| # taz.de -- Öko-Innovationen in Nigeria: Platz für grüne Ideen | |
| > In Nigeria gründen viele junge Frauen und Männer Start-ups und Firmen. | |
| > Die sollen nicht nur gute Gewinne einfahren, sondern auch Ressourcen | |
| > schonen. | |
| Bild: Töpfe der Zukunft: Happy Amos' Öfen sind schneller, brauchen weniger En… | |
| Happy Amos ist am großen Tor angekommen, hinter dem ihr Unternehmen Roshan | |
| Global Service liegt. Sie hupt ein paar Mal, bis einer der Angestellten | |
| öffnet. Viel Platz gibt es auf dem Gelände, das in der Kleinstadt Diko im | |
| nordnigerianischen Bundesstaat Niger liegt, nicht. Doch hier entsteht das, | |
| was sie „ihr Baby“ nennt: Kochöfen mit einem Durchmesser von 30 bis 40 | |
| Zentimetern, wenigen Kilogramm Gewicht und durch ihre Energieeffizienz | |
| besonders umweltschonend. | |
| Die 40-Jährige steigt aus ihrem Auto. Auf dem Rücken ihres schwarzen | |
| T-Shirts ist in Weiß der Slogan „Clean Cooking – Women Empowerment“ – | |
| „Sauberes Kochen – Stärkung von Frauen“ – gedruckt. Sie führt über d… | |
| Gelände, auf dem eine Produktionsstraße für die Kochöfen entstanden ist. | |
| „Unser Produkt ist hundertprozentig nigerianisch“, sagt sie und zeigt auf | |
| die große, überdachte Fläche, auf der Ton gelagert wird. Der wird zu zwei | |
| Männern gebracht, die daraus auf Töpferscheiben die Untersätze der Öfen in | |
| verschiedenen Größen formen. Anschließend werden sie auf lange Holzregale | |
| zum Trocken gestellt und danach in einem großen Ofen gebrannt. | |
| Auf der anderen Seite des Geländes sind die Schweißer an der Reihe: Sie | |
| biegen Metall zurecht, ummanteln die Tongefäße und sprühen sie je nach | |
| Kundenwunsch mit unterschiedlichen Farben an. Sie sollen nicht nur | |
| praktisch sein, sondern auch optisch ansprechend. | |
| ## Happys Baby | |
| Dass die Unternehmerin ausgerechnet Diko als Produktionsstätte ausgesucht | |
| hat, ist kein Zufall. Der Ort liegt an der Straße zwischen Nigerias | |
| Hauptstadt Abuja und Minna, Regionalhauptstadt des Bundesstaates Niger. Die | |
| Schlaglöcher sind groß und tief. Rechts und links der Straße stehen aus | |
| Holz gezimmerte Verkaufsstände. Obst, Gemüse und Reis sind hier günstiger | |
| als in Abuja, weshalb Reisende gerne einen Halt einlegen und einkaufen. | |
| Ansonsten gibt es kaum Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Im ganzen | |
| Bundesstaat Niger haben Überfälle auf Reisende und ganze Dörfer seit 2020 | |
| zugenommen. Bewaffnete entführten mehrere hundert Kinder aus ihren Schulen, | |
| um Lösegeld zu erpressen. 2022 klagte Gouverneur Abubakar Bello, dass | |
| Investor*innen aufgrund der [1][schlechten Sicherheitslage den | |
| Bundesstaat Niger] meiden würden. | |
| Der letzte Schritt ist für Happy Amos immer ein ganz besonderer. Bevor die | |
| Kochöfen in den Verkauf kommen, packen Frauen sie für den Transport in | |
| große Kartons mit dem Aufdruck, auf die „Happy Stoves“ gedruckt ist. „Ha… | |
| Stoves machen uns glücklich“, lacht Happy Amos und hält einen Ofen hoch. | |
| Wegen der unzuverlässigen Stromversorgung brummt im Hintergrund ein | |
| Generator laut, und sie muss fast gegen den Lärm anschreien. | |
| Aufgewachsen ist die 40-Jährige im Bundesstaat Adamawa, der im Nordosten | |
| Nigerias liegt und an Kamerun grenzt. Vor knapp zehn Jahren wagte sie nach | |
| einem Master-Studium in Wirtschaftsmanagement den Schritt in die | |
| Selbstständigkeit und musste sich anfangs vor allem viel Kritik anhören. | |
| „Es hieß gerne, dass ich die Freundin eines reichen Typen sei. Frauen wird | |
| bis heute unterstellt, dass sie auf legalem Weg überhaupt kein eigenes Geld | |
