# taz.de -- 100 Jahre Museum Folkwang in Essen: Vordenker der kulturellen Teilh… | |
> Das Museum Folkwang in Essen feiert sein 100-jähriges Bestehen mit | |
> impressionistischer Kunst. Es zeigt zwei verblüffend aktuelle | |
> Sammlungskonzepte. | |
Bild: Impressionisten: Links Renoirs „Lisa mit dem Sonnenschirm“, rechts �… | |
Morgens um zehn Uhr brummt es im Foyer des Museums Folkwang: Einzelbesucher | |
und Gruppen passieren die obligatorische 2G-Kontrolle, warten auf Führungen | |
oder den Einlass gemäß dem gebuchten Zeitfenster, jede halbe Stunde sind | |
maximal 120 BesucherInnen erlaubt, pro Tag strömen bis zu 2.000 Menschen | |
ins Museum. Die Ausstellung „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer | |
fließenden Zeit“ ist ein voller Erfolg, was keine Überraschung ist, denn | |
Impressionisten ziehen immer. | |
Dabei dürfte ein Teil der präsentierten Werke dem Publikum bereits bekannt | |
sein, sie sind Teil der berühmten Sammlung des Museums Folkwang, die in der | |
Dauerausstellung seit 2015 bei freiem Eintritt zu sehen ist. Was in England | |
selbstverständlich ist, nämlich die [1][Museen ohne finanzielle Barriere | |
jedem zugänglich zu machen, ist hierzulande leider immer noch die | |
Ausnahme]. Nicht zufällig aber ist das Essener Museum diesbezüglich | |
Vorreiter, denn der Gedanke, Kunst einem breiten Publikum zu öffnen, war | |
die Initialzündung seines Gründers Karl Ernst Osthaus. | |
Osthaus verfolgte eine aus heutiger Sicht höchst aktuelle Agenda: Entliehen | |
dem Begriff „Fólkvangar“ aus der altnordischen Mythologie, verstand er sein | |
zunächst in Hagen eröffnetes Museum als eine Halle für das Volk. Kernidee | |
des Folkwang-Gedankens war das, was heute als kulturelle Teilhabe | |
bezeichnet wird, sowie die Öffnung des hergebrachten Museumskonzepts, das | |
neben zeitgenössischer Kunst auch kunstgewerbliche Objekte zeigt. | |
Peter Gorschlüter, der heutige Direktor des Museums Folkwang, sagt dazu: | |
„Das Konzept war sehr vorausschauend. Osthaus war zwar nah an den | |
Avantgarden der Zeit, aber eben nicht elitär. Er glaubte fest an die | |
gesellschaftsverändernde Kraft der Kunst und sagte: ‚Ohne die Mitwirkung | |
der Kunst sind die wichtigsten Fragen des sozialen Lebens unlösbar.‘ Kern | |
seines Konzeptes waren drei Aspekte: der Dialog der Künste, Kulturen und | |
Epochen, das Museum als Ort des Austauschs und der Begegnung, und über | |
allem steht die Einheit von Kunst und Leben. Diesen Gedanken fühlen wir uns | |
heute noch verpflichtet, wir verstehen gerade die kulturelle Teilhabe als | |
unsere Kernaufgabe.“ | |
Als Karl Ernst Osthaus seine Sammlung aufbaute und Impressionisten | |
sammelte, waren französische Kunst generell und gerade die Impressionisten | |
in Deutschland verpönt. | |
Ganz allein war Osthaus mit seiner Weitsicht jedoch nicht, denn – und das | |
ist die Überraschung dieser Ausstellung – im fernen Japan gab es einen | |
Bruder im Geiste: den ebenfalls schwerreichen Unternehmer Kojiro Matsukata, | |
der seinerseits eine bedeutende Impressionisten-Sammlung aufbaute und | |
ähnlich fortschrittliche Ideen wie Osthaus verfolgte. Die Berührungspunkte | |
beider Sammlungen werden in Essen nun auf erhellende Weise | |
gegenübergestellt. | |
## Sammler in Form von Porträts zugegen | |
Die Sammler selbst, die sich im wirklichen Leben wohl nie begegnet sind, | |
stehen sich in der Schau gleich zum Auftakt in Form von Porträts gegenüber: | |
Ida Gerhardi porträtierte den Erben und Bankierssohn Karl Ernst Osthaus | |
1913 mit vergeistigtem Blick in seinem Arbeitszimmer, umgeben von Büchern, | |
während der walisische Künstler Frank Brangwyn den Schiffbauunternehmer | |
Matsukata sechs Jahrs später in der legeren Pose eines genießerischen | |
Lebemanns zeigt. | |
Ungeachtet dieser unterschiedlichen Attitüden entdeckt die Ausstellung | |
erstaunliche Parallelen der Sammler, die sich weit über das Geschmackliche | |
hinaus in grundsätzlichen Ansichten manifestieren: Matsukata hatte vor, | |
eine enzyklopädische Sammlung nach dem Vorbild des Victoria and Albert | |
Museum in London aufzubauen, in dem nicht nur Kunst, sondern auch | |
internationale angewandte Kunst und Kunstgewerbe zu sehen sein sollten. | |
Durch finanzielle Schwierigkeiten und nachdem ein Brand einen Teil seiner | |
