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# taz.de -- Patriarchale Schönheitsbilder: Unsere Bäuche gehen Euch nichts an!
> Bei Männern gilt etwas Bauch als normal. Frauen unterstellt man hingegen
> oft, sie hätten sich nicht im Griff oder seien schwanger. Nicht normal.
Bild: Viele Männer mit Bauch sind entspannter als ihr Hemd
Einziehen!, sagt die Stimme in meinem Kopf, als ich an der Elbe meine Runde
drehe. Seit zehn Jahren gehe ich joggen. Ohne Musik, ohne Tracking, einfach
nur, um abzuschalten. Nach ein paar Metern achte ich bloß noch auf die
Atmung. Aber nicht heute, da lenkt mich mein Bauch ab. Als ich nach unten
schaue, sehe ich, wie aufgebläht er ist und sich unter meinem Top
abzeichnet. Reflexhaft ziehe ich ihn ein.
Als ich wieder nach oben blicke, spaziert ein Mann an mir vorbei. Er trägt
Vollbart und eine große, runde Kugel vor sich her. „Das ist kein dicker
Bauch“, steht auf seinem Shirt, „Das ist ein Delikatessenlager!“
Ich kann die Absurdität dieses Moments kaum fassen. Während ich wegen etwas
Luft im Bauch den Atem anhalte, führt dieser Mann stolz sein viszerales
Bauchfett aus. Ich bin neidisch auf ihn und seine Gelassenheit. Und ich bin
wütend auf die Welt, weil für mich immer noch andere Maßstäbe gelten.
Man möge sich einmal vorstellen, eine Frau trage so ein Shirt. Absurd? Kein
Wunder! Spätestens seit den 1980ern steht ein flacher Bauch für Schönheit,
Gesundheit und vor allem dafür, dass man sich im Griff hat. Weicht Frau von
diesem Ideal ab, droht die Verurteilung: Warum isst sie so viel? Schämt sie
sich nicht? Oder aber: Ist sie schwanger?
Doch bin ich auch wütend auf mich selbst. Weil ich mich, trotz jahrelanger
feministischer Lektüre, nicht von diesem Schönheitsideal befreien kann.
Nicht so wie es viele Frauen auf Social Media vorgeben zu tun. Auf
Instagram und Tiktok präsentieren sie unter Hashtags wie
#normalizenormalbodies oder #realbodies ihre Körpermitte so, wie sie ist:
mit Speckrollen am Strand oder Blähbauch [1][im Fitnessstudio].
Fett, Hohlkreuz und Rundungen sind normal, protestieren Influencerinnen wie
Rebecca Chelbea und Charlotte Weise, die auf Hunderttausende
Follower*innen kommen. Ihre Posts suggerieren: Unser Atem und unsere
Bauchmuskeln dürfen sich entspannen!
Aber dürfen sie das wirklich? Vor Kurzem saß ich in größerer Runde im
Biergarten. Mit dabei war auch eine Bekannte, deren Bauch an dem Abend
sichtlich gewölbt war und die sich einen Aperol Spritz gönnte. Ein paar
Tage später erzählte mir ein Mann aus der Runde, dass der mit ihm
befreundete Biergartenchef ihn nach unserem Besuch gewarnt habe: Bei euch
saß eine Schwangere, die trinkt!
Auf die Idee, dass meine Bekannte möglicherweise einfach viel gegessen
hatte oder die zyklusbedingte Erkrankung Endometriose hat, die den Bauch
schmerzhaft anschwellen lässt, kam der Wirt nicht. Auch dass ihr Bauch von
Natur aus vielleicht runder ist als der von Heidi Klum oder dass die Körper
von anderen ihn schlichtweg nichts angehen, kam ihm nicht in den Sinn.
## Wann endet endlich das Schlankheitsdiktat?
Über die Männer im Biergarten hingegen, deren Bäuche die Tischkante
berührten, während sie ihr Bier genossen, hat sich der Wirt keine Gedanken
gemacht. Das sind halt Männer, die haben halt einen Bierbauch. Und der ist
ja irgendwie auch sympathisch, oder?
All das passiert im Jahr 2025, über zwei Jahrzehnte nach der Werbekampagne
von Dove, die Frauen unterschiedlichen Gewichts präsentierte und der
Startschuss eines breiteren Body-Positivity-Trends war. Jetzt lassen wir
das Schlankheitsdiktat endlich hinter uns, dachte ich, die damals [2][mit
elf schon ihre erste Diät] hinter sich hatte.
Dass heute wieder hervorstehende Beckenknochen unter Hashtags wie
[3][#skinnytok] trenden, dass Essstörungen besonders bei Mädchen in den
letzten Jahren dramatisch zugenommen haben und eine Frau mit sichtbarem
Bauch nur schwanger sein kann, zeigt, wo wir im Befreiungskampf gegen
patriarchale Schönheitsbilder stehen: immer noch an der Startlinie.
10 Aug 2025
## LINKS
[1] /Was-Maenner-an-Frauen-mit-Bizeps-stoert/!6101951
[2] /Soziologin-ueber-Heranwachsende/!6066073
[3] /Tiktok-Trend-Skinny-Girl-Mindset/!6073238
## AUTOREN
Laura Catoni
## TAGS
Feminismus
Schönheitsnormen
Kolumne Starke Gefühle
GNS
Reden wir darüber
TikTok
Kunsthalle Bremen
Social Media
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