nicht immer gleich. | |
| In Ihrem Essayband zeigen Sie auf, dass Filter „sexistische und | |
| rassistische Stereotypen“ reproduzieren. Können Sie das erläutern? | |
| Die Ideale, an denen sich Filter orientieren, basieren auf | |
| gesellschaftlichen Vorstellungen von Schönheit und diese sind oftmals | |
| sexistisch und auch rassistisch. Viele Beauty-Filter hellen beispielsweise | |
| die Haut auf, weil das der weitverbreiteten westlichen Schönheitsnorm | |
| entspricht. Das ist natürlich extrem rassistisch. Das ist aber ein | |
| gesellschaftliches Problem, das sich eben auch in technologischen | |
| Entwicklungen zeigt. | |
| Sie meinen also, man müsse bereits vor der technologischen Entwicklung | |
| ansetzen? | |
| Klar. Filter sind Spiegel unserer Gesellschaft. Und als solche zeigen sie | |
| auch, was schiefläuft. | |
| Während der Pandemie hat die Anzahl derer zugenommen, die an Essstörungen | |
| erkrankt sind. Besonders weiblich gelesene Kinder und Jugendliche sind | |
| betroffen und es wird von einem Zusammenhang zur vermehrten Nutzung | |
| sozialer Medien ausgegangen. Wie erklären Sie sich das? | |
| Unsere Sehgewohnheiten mussten sich in den letzten Jahren schnell umstellen | |
| und anpassen. Gerade in den ganzen Videokonferenzen ist man neben anderen | |
| ständig auch sich selbst begegnet. Vorher war es eher selten, dass man sich | |
| beim Sprechen selbst beobachten konnte. Jetzt wissen wir, wie wir aus | |
| unterschiedlichen Winkeln aussehen; nicht immer toll. So etwas hat | |
| natürlich seine Auswirkungen. Auch hier gibt es genug Studien, die zeigen, | |
| dass vor allem weiblich gelesene junge Menschen sich nach der Nutzung von | |
| Instagram nicht unbedingt besser fühlen. | |
| Das ist aber nicht nur die Filtertechnologie, die das macht, sondern auch | |
| der Inhalt der Bilder. Hier ist der soziale Graph ganz entscheidend: Mit | |
| wem vergleiche ich mich wie? Und da kommt wieder die Medienkompetenz ins | |
| Spiel. Diese technologischen Entwicklungen gehen ja nicht wieder weg. Was | |
| wir also lernen müssen, ist ein Umgang mit ihnen und dass wir diesen auch | |
| an unsere Kinder vermitteln. | |
| Nun sind Eltern je nach Generation oft auch nicht geschult im Umgang mit | |
| (sozialen) Medien. | |
| Ja, das ist ein Problem. Eigentlich muss man gemeinsam mit Kindern oder | |
| Jugendlichen in die sozialen Medien reingehen. Oder selbst so viel Zeit | |
| dort verbringen, dass man versteht, was für Themen und Debatten da gerade | |
| wichtig sind. Wer beispielsweise jetzt einen Sohn im Teenageralter hat und | |
| nicht weiß, wer Andrew Tate ist, der hat ein Problem. Weil man den | |
| Einstiegsmoment in diese [1][antifeministische Radikalisierung] nicht | |
| greift. | |
| Sie plädieren dafür, dass Eltern gemeinsam mit ihren Kindern Plattformen | |
| wie Tiktok erkunden und sie spielerisch nutzen. Sind Filter etwa das neue | |
| Verkleiden? | |
| Das könnte man so sagen. Filter können ja superwitzig sein: [2][Plötzlich | |
| bist du eine Katze] oder befindest dich auf einer Bühne; das finden Kinder | |
| (und nicht nur die) toll. Ich glaube, da hat man schon erst mal einen guten | |
| Einstieg, wenn man das gemeinsam macht. Aber klar, das muss begleitet | |
| werden und das passiert aktuell nicht kompetent genug, weder von | |
| Bildungsinstitutionen noch von vielen Eltern. Das liegt auch daran, dass | |
| sich dieses Feld so wahnsinnig schnell entwickelt. Und die Zeit | |
