# taz.de -- Minimalismus in der digitalen Kunst: Der Zufall spielt mit | |
> Ein schönes Spektakel im Dialog mit der Kunstgeschichte: Das Folkwang in | |
> Essen stellt den NFT-Künstler Rafaël Rozendaal in einer Soloschau aus. | |
Bild: Eine überraschend intime Installation, „81 Horizons“ von Rafaël Roz… | |
Das Smartphone streikt: Mit oder ohne Blitz erkennt die Kamera im zentralen | |
Raum der Ausstellung „Rafaël Rozendaal. Color, Code, Communication“ nur | |
milchig-weiße Screens in nachtschwarzer Dunkelheit. Wie kann es sein, dass | |
das Auge 17 Farben in 81 verschiedenen Kombinationen in der immer gleichen | |
Anordnung eines schmalen Streifens unten und eines breiteren oben sieht, | |
die Kamera auf den Monitoren, die in dem großen Raum auf Stelen zu schweben | |
scheinen, aber kaum etwas erkennt? | |
Die imposante und doch überraschend intime Installation „81 Horizons“ ist | |
das Herz der ersten monografischen Ausstellung des | |
niederländisch-brasilianischen Künstlers Rafaël Rozendaal in einem | |
europäischen Museum. Die Variationen der monochromen Farbstreifen erinnern | |
an den kunstgeschichtlichen Topos des Horizonts, an | |
altmeisterlich-niederländische Landschaftsmalerei, aber auch an monochrome | |
Farbfeld-Bilder der Moderne. Eine stille und bemerkenswerte unaufgeregte | |
Installation. | |
Er habe gar kein Atelier oder Büro, gibt Rozendaal zu, denn er operiere ja | |
nur mit minimalen Daten. Man stelle sich das vor: Die Datenmenge der | |
gesamten Ausstellung summiert sich insgesamt auf gerade einmal 400 KB! Und | |
es gab für die Schau keinerlei Transporte, in Sachen Nachhaltigkeit ist sie | |
also kaum zu toppen. | |
Der in New York lebende Rozendaal gilt als Pionier der digitalen Kunst, | |
bereits Anfang der 2000er Jahre experimentierte er mit Unikaten in der Form | |
von Webseiten. Seit drei Jahren setzt er auch auf NFTs, „Non Fungible | |
Token“, die digitale Kunst in einer Blockchain als Unikat verifizieren. | |
Vor zwei Jahren erlebte der NFT-Hype seinen Höhepunkt, als der [1][Künstler | |
Beeple bei Christie’s über 69 Millionen Dollar] für eine einzige Datei | |
kassierte, ein Rekordpreis für digitale Kunst für eine Collage aus 5.000 | |
winzigen Bildchen. Inzwischen ist die Welle dramatisch abgeflacht, viel | |
Geld wurde verbrannt, manche sprechen schon vom Ende des Booms, aber NFT | |
und Blockchain bleiben Reizworte des Kunstbetriebs, aufgeladen mit | |
polarisierenden Ressentiments. | |
## Auf Differenzierung kommt es an | |
Peter Gorschlüter, Direktor des [2][Folkwang Museums], greift beim | |
Pressegespräch die kontroverse Diskussion auf, um sie entschieden zu erden. | |
Für alle Vorurteile gegenüber NFTs vom Kitsch über Betrügerei bis zur | |
Klimaschädlichkeit gelte die Formel: „Ja, auch!“ Erst einmal aber sei die | |
Technologie schlicht eine Möglichkeit, ein digitales Original zu | |
adressieren. Natürlich sei längst nicht alles Kunst, was da produziert | |
würde. | |
Gorschlüter hat nicht nur mit Rozendaal einen wichtigen Protagonisten der | |
digitalen Kunst eingeladen, er veranstaltet auch einen mehrtägigen | |
Kongress, man will wissenschaftliche Lücken schließen, heißt es. | |
Tatsächlich gilt es, zu differenzieren. Während nicht weit weg im | |
[3][Düsseldorfer Kunstpalast] der ebenfalls schwer angesagte Refik Anadol | |
digitale Kunst präsentiert, die mit gigantischen Datenmengen protzt und | |
ihre an- und abschwellenden Farbkonvulsionen mit psychedelisch-wabernder | |
Chillout-Musik tapeziert, herrscht in Essen Minimalismus, gewürzt mit | |
Selbstironie. | |
An den Außenwänden des zentralen Raums prangen Haikus auf pastellfarbenen | |
Farbflächen, die die fluide Lebenssituation des Künstlers lakonisch | |
reflektieren, wie „Never working – never not working“. In der „Filmbox�… | |
Rozendaal seinen NFT-Generator „Polychrome Music“ installiert, bei dem | |
drei Tonspuren nach dem Zufallsprinzip mit Farbanimationen auf einem | |
wandfüllenden Screen korrespondieren. Die Musik folgt hier nicht dem Bild, | |
sondern entsteht gleichzeitig, es klingt ein bisschen wie Kraftwerk | |
reloaded. | |
## Homage an Josef Albers | |
„Ich habe digitale Kunst immer als Rohmaterial gesehen, als etwas | |
Flexibles, das in vielen Formen erlebt werden kann“, sagt Rozendaal. Fast | |
alle seine Arbeiten beschäftigten sich mit dem Phänomen Farbe. Wie etwa die | |
„Homage“-Serie, bei der auf einer quadratischen LED-Wand täglich ein neues | |
NFT in direkten Dialog mit einer der ikonischen [4][Farbfeld-Malereien von | |
Josef Albers] tritt. | |
Rozendaals Bezug zur Kunstgeschichte gilt auch für seine Arbeitsweise, denn | |
er geht ganz analog vor, mit Skizzen auf Papier. Wie die alten Meister | |
lässt er sich inspirieren von Landschaften, Reisen und Museumsbesuchen. „Am | |
Anfang ist ein schwarzer Stift“, sagt er. Die Grundfrage, die ihn umtreibt, | |
lautet: Wie lassen sich die digitalen Künste wieder zurück in den Raum | |
verwandeln? Es gehe ihm um ein Bewusstsein für Texturen, sagt Roozendaal, | |
das Internet sei der Wasserfall, „aber das Museum ist das Aquarium“. | |
So lässt die erhellende Ausstellung neu nachdenken über die Möglichkeiten | |
und Grenzen digitaler Kunst und auch über die Fragen nach Autorschaft und | |
der Aura des „Originals“. | |
24 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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