Sammlung vernichtet hatte sowie aus steuerlichen Gründen (Japan erhob auf | |
Kunst eine Luxussteuer), weswegen Teile der Sammlung in Paris im Musée | |
Rodin zwischengelagert wurden, konnte dieser Traum erst 1959 Realität | |
werden. | |
Matsukata bewies als Unternehmer gesellschaftliche Verantwortung, indem er | |
in Japan den Achtstundentag einführte und unabhängigen Journalismus | |
unterstützte. Sein Ziel als Sammler war, die westliche Kunst der | |
japanischen Bevölkerung zugänglich zu machen, denn die Kunst sei „Ausdruck | |
der Seele eines Volkes“. | |
## Bilder mit bewegter Geschichte | |
Eines der herausragenden Exponate der Schau ist Paul Signacs in leuchtenden | |
Orange-Rosa-Tönen vibrierendes Bild „Der Hafen von Saint-Tropez“. Die | |
bewegte Geschichte des 1901/02 entstandenen Ölbilds bringt die Dramaturgie | |
der opulent bestückten Ausstellung gewissermaßen auf den Punkt: Signacs | |
postimpressionistisches Bild war tatsächlich zunächst Bestandteil der | |
Osthaus-Sammlung, die sich in Hagen im von [2][Henry van de Velde] | |
ausgestatteten Neorenaissancebau befand (heute Osthaus Museum Hagen) und | |
dann ab 1922 im neu erbauten Museum Folkwang in Essen. | |
Über Umwege in den 1970er Jahren gelangte das Bild nach Tokio und ist dort | |
heute Teil der Sammlung des Museum of Western Art. Dass dieses und weitere | |
Werke aus Tokio ins Ruhrgebiet geholt werden konnten verdankt sich auch der | |
Tatsache, dass das Museum of Western Art derzeit umfangreich saniert wird | |
und die Bilder somit zur Verfügung standen. | |
Kunstsammlungen sind dynamische Gebilde. Sie sind Kinder ihrer Zeit, | |
Ausdruck persönlicher Leidenschaften und werden nicht selten auch zum | |
Politikum. Auch die Sammlungen des Folkwang-Gründers und die von Kojiro | |
Matsukata waren keinesfalls gefeit gegen Krisen und Verkäufe, aber sie | |
blieben doch – in Essen dank der Gründung des Folkwang-Museumsvereins, der | |
nach Osthaus’ frühem Tod die Sammlung inklusive der Rechte am Namen | |
„Folkwang“ komplett für die Stadt Essen ankaufte – intakt. | |
Heute noch verblüfft das offenbar geschlossen vorgebrachte bürgerliche | |
Engagement für die Folkwang-Sammlung, so Peter Gorschlüter: „Dass die | |
Sammlung in Essen blieb, wäre ohne den Bergbau nicht möglich gewesen. | |
Osthaus hatte die Arbeiter als Zielgruppe im Auge gehabt, und nach seinem | |
Tod kam tatsächlich die größte Einzelsumme durch das Rheinisch-Westfälische | |
Kohlensyndikat zusammen, alleine 6,5 Millionen Mark! Und der | |
Syndikatsdirektor hat weiter die Werbetrommel gerührt und weitere 4 | |
Millionen zusammengetragen aus anderen Zechen. Es gab damals in der Region | |
einen bemerkenswerten Sinn für das Zeitgenössische, denn wir dürfen nicht | |
vergessen, dass diese Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts absolut noch nicht | |
etabliert war. Das war alles andere als breiter Geschmack.“ | |
## Thematische Gegenüberstellungen | |
Rund 120 Gemälde, Plastiken, japanische Drucke sowie eigens in Auftrag | |
gegebene Installationen der [3][japanischen Gegenwartskünstlerinnen | |
Chiharu Shiota] und Tabaimo bilden einen dichten Parcours, der die | |
Entwicklung beider Sammlungen durch thematische Gegenüberstellungen | |
nachvollziehen lässt. Während Osthaus etwa von Paul Gauguin Bilder aus der | |
Reihe der späten, ikonischen Südseebilder sammelte, bevorzugte Matsukata | |
das Frühwerk Gauguins, das in erdigen Tönen in der rauen Bretagne entstand. | |
Schon allein für die große Zahl an Werken der im Ausstellungstitel | |
genannten drei Künstler Renoir, Monet und Gauguin, die aus Japan kommen und | |
für die europäischen Augen sozusagen „neu“ sind – wie etwa Monets | |
großformatiges, fulminantes Ölbild „Sur le bateau“ – lohnt der Weg nach | |
Essen. | |
Darüber hinaus gibt es einen großen Raum mit Bronzen von Auguste Rodin, | |
herausragende Porträts von Édouard Manet und van Gogh, Werke von Camille | |
Corot, Gustave Courbet und Camille Pissarro zu sehen. Eine sinnlich | |
präsentierte, in jeder Hinsicht erhellende Schau, die trotz der Fülle von | |
Informationen nicht didaktisch überladen ist. | |
1 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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