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# taz.de -- Kolonialismus und Klimakrise: 500 Jahre Umweltrassismus
> Der Globale Norden ist Hauptverursacher des Klimawandels. Der Globale
> Süden leidet. Aktuelle Lösungsideen ändern daran nichts.
Bild: Die Folgen des Klimawandels treffen den Globalen Süden: Überschwemmunge…
1492 kamen die ersten europäischen Schiffe auf der Suche nach Gold in den
Amerikas an. Während in Europa diskutiert wurde, ob die Bewohner*innen der
kolonisierten Regionen eine Seele hätten, wurde die indigene Bevölkerung
durch Gewaltherrschaft, Ausbeutung und mitgebrachte Krankheiten dramatisch
reduziert.
Darauf folgte der Ausbau der bereits 1441 begonnenen transatlantischen
Verschleppung von vielen Millionen versklavten, afrikanischen Menschen, die
in den Amerikas Zucker, Baumwolle und Tabak anbauten. Das System breitete
sich über die Kontinente aus, mit dem immer gleichen Mechanismus: Bei den
kolonisierenden Regionen (fortan Globaler Norden) fiel materieller Reichtum
an, und die kolonisierten Regionen (fortan Globaler Süden) zahlten dafür
mit Genoziden und Ökosystemkollaps.
In dieser verwobenen Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und
Industrialisierung liegt auch der Ursprung der Klimakrise.
Extremwetterereignisse wie Dürren und Ernteausfälle nehmen von Jahr zu Jahr
zu. Szenarien, vor denen es viele in Deutschland derzeit bangt, haben
Menschen und Ökosysteme im Globalen Süden bereits mehrfach durchlebt.
Dass Klimawandel ein dringliches Thema ist, bei dem die Verantwortung
Verursachender und Betroffener weit auseinander liegt, ist mittlerweile
fast im deutschen Mainstream angekommen. Begriffe wie Klimagerechtigkeit
oder Umweltrassismus werden geläufiger. Doch der Denkfehler, der dem
Begriff anthropogener, also menschengemachter Klimawandel innewohnt, bleibt
nahezu unbemerkt.
## Im Kolonialismus liegt der Ursprung der Klimakrise
Länder des Globalen Nordens sind für mehr als zwei Drittel der historischen
Treibhausgasemissionen verantwortlich, Länder des Globalen Südens sind
allerdings zwei bis drei Mal verletzlicher gegenüber Klimawandelfolgen.
Bereits diese Zahlen sind Indiz dafür, dass die Klimakrise nicht von allen
Menschen gleichermaßen verursacht wird.
Nicht nur dass es vor allem Länder des Globalen Nordens sind, die für die
historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und von ihnen
profitiert haben – auch der Prozess, in dem diese Emissionen zustande
kamen, ist von Gewalt gezeichnet. Die Forscherin Françoise Vergès spricht
daher nicht vom Anthropozän, sondern vom rassistischen Kapitalozän.
Eine gute Gelegenheit, das System neu zu denken – doch viele der Lösungen,
die präsentiert werden, um die Klimakrise aufzuhalten, reproduzieren die
bestehenden Macht- und Gewaltverhältnisse. Geoengeneering etwa bedeutet
großmaßstäbliche, technische Eingriffe in die Kreisläufe der Erde, mit dem
Ziel, das atmosphärische CO2 zu verringern, der Erdatmosphäre Treibhausgase
zu entziehen oder Sonneneinstrahlung zu reflektieren.
So sollen Monokulturen von Bäumen angepflanzt werden, damit sie der
Erdatmosphäre CO2 entziehen, um dann das anschließend im
Verbrennungsprozess freigesetzte und aufgefangene CO2 unter der Erde zu
speichern. Viele dieser Maßnahmen erfordern eine große Menge an Rohstoffen
und Landflächen und führen dadurch bereits jetzt zu Landraub in Ländern des
Globalen Südens.
## Menschen im Globalen Süden riskieren ihre Leben
Es ist erstaunlich, wie der Glaube an riskante, technische Lösungen so groß
ist, dass das Potenzial intakter Wälder und anderer naturbasierter Lösungen
vergessen wird. Es sind vor allem Menschen im Globalen Süden, die gegen
Entwaldung kämpfen und dabei ihre Leben riskieren. Die Kolonialisierung
ging oft mit großflächigen Entwaldungen einher, um Platz für Monokulturen,
Ölbohrungen und den Raubbau an weiteren Ressourcen zu schaffen.
Antikoloniale Kämpfe und Landrechtskämpfe sind daher eng verknüpft mit
Umweltschutz. Ein Bericht der NGO Global Witness zeigt, dass allein im Jahr
2018 mehr als 200 Morde an Umweltaktivist*innen registriert wurden, das
sind mehr als drei Morde pro Woche, fast alle im Globalen Süden. Einer der
kürzlich ermordeten Aktivisten ist der philippinische Wald-Ranger
Bienvinido „Toto“ Veguilla Jr., der die Ergebnisse seiner Arbeit in den
sozialen Medien veröffentlichte.
In Kolumbien gab es im selben Jahr 24 dokumentierte Fälle von Umweltmorden.
Maritza Isabel Quiroz Leiva, die zu afrokolumbianischen Landrechtskämpfen
aufrief, wurde im Januar ermordet. Im Juli wurde in Brasilien Emyra Waiãpi
ermordet, welcher sich in führender Position indigenen Widerstandes gegen
Waldzerstörung und Goldbergbau einsetzte.
Der brasilianische Präsident Bolsonaro hatte Indigene als „prähistorische
Menschen“ bezeichnet und die „erste Welt“ aufgefordert, deren Gebiete „…
Partnerschaft zu erkunden und Mehrwert zu schaffen“. Diese Aussage zeigt
den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung Indigener Menschen, Schwarzer
Menschen und People of Color (BIPoC) und Ökosystemen.
## Solidarität statt Trennung, Aufforstung statt Entwaldung
Seit mehr als 500 Jahren findet diese gewaltvolle Aneignung statt,
legitimiert durch einen Mechanismus: die Erschaffung des Anderen. Der
Dualismus von Mensch und Natur mit einseitiger Hierarchie soll den Raubbau
an Ressourcen, die Entwaldung und Umweltverschmutzung legitimieren. Dieser
Dualismus erhält die Unterdrückung von BIPoC in vielen Bereichen bis heute
aufrecht.
Wahre Lösungen müssen an die Wurzel gehen und bei dieser Weltsicht
ansetzen. Anstatt Trennung brauchen wir Solidarität, anstatt Entwaldung
Aufforstung und anstelle von industrieller (Land-)Wirtschaft eine, die in
ökologischen Kreisläufen integriert ist. Anfang Dezember 2019 steht die
nächste UN-Klimakonferenz (COP 25) an.
Würden dort antikoloniale Perspektiven auf die Klimakrise und die
Einbeziehung von Ökosystemen gelten und würden die Länder diese einhalten,
so wäre dies ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und Solidarität. Um die
Klimakrise zu verstehen und ihr etwas entgegenzusetzen, ist es essenziell,
die Verknüpfung verschiedener Unterdrückungsformen sichtbar zu machen.
18 Nov 2019
## AUTOREN
Imeh Ituen
Rebecca Abena Kennedy-Asante
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