| # taz.de -- Josef Albers in Bottrop: Variation im Quadrat | |
| > Das Josef-Albers-Museum Quadrat Bottrop widmet sich der Serie „Homage to | |
| > the Square“ seines Namensgebers. Albers wollte den Betrachter „sehen | |
| > lehren“. | |
| Bild: Josef Albers bei der Arbeit | |
| Es erscheint genügsam oder vielleicht auch nur wie ein gut formuliertes | |
| Understatement, sein Werk der rein ästhetischen Betrachtung zu entziehen, | |
| um es unter den Schirm der Pädagogik zu stellen. Josef Albers (1888–1976) | |
| ging es um nicht mehr und nicht weniger als darum, den Betrachter zu | |
| lehren, Farben zu sehen. | |
| Wohl deswegen wurde der Maler und Theoretiker, der am Bauhaus, in Yale | |
| [1][und weiteren renommierten Hochschulen in den USA] lehrte, lange vor | |
| allem als Kunstpädagoge und -lehrer anerkannt. Das Josef Albers Museum | |
| Quadrat in Bottrop widmet dem berühmtesten Sohn der Stadt nun eine | |
| Einzelausstellung und nimmt die „Huldigung an das Quadrat“ dabei sehr | |
| ernst. | |
| Albers’ Quadrat, oder besser gesagt die etwa 200 Quadrate, die er, immer | |
| gleich im Aufbau, in den letzten 26 Jahren seines Lebens fast | |
| ausschließlich malte, tauchten nicht plötzlich einfach auf. Dass sie durch | |
| ihre Form miteinander verbunden sind, aber vor allem auch Ausdruck eines | |
| sich wandelnden Farbempfindens sind, ist in der Ausstellung gut | |
| nachvollziehbar. | |
| Gewissenhaft untersucht Albers die Beziehungen zwischen den dicht | |
| nebeneinander verlaufenden Farben, beginnend mit Schwarz, Grau und Weiß, | |
| die im Wettstreit um Perspektiven von Helligkeit und Lichtverhältnis | |
| stehen. Langsam kommen Buntfarben hinzu; und spätestens hier grenzen sich | |
| Albers’ Experimente deutlich von einem anderen bekannten Viereck der | |
| Kunstgeschichte ab, das einem im ersten Raum der Ausstellung unweigerlich | |
| in den Kopf kommt. | |
| Während Kasimir Malewitsch mit seinem Schwarzen Quadrat 1915 einen | |
| absoluten Schlusspunkt setzt, öffnen sich Albers’ Quadrate hin zur | |
| kombinatorischen Unendlichkeit. Es entstehen ungewöhnliche | |
| Farbkompositionen; beeindruckend sind auch [2][die Arbeiten zu Mexiko,] die | |
| trotz des immer gleichen Aufbaus der in der unteren Bildmitte stehenden | |
| Quadrate ein ganz eigenes Gefühl von der Wärme des lateinamerikanischen | |
| Erdbodens vermitteln. | |
| ## Inspiration von Cézanne | |
| Trotz der abstrakten Form spielen die Quadrate mitunter durchaus auf | |
| Gegenständliches an. „Aurora“ etwa übersetzt die Farbschattierungen eines | |
| Sonnenaufgangs in Geometrie. Stilistisch lassen sich die „squares“ mit | |
| ihren geraden, bei genauem Hinsehen aber imperfekt gezogenen Übergängen als | |
| Hard Edge in Reinform bezeichnen. Es überrascht daher, dass ausgerechnet | |
| der romantisch-realistische Maler Paul Cézanne solchen Eindruck auf ihn | |
| machte. | |
| „Der Steinbruch von Bibemus“ (ca. 1895), der ebenfalls in der Ausstellung | |
| in Bottrop hängt, macht jedoch die Parallelen sichtbar: Viereckige | |
| Farbflecken, französisch „taches“, sind so gegeneinander gestellt, dass | |
| sich die Farbwahrnehmung intensiviert. „Es gibt keine Linie, es gibt keine | |
| Modellierung, es gibt nur Kontraste“, wie Cézanne selbst sagte. Das durch | |
| Albers farb- und quadratgeschulte Auge schätzt die Übergänge zwischen | |