| haben können.“ | |
| ## Teures Holz, unzuverlässiger Strom | |
| Dass die Selbstständigkeit ausgerechnet mit in Nigeria produzierten | |
| Kochöfen starten sollte, machte es nicht leichter. „Entweder wurde mir | |
| gesagt: Eine Frau schafft das nicht. Oder das funktioniert nur auf dem | |
| Land.“ An der Idee hielt sie aber aufgrund ihrer eigenen, leidvollen | |
| Erfahrung fest: Für Millionen Frauen ist das Kochen eine tägliche | |
| Herausforderung. | |
| Die offenen Feuerstellen brauchen zu viel Brennstoff, das ineffiziente | |
| Kochen dauert Stunden. Häufig werden große Töpfe direkt auf glimmende | |
| Kohlen und Holzscheite gestellt, und die meiste Hitze geht verloren. Kinder | |
| ziehen sich schwere Brandwunden zu, wenn sie in offene Feuerstellen fallen. | |
| Auch soll der Rauch jährlich für den Tod von mehr als 90.000 Frauen | |
| verantwortlich sein, heißt es unter anderem in Schätzungen der Regierung. | |
| Mit Strom betriebene Herde gibt es fast nirgendwo. Auch können sich immer | |
| weniger Haushalte überhaupt noch Kochgas leisten. Nach Informationen des | |
| Nationalen Statistikbüros (NBS) stieg der Preis für eine Fünfliterflasche | |
| innerhalb eines Jahres um 71 Prozent und lag im Oktober 2022 bei | |
| umgerechnet zehn Euro. Auch die Preise für Feuerholz und Holzkohle steigen | |
| weiter. Nach Umfragen von Roshan Global Service gibt eine achtköpfige | |
| Familie für Feuerholz täglich etwa einen Euro aus. | |
| Zum Vergleich: Der monatliche Mindestlohn liegt bei gerade einmal 60 Euro. | |
| [2][Knapp zwei von drei Nigerianer*innen leben in Armut] und haben | |
| Schwierigkeiten, ausreichend Lebensmittel zu kaufen sowie Medikamente und | |
| Arztrechnungen zu bezahlen. „Mit den Öfen wollen wir den Stress reduzieren, | |
| den Hunderttausende Frauen täglich erleben“, sagt die Firmengründerin. | |
| ## Der Urwald schwindet | |
| Gleichzeitig sind energiesparende Öfen ein Beitrag gegen die massive | |
| Abholzung, die Nigeria seit Jahrzehnten erlebt. Die [3][Umweltplattform | |
| Global Forest Watch] geht davon aus, dass Afrikas bevölkerungsreichster | |
| Staat von „2002 bis 2021 153 Millionen Hektar feuchten Urwald“ verloren | |
| hat. Das würde eine Reduzierung von 14 Prozent des gesamten Baumbestandes | |
| ausmachen. | |
| Deutlich wird das beispielsweise bei Überlandfahrten in den Norden. Wo | |
| einst Wälder waren, klaffen offene Flächen. 2019 kündigte Präsident | |
| Muhammadu Buhari während der UN-Vollversammlung an, Nigeria wolle 25 | |
| Millionen Bäume pflanzen. Was davon bisher umgesetzt wurde, lässt sich | |
| nicht prüfen. | |
| Eine immense Herausforderung ist die mit 2,4 Prozent hohe Wachstumsrate der | |
| Bevölkerung Nigerias, die auf 220 Millionen geschätzt wird. Es fehlt an | |
| Alternativen zu Holzkohle und Feuerholz. Gleichzeitig wird immer mehr | |
| landwirtschaftlich nutzbare Fläche benötigt. Aufgrund von Gewalt durch | |
| bewaffnete Banden sowie islamistische Gruppierungen und mangelnder | |
| staatlicher Präsenz haben wiederum in Teilen des Landes Farmer*innen | |
| Angst, überhaupt noch ihre Felder zu bestellen. | |
| Happy Amos überprüft in der großen Halle, wie ihre Mitarbeiter*innen | |
| die Öfen mit Metall ummanteln. Vor ein paar Wochen war sie unzufrieden mit | |
| der Qualität. Das Metall war nicht richtig angebracht. Jetzt nimmt sie | |
| immer wieder eine Zange in die Hand und erklärt, wie der ideale Kochofen | |
| auszusehen hat. Der soll viele Jahre genutzt werden können, kostet er doch | |
| umgerechnet rund 10 Euro. | |
| ## Der Markt wächst – langsam | |
| Um ihr Modell bekannt zu machen, ist sie viel auf dem Land unterwegs und | |