| aufzubringen zu sagen: Jetzt lerne ich Tiktok oder etwas über | |
| Incel-Radikalisierung, das ist einfach viel Arbeit! | |
| Leider sind es vor allem weiblich gelesene Menschen, denen der Spaß an | |
| Social-Media-Plattformen oft genommen wird. Ein Beispiel, das Sie in Ihrem | |
| Buch anführen und das das gut illustriert, ist der Snapchat-Hundefilter. | |
| Wollen Sie das kurz ausführen? | |
| Der Hundefilter ist ein extremes Beispiel dafür, wie Teile der Gesellschaft | |
| anderen Dinge, die sie schön finden, nehmen und kaputt machen. Das ist | |
| eigentlich ein harmloser AR-Filter, der einem Hundeohren und -nase | |
| aufsetzt. Der wurde eine Zeit lang gern von jungen Frauen genutzt, der | |
| Filter wurde dann als „Hoe Filter“ sexualisiert und diskreditiert. Aber das | |
| hängt mit den sexistischen Mechanismen zusammen, die offline wie online | |
| tief verankert sind. Schön hier war, dass es in Reaktion darauf ein Trend | |
| wurde, die Bezeichnung „Hoe“ in Verbindung mit dem Filter aufzugreifen und | |
| sich subversiv anzueignen. | |
| AR steht für Augmented Reality, Filter wie der „Bold Glamour“ benutzen aber | |
| AI, also Artificial Intelligence. Könnten Sie den Unterschied erklären? | |
| Bei AR ist das Bild von der Realität ein statisches, und da drauf wird was | |
| gelegt. Der Computer erkennt dein Gesicht, weiß, wo Augen und Nase sind und | |
| legt auf Letztere etwa eine Hundenase drauf. Da entstehen zwei Bilder | |
| übereinander. Bei AI gibt es nur ein Bild und das wird live berechnet. Es | |
| wird also nichts auf die Realität raufprojiziert. Der Unterschied ist, dass | |
| ich mich jetzt auch mit dem Filter bewegen oder reden kann und er passt | |
| sich an, weil er immer live weiterrechnet. AI-Filter sind nicht komplett | |
| neu und waren auch schon Teil einiger AR-Filter, aber sie werden immer | |
| überzeugender, weil die Rechenleistung immer besser wird. Das wird sicher | |
| noch spannend. | |
| Sind Filter Kunst? | |
| Ja, würde ich schon sagen. Die Leute programmieren Filter erst mal als | |
| digitale Kunst. Die Übergänge hier sind, wie auch sonst in der Kunst | |
| fließend. Da kommen Modelabels, die die Filter nutzen wollen, und das geht | |
| sofort in Werbung über. Das läuft alles ineinander, weil Filter natürlich | |
| unglaublich gute Markenvehikel sind. Tolle Filter werden von wahnsinnig | |
| vielen verwendet. Das ist natürlich eine Sichtbarkeit für eine Marke, die | |
| kann man kaum anders erreichen. Leute, die diese ästhetischen Filter | |
| produzieren, sind sofort nachgefragt. Das ist eine Fähigkeit, für die gut | |
| bezahlt wird, das ist ja nicht in allen Bereichen der Kunst so. | |
| Mal sehen, wie lange das so bleibt, wenn [3][Open AIs wie ChatGPT] das | |
| alles irgendwann besser können als Menschen. Zu unterscheiden, was real ist | |
| und was inszeniert, wird wohl immer schwieriger. Oder? | |
| Ich glaube, es wird immer ein Katz-und-Maus-Spiel sein zwischen technischer | |
| Entwicklung und der menschlichen Reaktion darauf. Was sich ändern muss, ist | |
| eben tatsächlich die Medienkompetenz und die Rezeption von Bildern und | |
| Bewegtbildern. Und nicht nur da: Auch die Stimmfilter, die gerade alle auf | |
| den Markt kommen, werden noch eine große Rolle spielen. | |
| 11 Apr 2023 | |
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| Sophia Zessnik | |
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