| ockerfarbenem Gestein und grünen Baumkronen. | |
| „Sehen lernen“ ist kulturgeschichtlich ein viel bearbeitetes Motiv. Der | |
| Dichter Rainer Maria Rilke etwa versprach sich Erkenntnisgewinn durch | |
| genaues Hinschauen. „Ich lerne sehen“, schrieb er und wollte das „Seiende, | |
| das unter allem Seienden gilt“ mit bloßem Auge zu fassen lernen. | |
| Auch Albers erhoffte sich pädagogische Wirkung über die bloße Kunst hinaus. | |
| „Wer besser sieht, schärfer unterscheidet, die Relativität der Fakten | |
| erkennt und weiß, dass es nie nur eine einzige Lösung für visuelle | |
| Formulierungen gibt, der wird dann wohl auch seine Meinung über andere | |
| Formulierungen ändern; vor allem wird er sowohl genauer als auch toleranter | |
| werden“, so der Maler. | |
| ## Bottrops berühmtester Sohn | |
| Obwohl Albers Inspiration aus den Werken alter Meister bezog, lehrte er | |
| seine Schüler stets, stilistisch ihren Vorbildern nicht nachzueifern, | |
| schreibt im Katalog zur Ausstellung Heinz Liesbrock, der als Direktor des | |
| Josef Albers Museums seine letzte Ausstellung im Quadrat kuratiert hat. | |
| Albers gehe es darum, „die künstlerische Höhe der Alten mit | |
| zeitgenössischen Mitteln, also der Abstraktion des 20. Jahrhunderts, zu | |
| erreichen“. | |
| Das 20. Jahrhundert hat Albert indes in verschiedenen | |
| Kombinationsmöglichkeiten durchlaufen. Den Großteil seines Lebens | |
| verbrachte er in den USA, wohin er 1933 mit seiner Frau, [3][der | |
| Textilkünstlerin Anni Albers,] emigrierte. Zuvor war Albers [4][am Bauhaus | |
| Werkmeister für Glas.] In Bottrop lebte er mit Unterbrechungen nur die | |
| ersten, knapp 30 Jahre seines Lebens. Trotzdem ist der Künstler heute von | |
| Bedeutung für die kleine Großstadt im Ruhrgebiet. | |
| Als typische Kohlenstadt, arm an kultureller Infrastruktur, erinnerte man | |
| sich in den 1960er Jahren an den berühmten Sohn der Stadt. Erste Kontakte | |
| in die USA wurden geknüpft, so erfährt man im Katalog, bis 1983 | |
| schließlich, acht Jahre nach Albers’ Tod, das Josef Albers Museum in | |
| Bottrop eröffnete. Das Museum, das die weltweit umfangreichste Sammlung an | |
| Albers-Gemälden hält, wurde jüngst um einen vom Schweizer Architekturbüro | |
| Gigon/Guyer entworfenen Erweiterungsbau ergänzt, in dem aktuell „Huldigung | |
| an das Quadrat“ zu sehen ist. Künftig sollen hier Sonderausstellungen | |
| gezeigt werden. | |
| „Huldigung an das Quadrat“ ist schlicht gehalten, Beschilderung gibt es | |
| wenig, auf den Wechsel der Farben im Quadrat als so ziemlich einzige | |
| Varianz muss man sich einlassen können. Wer Josef Albers schätzt, | |
| entscheidet sich für Coolness statt Dramatik, Kontinuität statt | |
| Überwältigung. | |
| Das letzte Wort über Farbenspiele ist ohnehin, auch mehr als 70 Jahre nach | |
| dem ersten von Albers gemalten Quadrat, noch nicht gesprochen. Nachdem das | |
| Internet 2015 über der Frage verzweifelte, ob die Streifen eines | |
| fotografierten Kleids nun blau-schwarz oder weiß-gold seien, erscheint die | |
| Hartnäckigkeit, mit der Josef Albers seine 26 Jahre andauernden Quadrat- | |
| und Farbuntersuchungen betrieb, nachvollziehbarer. „Sehen lernen“ ist ein | |
| lebenslanger Prozess. | |
| 2 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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