| zeigt Frauen, wie sich damit kochen lässt. Wenn sie Spendengelder hat, gibt | |
| sie die Öfen auch für einen Bruchteil vom eigentlichen Preis ab. Aktuell | |
| läuft die Produktion auf Hochtouren, weil ein Großauftrag abgearbeitet | |
| werden muss. Seit Gründung sind rund 50.000 Öfen hergestellt worden. Einmal | |
| musste Happy Amos schon innerhalb der Stadt das Gelände wechseln, weil das | |
| alte zu klein wurde. 40 Mitarbeiter*innen hat sie aktuell. | |
| Unternehmer*innen haben längst den schonenderen Umgang mit Energie und | |
| Ressourcen als Geschäftszweig entdeckt, sagt Abel Gaiya, Manager des | |
| Bereichs Energy Access im Clean Tech Hub Nigeria in Abuja. Doch der Markt | |
| wächst nur langsam. Zwar gebe es durchaus internationale Fördergelder, | |
| wodurch andererseits auch wieder Abhängigkeiten geschaffen werden. Doch es | |
| brauche Eigenkapital, um überhaupt starten zu können. | |
| Wichtig ist auch ein gutes Marketing. „Clean Cooking funktioniert im | |
| ländlichen Raum. Doch viele Frauen müssen das erst einmal kennenlernen. Ein | |
| Start-up schafft nicht automatisch Nachfrage.“ | |
| Dazu kommen gesetzliche Schwierigkeiten. Ab 2015 entstanden zwar mehrere | |
| politische Richtlinien, um erneuerbare Energien zumindest nicht mehr zu | |
| benachteiligen. 2020 kündigte die Regierung das Elektrifizierungsprogramm | |
| „Solar Power Naija“ an, durch das in ländlichen Regionen fünf Millionen | |
| Stromanschlüsse durch Solarenergie entstehen sollen. | |
| ## Neue Gesetze braucht das Land | |
| Die nigerianische Allianz für saubere Kochöfen (NACC), der auch Roshan | |
| Global Service angehört, pocht allerdings seit Langem darauf, dass die | |
| Politik „clean cooking“ mehr Aufmerksamkeit schenkt und es durch staatliche | |
| Regulierungen fördert. Erst im vergangenen Jahr wurde im Umweltministerium | |
| ein Komitee gegründet, das den landesweiten Zugang zu „sauberen | |
| Kochmöglichkeiten“ vorantreiben soll. | |
| Durch die Präsidentschaftswahl Ende Februar und die bevorstehende | |
| Regierungsumbildung ist die inhaltliche Arbeit in viele Bereichen aber | |
| wieder in den Hintergrund gerückt. | |
| Theoretisch interessant ist auch der Strommarkt. Obwohl Nigeria nach Angola | |
| Afrikas zweitgrößter Rohölexporteur ist, hatten 2020 gerade einmal gut 55 | |
| Prozent der Bevölkerung Zugang zu Strom. Ein Ausbau des Netzes gilt seit | |
| Jahrzehnten als überfällig. Doch die Erzeugung durch erneuerbare Energien | |
| spielt bisher so gut wie keine Rolle. Weniger als 200 Megawatt werden | |
| täglich über solare Minigrids erzeugt, sagt Abel Gaiya. | |
| Demgegenüber stehen 13.000 Megawatt, die durch fossile Brennstoffe in das | |
| Stromnetz eingespeist werden. Den größten Anteil machen mit 15.000 Megawatt | |
| allerdings die Benzin- und Dieselgeneratoren aus, die aufgrund der | |
| schlechten Versorgung ständig laufen und bis heute finanzierbarer als | |
| beispielsweise Solaranlagen sind. | |
| ## Solarstrom kaum finanzierbar | |
| Über Solarsysteme ist in Nigeria in den vergangenen 15 Jahren immer stärker | |
| diskutiert worden: Privathaushalte fanden die Idee, vom völlig überlasteten | |
| Stromnetz unabhängig zu werden, durchaus interessant. Gerade in der | |
| Anfangsphase war häufig allerdings nicht sicher, ob Anbieter überhaupt | |
| seriös sind und Solaranlagen gewartet werden können. Vor allem aber waren | |
| diese kaum finanzierbar, besonders dann, wenn auch Kühlschränke, Fernseher | |
| bis hin zu Klimaanlagen über Solarstrom betrieben werden sollten. | |
| Doch auch die Nutzung von Dieselgeneratoren sei extrem teuer, sagt Rotimi | |
| Thomas. Der Preis für Diesel lag zuletzt bei mehr als 1,60 Euro pro Liter. | |
| Der 39-Jährige lebte rund zwei Jahrzehnte in Kanada, den USA und | |
| Deutschland und kehrte schließlich 2017 zurück nach Lagos. | |
| Zunächst arbeitete er in der Megacity für Siemens, wagte dann jedoch den | |
| Schritt in die Selbstständigkeit. „Eine verrückte Entscheidung. Ich könnte | |
| in Kanada leben, was viel komfortabler wäre. Die Gesundheitsversorgung wäre | |
| beispielsweise viel besser. Hier herrscht Chaos, das gleichzeitig eine | |
| Chance ist, etwas zu erschaffen.“ | |
| Ziel des Wirtschafts- und Finanzexperten ist es, den Zugang zu Solarenergie | |
| bezahlbar und somit populärer zu machen. Vor zwei Jahren gründete er das | |
| Unternehmen SunFi, eine Finanztechnologieplattform für Energie. Gemeinsam | |
| mit Kund*innen wird über die Bedürfnisse bei der Stromversorgung | |
| gesprochen und geplant, welche Geräte in Privathaushalten oder kleinen | |
| Betrieben unbedingt angeschlossen werden müssen und wie viel monatlich | |
| dafür bezahlt werden kann. | |
| ## Start-up für Finanzierung | |
| Bisher war häufig eins abschreckend: hohe Investitionskosten und | |
| gleichzeitig kaum eine Möglichkeit, überhaupt einen Kredit zu erhalten. | |
| SunFi biete zwei Finanzierungssysteme an, so Thomas. Kund*innen haben die | |
| Möglichkeit, eine Anlage nach einer ersten Zahlung über Raten zu | |
| finanzieren. Auch ist ein Abonnementmodell entwickelt worden. | |
| „Für 25.000 Naira (umgerechnet 50 Euro) können Familien Lampen, | |
| Ventilatoren, Computer und kleine Kühlschränke an Strom anschließen und | |
| nutzen. Zahlreiche Menschen, vor allem die wachsende junge Bevölkerung, | |
| werden sich künftig dafür entscheiden“, ist sich der Unternehmer sicher. | |
| Verändern sich im Laufe der Jahre Ansprüche und finanzielle Möglichkeiten, | |
| können die Systeme daran angepasst werden. | |
| Gerade in der Anfangszeit plagten Rotimi Thomas allerdings viele | |
| Selbstzweifel. „Es gab zahlreiche Momente, in denen ich es bereut habe. Ich | |
| fand, dass ich nicht gut genug sei, nicht die passende Ausbildung habe, | |
| andere das besser machen. Im Unternehmertum ist der Kampf gegen sich selbst | |
| der härteste“, gibt er zu. | |
| Trotzdem ist er sicher, am richtigen Platz zu sein. „Gemeinsam mit einem | |
| Team kann ich entscheiden, etwas Neues in der Welt zu erschaffen.“ Seine | |
| Arbeit in Nigeria würde einen viel größeren Einfluss haben als ein Job in | |
| Europa oder Amerika. | |
| ## Gewinne sind gut, gut für die Umwelt ist besser | |
| Zurück in Diko. Happy Amos sitzt wieder in ihrem Auto und macht sich auf | |
| den Weg zurück nach Abuja, wo sie mit ihrer Familie lebt. Prinzipiell ist | |
| sie zufrieden mit der Arbeit ihrer Angestellten. Allerdings sucht sie | |
| gerade händeringend nach einem Manager, der vor Ort ist und Abläufe enger | |
| begleitet. Dann könnte die Produktion erhöht werden. Roshan Global Service | |
| soll schließlich wirtschaftlich erfolgreich sein. „Gegen gute Gewinne habe | |
| ich nichts einzuwenden“, lacht sie. | |
| Andere Dinge haben aber Priorität: „Ich bin eine Sozialunternehmerin: Der | |
| Profit ist nicht alles. Mir geht es vor allem darum, Lebensbedingungen zu | |
| verbessern. Damit tut man etwas für die Umwelt und gleichzeitig für die | |
| ganze Welt“, sagt Happy Amos. | |
| 18 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gewaltausbruch-in-Nigeria/!5766293 | |
| [2] https://www.aktiongegendenhunger.de/laender/afrika/nigeria | |
| [3] https://www.globalforestwatch.org/dashboards/country/NGA/?category=forest-c… | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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